Freitag, September 6, 2024

»Managing the Scandal«: ÖVP-Mandl distanziert sich von Kaili

EU-Politiker Lukas Mandl (ÖVP) sitzt im Board einer illustren Lobbyorganisation. Genauso wie kürzlich noch die korruptionsverdächtige Parlaments-Vize Eva Kaili, von der sich Mandl umfassend distanziert. Fragen bleiben aber offen.

Benjamin Weiser

Brüssel, 13. Dezember 2022 | Die Lobbyorganisation SME Connect ist eine Brüsseler Spezialität, sagen Kenner. Denn das Board dieses Verbandes für Klein- und Mittelständler (KMU) besteht ausschließlich aus EU-Abgeordneten. Lobbyisten, die hauptberuflich Politiker sind? Das ist in Brüssel offenbar an der Tagesordnung.

Eine Führungsriege, die sich (nicht) kennt

Wirft man einen Blick in die Reihen von SME Connect, fallen einige schillernde Namen ins Auge. Präsident ist ÖVP-Urgestein Paul Rübig. Anders als die Board-Mitglieder sitzt er seit 2019 nicht mehr im Parlament. Gegen den umtriebigen Oberösterreicher laufen aktuell Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen mutmaßlicher Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses – was Rübigs Anwalt zurückweist.

Dem Board von SME Connect gehört die niederösterreichische ÖVP-Hoffnung Lukas Mandl an, der sich für KMU, aber auch den Kosovo und die Ukraine engagiert. Dessen Board-Kollegin war bis vor kurzem noch die de facto abgesetzte griechische Parlaments-Vizepräsidentin Eva Kaili.

Rund um letztere waren Vorgänge publik geworden, die Brüssel derzeit bis ins Mark erschüttern. Sozialdemokratin Kaili soll vom autoritären Golfstaat Katar mit Säcken voller Geld gekauft worden sein, um EU-Entscheidungen zum Vorteil des WM-Ausrichterlandes zu beeinflussen. Sechs Verdächtige wurden seit Freitag festgenommen, darunter auch Kaili. Stand jetzt ist SME Connect von den Katar-Enthüllungen nicht betroffen.

Screenshot www.smeconnect.eu am 13.12.2022. Am frühen Nachmittag wurde das Bild von Kaili gelöscht.

Das EU-Beben führte jedoch augenscheinlich zu hastigen Löschvorgängen. Nachdem ZackZack Anfragen an SME Connect aussandte, ist unmittelbar danach das Bild von Eva Kaili von der Website gelöscht worden. Zuvor war sie direkt neben Mandl zu sehen.

Whatsapp-Gruppe soll aufgeklärt haben, wer Kaili ist

Gegenüber ZackZack distanziert sich der ÖVP-Politiker jetzt umfassend. Immerhin war die Griechin nicht nur Board-Kollegin bei SME Connect, sondern mit Mandl ebenfalls im Board der Jungparlamentarier-Gruppe EU40. Beide traten – gemeinsam mit lediglich 28 von insgesamt 705 EU-Abgeordneten – für eine Initiative rund um die Freilassung armenischer Inhaftierter in Aserbaidschan ein. Rübig wiederum, der Mandl ins Board von SME Connect brachte, traf Kaili gar in Oberösterreich bei einem Event zum Thema Forschung und Entwicklung, kommt neben ihr in Publikationen vor. Fest steht: Es gibt thematische Schnittmengen – Technologie, Künstliche Intelligenz, alles Digitale.

Mandl aber will Kaili auf Nachfrage nicht gekannt haben, von etwaiger Bestechlichkeit Kailis habe er demnach nichts gewusst: „Am Freitagabend (nach Bekanntwerden des Katar-Gates, Anm.) musste ich den Namen erst googeln.“ Anstoß gab offenbar eine Whatsapp-Gruppe namens „Managing the Scandal“, wie Mandl erzählt. So habe man von Kaili und den Vorwürfen erstmals erfahren. Zur Erinnerung: Bis zur Suspendierung am Dienstag war Kaili immerhin Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Eventuell kenne man sich vom Vorbeilaufen, so Mandl. Die Causa mache den Niederösterreicher „persönlich betroffen“.

Wie SME Connect finanziert wird, ist unklar. Mandl könne dazu nichts sagen, er engagiere sich bei vielen Organisationen und sei hierfür der „falsche Ansprechpartner“. Ob bei SME Connect oder bei EU40 – generell will sich Mandl seine Arbeit nicht kaputtmachen lassen: „Ich trete jetzt nicht wegen einer charakterlosen Person aus.“ Er, Mandl, kommuniziere überdies immer offensiv und wolle EU-Themen in den öffentlichen Fokus rücken. Für den Mittelstand kämpfe er überparteilich, denn der sei schließlich das Rückgrat der „europäischen und auch österreichischen Wirtschaft.“

Big Tech statt KMU?

Doch was macht die Lobbyorganisation SME Connect eigentlich genau? Auf der Website findet sich eine Beschreibung, die einem eigentümlichen Spagat gleicht: Demzufolge handelt es sich um eine „nicht-politische“ Organisation, die von einem „gemeinnützigen“ Führungsgremium bestehend aus Politikern beraten wird.

Jüngst wurden Vorwürfe abseits der Katar-Causa publik, zu denen SME Connect bislang eisern schweigt. Demnach sollen sich Big Tech-Konzerne wie Meta oder Amazon sogenanntem „Astroturfing“ bedient haben. Das geht aus einem Bericht des US-Magazins „Politico“ vom Oktober hervor. Die Vorwürfe stammen ursprünglich von den sozialdemokratischen EU-Abgeordneten Paul Tang (Niederlande), René Repasi (Deutschland) und Christel Schaldemose (Dänemark). Darin genannt wird auch SME Connect.

Was meint „Astroturfing“? In diesem Fall sollen US-Tech-Riesen unter dem Mantel „kleinerer Tarnorganisationen“ aus dem KMU-Bereich ihr wahres Lobbying verschleiert haben, um subtil beim Gesetzgeber die Verhandlungen entscheidender Digitalgesetze zu beeinflussen – dem Digital Markets Act (DMA) und dem Digital Services Act (DSA). Sinn und Zweck der Gesetze ist es nämlich, die Marktmacht von Facebook & Co. zu begrenzen. Bei Vergehen drohen empfindliche Strafen. An die KMU-„Tarnorganisationen“ soll Geld geflossen sein, während vonseiten der Großkonzerne „Instruktionen“ gekommen sein sollen. Amazon beschwichtigte gegenüber „Politico“, während Meta bislang nichts dazu gesagt haben soll.

Freund oder Feind? Unter den „Freunden von SME Connect“ finden sich auch die ganz großen Fische. Screenshot www.smeconnect.eu.

Ob und wie viel tatsächlich bezahlt wurde, ist nicht bekannt. SME Connect betont gegenüber ZackZack, man sei eine europaweite Plattform, die über 27 Organisationen beheimate und an Zusammenarbeit glaube. Man sei im EU-Transparenzregister erfasst und werde auch weiterhin die Sicht der KMU vertreten. Zu den Vorwürfen äußert man sich allerdings nicht. Was entgegnet KMU-Kämpfer Mandl? Immerhin widersprechen die Interessen der KMU in vielen Dingen jenen der Tech-Riesen aus dem Silicon Valley. Der ÖVP-Politiker habe „keine Wahrnehmung“ zu allfälligen Big Tech-Aktivitäten der SME Connect. Er könne außerdem nur für sich selbst sprechen und bemühe sich immer um „Transparenz“.

Titelbild: Franz Neumayr / picturedesk.com

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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