Energiecharta-Vertrag:
Im November entscheidet sich, ob der umstrittene Energiecharta-Vertrag reformiert oder unbedeutend wird. In Österreich regt sich Widerstand gegen das Abkommen.
Wien, 14. November 2022 | Der weitgehende unbekannte Energiecharta-Vertrag (ECV oder ECT) könnte in Europa bald Geschichte sein. Das Abkommen, das Investoren ein Klagsrecht vor einem internationalen Schiedsgericht ermöglicht, soll am 22. November in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar überarbeitet werden. Doch während Deutschland den Vertrag bereits gekündigt hat, wollen etliche EU-Staaten nachziehen. Der Vertrag verhindere klimafreundliche Maßnahmen, so der Vorwurf. In der EU könnte der ECV daher bald bedeutungslos werden.
Investoren geschützt
Der Hauptkritikpunkt der EU-Staaten zielt auf sogenannte ISDS-Klauseln ab. Diese ermöglichen es ausländischen Investoren aus dem Energiesektor bei gewinnschädigenden Reformen in den Vertragsstaaten gegen Nationalstaaten Klage vor einem internationalen Schiedsgericht einzureichen. Das kann zur Folge haben, dass Staaten Milliardensummen an Energiekonzerne als Schadenersatz abtreten müssen, wenn sie klimafreundlichere Gesetzgebungen beschließen. Selbst bei einem Austritt aus dem Vertrag sind Investitionen, die vor dem Austrittsdatum getätigt wurden, für weitere 20 Jahre durch den Vertrag geschützt.
Widerstand in Österreich
Laut österreichischem Gewerkschaftsbund (ÖGB) hätten internationale Konzerne gegen politische Umgestaltungen im Energiebereich über 150-mal erfolgreich gegen Staaten geklagt. Am Vertrag teilnehmende Staaten seien zu Zahlungen von mehr als 45 Milliarden Euro verpflichtet worden, so der ÖGB. „Der Ausstieg ist alternativlos, alles andere wäre ein nicht nachvollziehbarer Schritt der Unglaubwürdigkeit. Wer Ja zu klimafreundlicher und sozial gerechter Politik sagt, der muss auch Nein zum Energiecharta-Vertrag sagen“, fordert ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian die Kündigung des Vertrags.
Ähnlich sah es Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer: „Ich appelliere an die Bundesregierung, den Ausstieg Österreichs aus dem Energiecharta-Vertrag vorzubereiten. Am besten wäre ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen mit anderen EU-Staaten. Das müssen wir tun, wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen.“
„Der Energiecharta-Vertrag steht schon immer für die Interessen der Konzerne. Da ist es natürlich kein Wunder, wenn sich die ÖVP mal wieder schützend vor die Energiekonzerne stellt. Das kennen wir ja schon von der Blockade der Übergewinnsteuer“, schlägt die SPÖ-Abgeordnete Julia Herr eine Brücke zur aktuellen Tagespolitik.
Auch die Umweltschutzorganisationen Greenpeace und Global 2000 sind gegen den ECV. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) war vor ihrem Wechsel in die Politik bei Global 2000 tätig.
Österreichische Position “ergebnisoffen”
Im Klimaschutzministerium (BMK) selbst sieht man auf ZackZack-Anfrage zwar „berechtigte Kritik“ am ECV, wollte sich auf einen Ausstieg gegenüber ZackZack aber nicht festlegen: „Wir sind aktuell in Gesprächen innerhalb der österreichischen Regierung aber auch mit all unseren europäischen Partner:innen um die weitere Vorgehensweise zu diskutieren. Im Lichte der aktuellen Herausforderungen sind wir der festen Überzeugung, dass so eine Diskussion ohne Scheuklappen und ergebnisoffen geführt werden muss”, heißt es aus dem BMK.
Europäische Austrittswelle
Obwohl die EU-Kommission offiziell dafür eintritt, den Vertrag in der Mongolei zu reformieren, sind zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten entschlossen, aus dem ECV auszusteigen. Deutschland kündigte den Vertrag kürzlich, Frankreich, die Niederlande, Spanien, Slowenien und Polen wollen das Abkommen ebenfalls verlassen. Ein Grund dafür ist, dass die internationalen Schiedsgerichte auch nach der Reform Teil des ECV sein sollen. Italien hatte den Vertrag bereits 2016 verlassen.
Freihandelsabkommen
ISDS-Klauseln sorgten schon in der Vergangenheit für heftige Kritik. So wurden beispielsweise die Freihandelsabkommen CETA (EU-Kanada) und TTIP (EU-USA) für den Einfluss der internationalen Schiedsgerichte und das Torpedieren europäischer Standards kritisiert. Während CETA seitens des österreichischen Parlaments im Jahr 2018 ratifiziert wurde, obwohl laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung dagegen war, blieb der Widerstand gegen TTIP großteils aufrecht.
(dp)
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