Freitag, Mai 3, 2024

Trotz Briefing: Nehammer bei BMI-Projekt »nicht informiert«

Trotz Briefing:

Kanzler Karl Nehammer war am Mittwoch zum zweiten Mal vor den ÖVP-Untersuchungsausschuss geladen. Trotz eines Briefings als Innenminister will er nicht über ein Projekt im Innenministerium informiert gewesen sein.

Wien, 30. November 2022 | Am Mittwochvormittag war Kanzler Karl Nehammer zum zweiten Mal im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss vorstellig. Schon nach der ersten Befragung, die wenig ertragreich ausfiel, war es wahrscheinlich gewesen, dass Nehammer erneut vorgeladen würde.

Briefing aber “Keine Wahrnehmung”

NEOS-Fraktionsführerin Stefanie Krisper wollte von Nehammer wissen, welche Wahrnehmung er zu einem Projekt mit dem “International Centre for Migration Policy Development” gehabt habe. Das Projekt, welches freiwillige Rückführungen nach Nigeria fördern sollte floppte. Mit 270.000 wurde das Projekt, dem Ex-ÖVP-Chef Michael Spindelegger vorsteht, vom Innenministerium gefördert. Nur eine einzige Person reiste freiwillig zurück. “Keine Wahrnehmung”, antwortete Nehammer. Doch Krisper hatte ein Dokument in der Hinterhand, das Nehammers Aussage zweifelhaft erscheinen ließ. Aus dem Dokument ging hervor, dass er als Innenminister von Mitarbeitern des Innenministeriums (BMI) dazu gebrieft wurde. Auf Krispers Nachfrage verteidigt sich Nehammer: „Informationen zu bekommen heißt nicht, dass man sie auch gesehen oder gelesen hat“

Vage Aussagen

Ebenso Thema: der ehemalige Sebastian Kurz-Sprecher Gerald Fleischmann. Der SPÖ-Abgeordnete Christoph Matznetter fragte, ob er mit dem kürzlich zum ÖVP-Kommunikationschef bestellten Fleischmann im Untersuchungszeitraum über Umfragen und Inserate gesprochen hatte. Nehammer konnte es “weder bestätigen noch ausschließen”. Ähnliches gilt für Umfragen beim Institut Demox, auch hierüber habe Nehammer mit Fleischmann gesprochen – ohne konkrete Erinnerung. Gegen Fleischmann laufen Ermittlungen wegen des Beinschab-Tools. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Eingeschränkte Wahrnehmungen

Der SPÖ-Mann klopfte Bundeskanzler Nehammer danach zu dessen Wahrnehmung bezüglich Inseratenvergaben und Gegengeschäften ab. So ging es etwa darum, ob sich Nehammer als Innenminister an Stundungen und Inseratenvergaben von und an die Agentur “Media Contacta” erinnern könne, sowie ob er als Innenminister für die hohen Inserate des BMI an die Mediengruppe “Österreich” verantwortlich gewesen sei. Sowohl 2020 und 2021 war das Innenministerium dasjenige Ministerium, das das meiste Geld für Inserate bei “Österreich” ausgegeben habe. Nehammer verwies auf klare Richtlinien im BMI zur Inseratenvergabe. Zu Unregelmäßigkeiten und Vorteilnahme der ÖVP habe er “keine Wahrnehmung”. Zwar habe er den Geschäftsführer der “Media Contacta” getroffen, könne sich allerdings nicht erinnern, ob es bei der Zusammenkunft um Inserate gegangen sei.

“Keine Wahrnehmung” hatte Nehammer desweiteren nicht nur dazu, ob das BMI Ressourcen für den EU-Wahlkampf der ÖVP zur Verfügung gestellt hatte, sondern auch, ob es ein bestimmtes Budget für Inserate im Magazin “Österreich sicher” gab. Auch dazu, ob jemand im Bundeskanzleramt oder Innenministerium zur Datenlöschung angeregt hatte, hatte Nehammer “keine Wahrnehmung.

Zahlreiche Verschleppungen

Obwohl der Vorsitz, diesmal anfangs nicht von Wolfgang Sobotka, sondern von Norbert Hofer (FPÖ) fast alle Fragen Matznetters als zulässig erachtete, wurde die Sitzung mehrmals unterbrochen. Grund dafür waren Geplänkel über die Geschäftsordnung, die vor allem von ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger und seinem SPÖ-Pendant Jan Krainer eingeleitet wurden. “Diese Befragung ist eine einzige Farce”, meinte Krainer zur Befragung Hangers. “Das hab ich ma bei dir auch scho oft dacht”, stichelte Hanger zurück.

