Samstag, Juli 27, 2024

Die Orbanisierung, die Kurz immer wollte

Noch sind die Folgen der Medienkrise nicht abschätzbar. Das „Profil“ ringt um seine Unabhängigkeit, doch der Kampf um die Infrastruktur der Demokratie hat erst begonnen.

Kommentar von Benjamin Weiser

Wien, 20. Dezember 2022 | Was derzeit in der österreichischen Medienlandschaft passiert, ist ein harter Kampf zwischen mehr Orbanisierung auf der einen und mehr Unabhängigkeit auf der anderen Seite. Ausgang ungewiss.

Mit freundlicher Unterstützung der Grünen und der nötigen Portion Frechheit marschiert die ÖVP durch die von ihr selbst entfachte Medienkrise, um daraus Nutzen zu ziehen. Mit dem Presslufthammer wird die „Wiener Zeitung“ zerschlagen, kritische Medien sollen möglichst keine Förderung bekommen, Propagandamaschinen zwischen Putinliebe und Ausländerhass werden derweil mit Geldern zugeschüttet.

Doch die gefährlichste Entwicklung seit Platzen der ÖVP-Medienaffäre ist die des „Profil“. Als investigativ arbeitender Journalist kann man sich gut daran orientieren, was Kollegen wie Michael Nikbakhsh und Stefan Melichar immer wieder zu Papier bringen. Akribische Recherche, keine Scheuklappen, Präzision und Relevanz. Das „Profil“ ist in einer Medienlandschaft mit Regierungsüberhang eine wichtige unabhängige Instanz.

Ungewisse Zukunft für „Profil“

Jetzt wird das Magazin von Richard Grasl geführt. Einem Mann, den die ÖVP als ORF-Chef haben wollte und der als Vizechefredakteur im „Kurier“ bis zum bitteren Ende Sebastian Kurz verteidigte. Er ist in guter Gesellschaft. Das „Kurier“-Medienhaus befindet sich im Eigentum eines Raiffeisen-Beteiligungsvehikels und der Funke-Gruppe um Immo-Jongleur René Benko.

Raiffeisen-Generalanwalt und RBI-Aufsichtsratsboss Erwin Hameseder wiederum sollte auf Wunsch von Kurz ursprünglich Verteidigungsminister werden. Seit dem Ausscheiden von Walter Rothensteiner wacht er über Bankengeschäft und Medienhaus.

Gerüchte aus Bankenkreisen, wonach bereits an Hameseders Nachfolge aus dem Biotop der ÖVP gearbeitet wird, werden auf Nachfrage dementiert. Wie auch immer: Dass das „Profil“ mehr denn je in diesen Kreisen „gefangen“ sein könnte, kann für die Medienhygiene in diesem Land nur schlecht sein. Da kann noch sooft betont werden, dass von oben kein Einfluss auf die Redaktion genommen wird: die Schere im Kopf ist da.

Der Kampf hat erst begonnen

Doch der Kampf um Unabhängigkeit und Pressefreiheit ist nicht verloren. Durch Enthüllungen wie zuletzt im „Standard“ über die Umtriebe im ORF Niederösterreich tut sich etwas. Mehrere Chefredakteure nahmen zuletzt ihren Hut, weil der Druck zu groß wurde. Ihnen wurde ironischerweise zum Verhängnis, was sie nicht mehr im Blut oder gar verhindert hatten: Kritischer Journalismus. Er gehört zur Infrastruktur der Demokratie, die von vielen Seiten angegriffen wird. Das muss man auch im globalen Zusammenhang betrachten.

Stichwort Twitter unter Elon Musk. Der Kurznachrichtendienst ist gerade für die Medienbranche ein wichtiges Tool, man kann Storys erahnen, verbreiten und diskutieren, der mediale Diskurs wird gewissermaßen (wenn auch selektiv) dort verschriftlicht.

Dass aber Journalistinnen nach Gutdünken gelöscht und wieder freigeschaltet werden, deutet darauf hin, wie milliardenschwere Medieneigentümer an der Seite von narzisstischen Politverlierern wie Donald Trump oder Sebastian Kurz den Diskurs weiter nach rechts verschieben wollen. Aktuell wird sogar über Trump-Schwiegersohn Jared Kushner als Musks Twitter-CEO spekuliert – der Kreis würde sich schließen. Solche Figuren können niemals an der Seite unabhängiger Journalistinnen stehen. Sondern allenfalls auf dem Titelblatt. In Österreich und überall sonst.

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

34 Kommentare

34 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Die Ergebnisse der Pilnacek-Kommission

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!