Samstag, Juli 27, 2024

So schummelte Österreich beim EU-Corona-Aufbauplan

Bei den Verhandlungen des milliardenschweren Corona-Aufbauplans der EU inszenierte sich die Kurz-Regierung als Teil der „frugalen Vier“ – um später die eigenen Kriterien zu untergraben. Gemeinsame Recherche mit internationalen Partnern.

Benjamin Weiser

Brüssel/Wien, 27. Jänner 2023 | Rund 700 Milliarden Euro will Brüssel in die EU-Mitgliedstaaten pumpen, um die Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Unter dem Druck einer Vier-Staaten-Gruppe aus Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark („Frugale Vier“) führte man im Jahr 2020 harte Kriterien für die Auszahlung ein. Der damalige ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz inszenierte sich an der Seite des niederländischen Premiers Mark Rutte als harter Hund und sparsamer Kontrolleur der EU-Milliarden.

Inszenierung als Türsteher

Ein internationales Rechercheteam ist der Frage nachgegangen, welche Maßnahmen der nationalen Aufbaupläne wirklich neu sind – eine zentrale Forderung der türkis-grünen Bundesregierung unter Kurz’ Kanzlerschaft. Ergebnis: die wenigsten.

Zuvor hatten einige Staaten mehr Flexibilität eingefordert. Es müsse möglich sein, auch laufende Maßnahmen zu finanzieren, hatte es etwa vonseiten Maltas geheißen. Doch laut einem vertraulichen Dokument, das ZackZack und „Follow the Money“ vorliegt, stellten sich Schweden und Österreich quer: „Die Finanzierung EU-Ebene sollte als Anreiz für ehrgeizige Strukturreformen genutzt werden, die sonst nicht stattfinden würden.“

Eigene Vorgaben nicht eingehalten

Blickt man genau hin, verbirgt sich hinter der Knallhart-Masche der „frugalen Vier“ nicht viel. Denn ausgerechnet Österreich reichte einen Plan ein, der zu 96 Prozent aus bereits bekannten Vorhaben besteht und in Wahrheit einer Art Zweitverwertung des Regierungsprogramms entspricht. Das fand der Think Tank und ZackZack-Partner „Momentum Institut“ heraus.

In einem „Momentum“-Papier heißt es: „Nur 5 der geplanten Investitionsprojekte sind tatsächlich gänzlich neue Ideen. Knapp die Hälfte (16 Projekte) sind bereits umgesetzt bzw. beschlossen und werden jetzt nur im Plan angerechnet. Weitere 12 Projekte sind noch nicht umgesetzte/beschlossene Ideen, die aber im Regierungsprogramm stehen. Betrachtet man das viel relevantere gesamte Investitionsvolumen der oben genannten Projekte, so stammen lediglich 4 % aus neuen Projekten.“

Aber wohin wandert das Geld im Falle Österreichs eigentlich? Der Löwenanteil, 52 Prozent, ist für Infrastrukturinvestitionen vorgesehen. 28 Prozent sind für Unternehmen reserviert, während 17 Prozent für Arbeitnehmerinnen und Familien übrigbleiben. Thematisch stehen eigentlich die beiden Schwerpunkte Klima und Digitalisierung im Vordergrund. Doch laut „Momentum“-Berechnungen sind die CO2-Effekte weitgehend nebulös. So spreche der Wiederaufbauplan von Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Tonnen CO2. „Wie diese Zahlen berechnet werden, bleibt allerdings unklar“, kommen die Experten zum Schluss.

Weitere Tricks

Auch andere Länder schummelten offensichtlich. So reichte es für die Beantragung der begehrten Gelder aus Brüssel teilweise aus, ohnehin umzusetzende EU-Richtlinien in nationales Recht zu übertragen. Dafür braucht es aber keinen milliardenschweren Fonds. Ein Trick, den laut Recherchen acht Länder anwandten: Bulgarien, Spanien, Kroatien, Zypern, Italien, Slowakei, Litauen und Rumänien.

