Dienstag, April 23, 2024

Cherson: Kreml-Medien kritisieren Rückzug

Der Rückzug russischer Truppen aus Cherson wird in Russland als “taktisches Manöver” bezeichnet. Der Unmut ist jedoch groß.

Wien, 11. November 2022 | Nicht Krieg, sondern „Spezialoperation“, kein Rückzug, sondern „taktisches Manöver“ – seit Beginn des Ukraine-Kriegs umgehen russische Propagandamedien die Realität mit ausgewählten Begriffen. Die jüngsten Erfolge ukrainischer Truppen in der Ukraine haben in Russland jedoch zu einem Umschwung in der Tonalität und einer zweifelnden Einstellung in Staatsmedien geführt.

Langsam kommt der Unmut

Etwaige Verluste der russischen Truppen sind offenbar auch für die sonst realitätsverzerrenden Propagandamedien nicht schönzureden. Der Kreml spricht mittlerweile von einem Krieg gegen die NATO und nicht mehr nur gegen die Ukraine. So rechtfertigt man laut Experten die schwer erlittenen Niederlagen.

Ein Journalist der Nachrichtenagentur „RIA Nowosti“ schrieb: „Nach Cherson wird Russland die verfluchte Frage nach seiner Geschichte beantworten müssen.“ In einem Staatssender kommentierte der Moderator das Geschehen wiederum trocken: „Wenn ich die Entscheidung (Cherson zu verlassen) unterstütze, dann rufe ich öffentlich dazu auf, die territoriale Integrität Russlands zu verletzen. Das führt zu einigen Jahren im Gefängnis. Wenn ich die Entscheidung nicht unterstütze, dann diskreditiere ich öffentlich die Streitkräfte und muss in Gefängnis. Ich möchte nicht ins Gefängnis.“

Andere Moderatoren eröffnen indes Polit-Diskussionen mit der Fragestellung, welche Möglichkeiten „die Regruppierierung der Truppen auf das linke Ufer des Dnepr“ biete und verharmlosen damit den Rückschlag. Fernsehmoderator Wladimir Solowjow, der mit seiner Propagandasendung mittlerweile auch im Westen bekannt ist, verteidigte die Entscheidung und sprach von „viel Mut“, den es brauche, um so eine Entscheidung zu treffen. Sowohl im Fernsehen als auch in führenden Zeitungen wie „Moskowski Komsomolez“ ist durchweg die Rede von „taktischem Manöver“ zum Schutz der Soldaten.

Rückzug abgeschlossen

Schon seit Wochen befinden sich die russischen Truppen in Cherson in einer aussichtslosen Lage. Diese reicht zurück zu dem Zeitpunkt, als ukrainische Truppen im Sommer HIMARS-Raketen auf die strategisch bedeutende Antoniwkabrücke abfeuerten und die Oberhand über den Luftraum gewannen. Über diese Brücke wurden die russischen Truppen versorgt.

Seit Freitagmorgen gilt der „Transfer russischer Soldaten ans linke Ufer des Flusses Dnepr“ als vollständig abgeschlossen, wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte. Ende September hatte Putin in einer großen Zeremonie vier ukrainische Gebiete, darunter Cherson, völkerrechtswidrig zu russischen Gebieten erklärt. Laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow ändere der Abzug der Truppen nichts daran.

(nw)

Titelbild: BULENT KILIC / AFP / picturedesk.com

Nura Wagner
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