Sozialleistungen zu kürzen, um mehr Menschen zur Vollzeitarbeit zu bewegen, ist der falsche Ansatz.
Wien | Vor einem Monat ließ Arbeitsminister Kocher mit der Forderung nach einer Kürzung der Sozialleistungen für Teilzeitbeschäftigte aufhorchen. Seitdem ist eine Debatte rund um angeblich fehlende Anreize für eine Vollzeitanstellung entbrannt. Wenn alle nur mehr Teilzeit arbeiten, können wir uns unseren Sozialstaat nicht mehr leisten, so die These. Dabei gibt es für Beschäftigte bereits heute starke Anreize Vollzeit zu arbeiten. Neben dem höheren Lohn haben Vollzeitbeschäftigte bei allen einkommensabhängigen Sozial- und Versicherungsleistungen einen Vorteil. Sie haben Anspruch auf eine höhere Pension und bekommen mehr Arbeitslosen- oder Kinderbetreuungsgeld.
Für drei von vier Teilzeitangestellten wären diese Anreize stark genug, aber sie arbeiten unfreiwillig in Teilzeit. Etwa weil sie Betreuungspflichten erfüllen oder einer Ausbildung nachgehen müssen. Eine Kürzung der Sozialleistungen wird sie kaum dazu bringen, in eine Vollzeitstelle zu wechseln. Solange Kinder- und Altenbetreuung ihre Privatsache bleibt, führen zusätzliche Anreize ins Leere, verursachen aber – in der Form von Sozialleistungskürzungen – einen enormen finanziellen Schaden für die Betroffenen.
Reiche leisten es sich
Gleichzeitig sind es Beschäftigte der reicheren Einkommenszehntel, in denen die Teilzeitarbeit immer beliebter wird. Sie können es sich eben leisten, auch weniger Stunden zu arbeiten. Wer gut verdient, verkraftet finanzielle Einbußen leichter. Auch in dieser Gruppe bliebe die vom Minister gewünschte Anreizwirkung wohl eher aus. Wir sehen: Die laufende Arbeitszeitdebatte hat eine große verteilungspolitische Dimension, die bislang zu wenig Aufmerksamkeit bekommt.
Unselbständig Beschäftigte aus dem reichsten Einkommenszehntel konnten ihre Arbeitszeit in den vergangenen sieben Jahren und fast sieben Prozent reduzieren. Das ist mehr als bei allen anderen Einkommenszehnteln und fast dreimal so viel wie der Durchschnitt reduzierte.
Vollzeit ausgeschlossen
Gleichzeitig wollen Beschäftigte aus den ärmeren Einkommenszehntel sogar mehr Wochenstunden arbeiten. Sie können es aber aufgrund der Rahmenbedingungen nicht. Zu diesen fehlenden Rahmenbedingungen gehören neben dem fehlenden Ausbau von leistbaren Kinderbetreuungsstätten auch die Unternehmen, die eine Vollzeitstelle oftmals blockieren. Wer nimmt Unternehmen in der Debatte in die Pflicht? In einigen Branchen ist bis zu ein Drittel der offenen Stellen nur in Teilzeit ausgeschrieben. Viele Branchen, denken wir nur an den Handel, setzen explizit auf Teilzeit, weil sie so Nachfragespitzen, etwa an Samstagen, leichter abdecken können, ohne Überstunden zahlen zu müssen.
Weniger könnte mehr sein
Grundsätzlich gibt es viele gute Gründe, freiwillig weniger Stunden zu arbeiten. Gesundheit und Produktivität profitieren, gleichzeitig können Männer, die Stunden reduzieren, mehr Care-Arbeit übernehmen und ihre Partnerinnen entlasten. Als Gesellschaft können wir uns eine Arbeitszeitreduktion allemal leisten. Die letzte Stundenreduktion fand vor fast 40 Jahren statt, dabei haben Arbeiternehmer:innen ihre Produktivität kontinuierlich gesteigert. Sieben Mal so viel wie 1950 produzieren wir heute.
Jakob Sturn arbeitet am Momentum Institut zur Frage, wie wir unsere Arbeitswelt fair gestalten können. Er schreibt und forscht zu Arbeitsmarkt, Löhnen, Verteilung und Steuerpolitik. Volkswirtschaft hat er an der Wirtschaftsuniversität Wien und der University of Illinois studiert.
Titelbild: ZackZack / Miriam Mone