Samstag, Juli 27, 2024

Georgien: Umstrittenes Gesetz nach massiver Protestwelle zurückgezogen

Das georgische Parlamentsgebäude in Tiflis wurde seit Dienstag im Zuge einer Protestwelle von Demonstranten umkreist. Wenige Stunden später zog die Regierung einen kontroversen Gesetzesentwurf zurück.

Tiflis | Während in Frankreich anhaltende Protestaktionen gegen die Anhebung des Pensionsalters, die landesweit zu starken Ausfällen in der Infrastruktur führten, keine Resonanz bei der Regierung finden, hat die georgische Bevölkerung nach zwei protestreichen Tagen einen russlandorientierten Gesetzesvorstoß, nach dem sich Medien und NGOs der Überwachung durch das Justizministerium hätten unterwerfen müssen, zum Kippen gebracht.

Eintragung ins Register bei Einnahmen aus dem Ausland

Im Konkreten handelt es sich bei dem Gesetzesentwurf, der am 14. Februar 2023 von einer Gruppe antiwestlicher Abgeordneter aus der georgischen Regierungspartei „Georgischer Traum – Demokratisches Georgien“ im Parlament eingebracht wurde, um ein an die russische Judikatur angelehntes Gesetz zur „Registrierung ausländischer Agenten“. Die Verfasser des Entwurfs schlugen vor, beim Justizministerium ein Register aus NGOs und Medien einzurichten, die finanzielle Mittel aus ausländischen Quellen erhalten und dadurch in der Lage sein könnten, öffentliche Entscheidungen und Meinungen zu beeinflussen.

Betroffen davon sollten alle juristischen Personen und Medienunternehmen sein, die mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus ausländischen Quellen beziehen. Dem Gesetzesentwurf zufolge müssen Organisationen, die diese Kriterien erfüllen, sich in ebenjenem Register eintragen und eine jährliche Finanzerklärung abgeben. Andernfalls würde ihnen eine Geldstrafe von über 9.000 Euro oder eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren drohen.

Annäherung an Russland

Diese Initiative stieß sowohl bei der Opposition als auch bei westlichen Politikern auf harte Kritik. Die Gruppe Abgeordneter wurde als „prorussisch“ bezeichnet. Es hieß, der Entwurf sei eine Anlehnung an die russischen Rechtsvorschriften über ausländische Agenten.

Seit April 2021 wurde in Russland sukzessive zahlreichen unabhängigen Medien und Nichtregierungsorganisationen ein Maulkorb verpasst, indem sie zu „ausländischen Agenten“ erklärt wurden. Seitdem müssen diese jede Veröffentlichung mit folgender umständlichen Warnung in Versalien versehen: “Die vorliegende Meldung wurde von einem ausländischen Medienunternehmen, das die Aufgaben eines ausländischen Agenten ausübt, und/oder von einer russischen juristischen Person, die die Aufgaben eines ausländischen Agenten ausübt, erstellt und/oder verbreitet.”

Die Opposition warnte davor, sich mit der Verabschiedung eines solchen Gesetzes die Chance auf den EU-Kandidatenstatus zu verspielen. Die EU hatte verdeutlicht, dass die Verabschiedung des Gesetzes nicht mit dem Wunsch, der EU beizutreten, vereinbar wäre. In der südkaukasischen Republik gibt es seit Jahren eine breite Unterstützung für eine EU-Mitgliedschaft.

„Überarbeitung“ mit vermeintlicher Annäherung an US-Gesetz

Die Verfechter des Entwurfs wiesen den Vorwurf, sich juristisch an Russland anzunähern, zurück und brachten eine überarbeitete Fassung ein. Diese soll sich am US-amerikanischen „Foreign Agents Registration Act“ (FARA) orientieren. Der Inhalt blieb nahezu unverändert, nur die Ahndung bei Verstößen wurde verschärft.

Die Prüfung des Gesetzesentwurfs löste in Tiflis, Batumi und Kutaisi Massenproteste aus. Zahlreiche Journalisten, Oppositionelle und Menschenrechtsaktivisten versammelten sich vor dem Parlament. In weiterer Folge vermehrfachte sich die Anzahl Protestierender gewaltig. Dies führte zu Zusammenstößen mit der Polizei, die Tränengas und Wasserwerfer einsetzte, um die Menge zu zerstreuen. Außerdem wurden zahlreiche Teilnehmer verhaftet. Unterschiedlichen Quellen zufolge versammelten sich 30 bis 40.000 Demonstranten.

„Bedingungslos“ fallen gelassen

Nach einer zweiten Nacht massiver Proteste hat die georgische Regierung dann am frühen Donnerstagmorgen eine Erklärung abgegeben, in der sie zustimmen den Gesetzesentwurf „bedingungslos“ fallen zu lassen. Die Erklärung wurde gemeinsam mit der Gruppe antiwestlicher Abgeordneter veröffentlicht. „Sobald sich die Emotionen gelegt haben, werden wir der Öffentlichkeit besser erklären, wozu der Gesetzentwurf diente und warum es wichtig war, die Transparenz ausländischer Einflussnahme in unserem Land zu gewährleisten“, heißt es in der Erklärung. Die Nachricht, dass der Gesetzesentwurf fallen gelassen wird, wurde sowohl in Georgien als auch im Ausland mit großem Beifall unterstützt.

Titelbild: STRINGER / AFP / picturedesk.com

Autor

  • Nura Wagner

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