Geringe Erwartungen

Schon aus den Eingangsstatements der Fraktionen ging klar hervor: Hoch lagen die Erwartungen bereits vor der Befragung des Kanzlers bei keiner Partei. Während die Opposition eine erneute Verzögerung der Fragerunden durch Geschäftsordnungszwischenrufe befürchtete, den “Gehalt der Aufklärung” bei bekannten ÖVP-Personen schon in der Vergangenheit “überschaubar” fand und bei der ÖVP ein “dünnes Selbstreflexionsbewusstseins” verortete, glaubte auch ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger nicht an erhellende Erkenntnisse.

(dp)

Titelbild: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

DanielPilz
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Taucht gern tiefer in komplexe Themengebiete ein. Lebt trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm und verpasst fast kein Fußballspiel.
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11 Kommentare

  1. Nehammer wurde also gebrieft, meinte aber, Informationen zu bekommen heisst nicht, daß man sie gesehen oder gelesen haben muss.
    Hat er sie gehört – oder nicht ? Das hätte Krisper nachfragen sollen.

    • Wenn Jemand Aufgaben an einen Mitarbeiter delegiert, dann bleibt trotzdem dieser der dafür Verantwortliche, auch wenn der Verantwortungsträger es nicht nachprüft ist meine Meinung.
      Aber für was bräuchten wir dann überhaupt Minister. Diese können ja nie alle Bearbeitungen kennen, müssen diese aber trotzdem verantworten und in ihrer Organisation sicherstellen, dass sie bei wichtigen Dingen entsprechend nachweislich informiert werden.
      Gibt es aber in unserem Staatsgefügen nun ein Qualitätsmanagement oder nicht?
      Der Mindeststandarf wäre hier die ISO 9.000 und dort ist alles so geregelt, dass eine solche Aussage eines Kanzlers meiner Meinung nach zu seinem sofortigen Rücktritt führen müsste?

  2. Irgendwie drängt sich der Verdacht auf, dass sich politische Vaupen-Kompetenzen auf Spitzen-Entscheidungsebene(n) hierzulande reziprok zur Erinnerungs- bzw. Wahrnehmungsfähigkeit strategisch / operativer Planspielchen verhält. Diesem (fast schon menschenunwürdigen) Ausmaß an kognitiven Dissonanzen kann – wie offiziell authentisch belegt – offenbar entweder wirklich nur mit ausreichendem Alkoholgenuß bzw. Tranquilizern, oder kompensatorisch überreichlich monetärer Entlohnung begegnet werden… (Intensive Rauscherlebnisse zeitigen eine nicht zu vernachlässigende Gehirnzellenvernichtung, wie allgemein bekannt, “Erinnerungslücken” deshalb auch irgendwie glaubhaft erscheinen könn(t)en…) unter dem Motto: “Glücklich ist, wer vergisst.” Verwandte Analogien dazu findet man zB auch unter https://de.wikipedia.org/wiki/The_Great_Reset

  3. Hoffentlich, daß da keine Falschaussage vor dem UA dabei war. Hoffentlich, daß sich da kein Beamter im BMI erinnert, daß der Minister so reagiert hat als hätte er die Unterlagen gelesen und verstanden…

    • Für so eine Aussage muss doch die Beweislastumkehr gelten, aber auch die trotzdem dafür geltende Haftung und damit auch die ordnungsgemäße Zustellung?

  4. Hoch lagen die Erwartungen bereits vor der Befragung des Kanzlers bei keiner Partei.

    War klar…ist ja die selbe Pfeife wie Kurz…

  5. Wenn man bedenkt, wegen was Herr Strache zurücktreten musste?
    So sah man aber auch bei Herrn Strache, wie ein Politiker wenn er nicht in der Öffentlichkeit steht die Dinge sieht und bewertet und darüber spricht. Deshalb sind auch die Aussagen von Herrn Nehammer völlig weltfremt und unglaubwürdig.
    Leider aber bleibt auch das alles wieder ohne irgendeiner Konsequenz. Hier darf ich auch wiederum die Absetzung von Herrn Kickel durch den Bundespräsidenten noch zum weiteren Toppen dieser Feststellungen noch hinzufügen.

    Gott sei Dank leben wir aber schon lange in einer Wahldemokratie, wo das eben ein bereits anerkannter und üblicher Standard zu sein scheint und auch sie unter Nationalrat damit schon lange abgefunden hat, wie eben auch die gekauften Medien, welche kaum darüber, wenn überhaupt schon einmal, berichten…

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