Deutschland wiederum muss darum bangen, eine bereits vereinbarte Zahlung nicht gänzlich ausgezahlt zu bekommen, wie „Die Welt“ schreibt. Hintergrund seien Probleme bei der Entwicklung von Impfstoffen. Dafür wollte Berlin insgesamt 712,5 Millionen Euro, um sie den Corona-Impfstoff-Produzenten auszahlen zu können. Während Biontech lieferte, zog die zweite deutsche Firma, Curevac, einen Genehmigungsantrag zurück. Am Ende zahlte Deutschland letztlich nur 591 Millionen an die Firmen aus.

Brüssel zahnlos

Die Europäische Kommission als „Hüterin der Verträge“ sollte bei all den mangelhaften Plänen eigentlich auf die Umsetzung von EU-Recht drängen, ohne dafür mit Sonderwünschen zu locken. Immerhin geht es um hunderte Milliarden Euro. Experten mahnen schon länger, dass Brüssel immer mehr der Wille zur Konfrontation mit den Mitgliedstaaten fehlt: „Die Hüterin der europäischen Verträge hat das Schiff verlassen“, sagte Politikwissenschaftler Tommaso Pavone in einem Interview mit „Follow the Money“. Fest steht: Die Angst vor Korruption und dem Versickern der Milliarden im Dickicht nationaler Strukturen scheint mehr denn je berechtigt.

Das Finanzministerium reagierte wie bereits auf vorige Anfragen zum Thema bislang nicht. Eine Sprecherin des Außenministeriums verwies hinsichtlich einer Frage nach der Rolle der österreichischen Diplomatie im Verhandlungsprozess auf die Zuständigkeit des Bundeskanzleramtes, das zum damaligen Zeitpunkt noch von Kurz geführt worden war.

#RecoveryFiles ist ein paneuropäisches Investigativ-Projekt über den europäischen Covid-19-Rettungsfonds, das zum Teil durch den IJ4EU-Fonds ermöglicht wird. Für diese Untersuchung hat sich „Follow the Money“ mit Journalisten aus ganz Europa zusammengetan.

Die Recherchekooperation wurde durch einen Zuschuss aus dem IJ4EU-Fonds unterstützt.

Diese Journalisten waren an den Recherchen beteiligt:

Ada Homolova (Follow the Money, Niederlande), Adrien Senecat (Le Monde, Frankreich), Ante Pavić (Oštro, Kroatien), Attila Biro (Context Investigative Reporting Project, Rumänien), Ben Weiser (ZackZack, Österreich), Carlotta Indiano (IRPI, Italien), Daiva Repeckaite (freie Journalistin, Litauen), Gabi Horn (Szabad Európa, Ungarn), Giulio Rubino (IRPI, Italien), Hans-Martin Tillack (WELT, Deutschland), Janine Louloudi (Reporters United, Griechenland), Jarno Liski (Iltalehti, Finnland), Karin Kőváry Sólymos (Investigatívne centrum Jána Kuciaka, Slowakei), Karolina Farská (Investigatívne centrum Jána Kuciaka, Slowakei), Lars Bové (De Tijd, Belgien), Maria Delaney (Noteworthy, Irland), Maria Pankowska, (OKO.press, Polen), Mihaela Tănase (Context Investigative Reporting Project, Rumänien), Nadia el Khannousi (Follow the Money, Niederlande), Peter Teffer (Follow the Money, Niederlande), Petr Vodsedalek (Deník, Tschechien), Staffan Dahllöf (DEO.dk, Dänemark/Schweden), Steven Vanden Bussche (Apache, Belgien)

Titelbild: ZackZack/Christopher Glanzl

Autor

  • Ben Weiser

    Ist Investigativreporter und leitet die Redaktion. Recherche-Leitsatz: „Follow the money“. @BenWeiser4

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