Samstag, Juli 27, 2024

Ukraine: Militärexperte sieht Probleme für Russland

Ukraine:

Der Militärexperte Niklas Masuhr von der ETH Zürich sieht Russland nicht imstande, Offensiven voranzutreiben: die Truppenmoral sei desolat, Waffen fehlten, während die Ukraine immer stärker werde. Der nahende Winter dürfte sein Übriges tun.

Kiew/Moskau, 29. Oktober 2022 | Desolate Truppenmoral und Waffenmangel stellen Russland im kommenden Winter in der Ukraine nach Einschätzung eines Militärexperten vor große Probleme. “Auch ohne Einwirkung der Ukrainer wird der Winter eine große Herausforderung für die Russen”, sagte Niklas Masuhr, Forscher am angesehenen Center for Security Studies der Universität ETH in Zürich, der Deutschen Presse-Agentur. “Für die Russen geht es noch darum, sich über den Winter einzugraben. Die Truppen sind in so schlechtem Zustand, dass nicht klar ist, ob sie das schaffen.”

Offensivfähigkeit gebrochen

Die Versorgung der Truppen an der Front werde im Winter schwerer, das drücke weiter auf die Moral unter den Soldaten, die schon am Boden liege. “Die russische Offensivfähigkeit in der Ukraine ist gebrochen, weitere Vorstöße sind eher unwahrscheinlich”, sagte er. “Russland hat auf Defensivmodus geschaltet.” Gleichzeitig gebe es keine Anzeichen, dass die jüngste Terrorkampagne mit Raketen- und Drohnenangriffen die Ukrainer eingeschüchtert habe oder ihnen der Schwung ausgehe.

Er sehe täglich Berichte von mobilisierten russischen Truppen, die sich weigerten, in den Kampf zu gehen, und von Kommandeuren, die Untergebene mit Waffengewalt an die Front zwingen müssten. In den Verbänden fehle es an Zusammenhalt, weil die Truppen mittlerweile zusammengewürfelt seien, teils mit regulären Soldaten, teils mit Häftlingen und anderen jungen und alten Zwangsrekrutierten. “Mit so einem Flickenteppich kann man sich verteidigen, aber Offensiven stellen höhere Anforderungen an Ausbildung und Zusammenhalt.”

Russland fehlen Waffen

Zudem gingen bei den Russen die Präzisionswaffen zur Neige. Ihnen fehle westliche Mikroelektronik für die weitere Produktion, die die Regierung auch über Schwarzmärkte nicht im nötigen Umfang und zu bezahlbarem Preis besorgen könne. Gleichzeitig stärkten westliche Waffenlieferungen die Ukraine. “Bei den Ukrainern geht die Kurve der Leistungsfähigkeit hoch, bei den Russen runter”, sagte Masuhr. Dem Iran wird aber vorgeworfen, Russland mit der Lieferung von Einwegdrohnen unterstützt zu haben.

“Wir dementieren die Vorwürfe diesbezüglich und sind auch bereit, dies in bilateralen technischen Treffen mit Kiew zu besprechen und auszuräumen”, wird der iranische Außenminister Hussein Amirabdollahian auf der Ministeriums-Website zitiert. Der Iran unterhält Amirabdollahian zufolge zwar gute Beziehungen zu Russland und auch eine langjährige militärische Zusammenarbeit. Teheran sei aber gegen den Krieg in der Ukraine und lehne eine direkte Teilnahme in dem Konflikt ab.

Ukraine bekommt weitere Unterstützung

Die USA haben indes jüngst weitere Unterstützung für die Ukraine im Wert von 275 Millionen US-Dollar angekündigt, unter anderem in Form von Waffen und Ausrüstung. Außerdem werden vier Antennen für Satellitenkommunikation zur Verfügung gestellt, wie das Pentagon am Freitag in Washington mitteilte. US-Außenminister Antony Blinken teilte mit, man arbeite daran, die Luftverteidigungsfähigkeit der Ukraine zu verbessern. Die beiden bodengestützten Luftverteidigungssysteme des Typs Nasams, zu deren Lieferung sich die Vereinigten Staaten verpflichtet hätten, würden nächsten Monat in die Ukraine gebracht.

Verhandlungen nicht in Aussicht

Dass ukrainische Vorstöße ins Stocken geraten sind, erkläre sich aus der Angriffsstrategie, sagte Masuhr. Die Ukrainer hätten zunächst dort angegriffen, wo abgenutzte russische Truppen weites Gelände zu verteidigen hatten. “Je dichter man an stärker verteidigte russische Frontabschnitte kommt, desto langsamer wird das Tempo, um den Gegner abzunutzen”, sagte Masuhr. Er hält eine ukrainische Offensive im Gebiet Cherson im Südosten nicht für aussichtslos. Ein Erfolg dort sei politisch und militärisch bedeutsam, weil er die russischen Truppen im Süden und Osten trennen und neue Vorstöße im Süden unmöglich machen würde.

Für Verhandlungen sieht er zurzeit keine Grundlage. Solange Russland an dem Ziel der Vernichtung der Ukraine festhalte, seien Gespräche unmöglich. “So etwas kann es erst geben, wenn Russland sich damit abfindet, dass die Ukraine weiter existiert.”

Russland schießt weiter auf zivile Infrastruktur

Russland beschießt weiterhin zivile Ziele – ein Kriegsverbrechen und kein Novum in der russischen Kriegsführung in der Ukraine. In der Nacht auf Samstag ist gegen 1 Uhr Früh etwa das Hotel von ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz und seinem Team von russischen Granaten getroffen worden. Das berichtete Ö3. Wehrschütz befinde sich derzeit in Nikopol (Region Dnipropetrowsk) in der Nähe von Saporischschja. Verletzt wurde demnach niemand. Das Dach des Hotels sei zerstört, auch Zimmer seien beschädigt.

Der Leiter der Militärverwaltung der Region Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, bestätigte den Beschuss des Bezirks Nikopol. “Die Russen eröffneten das Feuer auf drei Gemeinden: Nikopol, Marhanez und Tscherwonohryhoriwka. Die Menschen blieben unverletzt”, schrieb Resnitschenko auf Telegram, wie die Nachrichtenagentur Ukrinform meldete. Seinen Worten zufolge wurden in der Stadt Nikopol Dutzende von Wohnblocks und Einfamilienhäusern beschädigt. Stromleitungen wurden unterbrochen.

(red/apa)

Titelbild: DIMITAR DILKOFF / AFP / picturedesk.com

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