Samstag, Dezember 14, 2024

Ausgerechnet: Was wir wirklich brauchen, um Armut abzuschaffen

Während für viele Menschen am Ende des Geldes noch immer „zu viel Monat“ übrigbleibt, erzählt der Bundeskanzler von Eigenverantwortung und Leistungsmärchen. Um Armut effektiv zu bekämpfen, braucht es politische Lösungen.

Von Sophie Achleitner für ZackZack

Am Ende des Monats kein Geld mehr für ein warmes Essen? Die Waschmaschine ist kaputt, aber sie zu ersetzen nicht leistbar? Schon wieder mit der Miete in Verzug? Selbst schuld, denn – so die Erzählung des Bundeskanzlers Nehammer – wer zu wenig Geld hat, soll doch einfach mehr arbeiten. Am echten Leben spricht er damit gewaltig vorbei.

Zum einen schützt Arbeit nicht immer vor Armut. Die Zahl der armutsgefährdeten Erwerbstätigen ist zuletzt wieder gestiegen. Eine:r von zehn Erwerbstätigen ist trotz Sozialleistungen noch armutsgefährdet. Zum anderen können viele Menschen nicht mehr arbeiten. Vor allem Frauen arbeiten Teilzeit. Nicht, weil sie sich dafür entscheiden und mit ihrem Halbtags-Einkommen gut auskommen, sondern weil es schlicht nicht anders geht. Gerade in Frauenbranchen wie Gesundheit oder Handel wird Vollzeitbeschäftigung oft erst gar nicht erst angeboten. Aber es sind vor allem Betreuungspflichten, die Frauen in Teilzeitjobs drängen. Lange Öffnungszeiten und wenig Schließtage in der Kinderbetreuungsstätte sind in Österreich nämlich rar: Nur vier von zehn Kindergartenplätzen sind mit einem Vollzeitjob vereinbar. In ländlichen Regionen sieht es oft noch schlechter aus. Viele Frauen reduzieren also ihre Erwerbsarbeitszeit, weil sie müssen – und sie müssen dafür geringere Einkommen in Kauf nehmen.

Soziale Lage verschärft sich, vor allem ganz unten

Gerade am unteren Ende der Einkommensverteilung verschärft sich die soziale Lage. Immer mehr Menschen in Österreich fällt es schwer, alltägliche Ausgaben zu decken. Seit Beginn der Teuerungskrise Ende 2021 ist der Anteil der Menschen, für die ein erheblicher Teil an lebensnotwendigen Dingen unleistbar geworden ist, um 80 Prozent gestiegen. Das zeigen neue Daten der Statistik Austria, für die 13 Armutsmerkmale abgefragt wurden. Über eine Millionen Menschen in Österreich erfüllen mehr als fünf dieser Merkmale. Sie gelten als „sozial oder materiell depriviert“. So können sich mehr als eine halbe Million Menschen kein tägliches Hauptgericht leisten. 566.000 Menschen sind mit Miete, Betriebskosten oder Kreditzahlungen im Verzug. Auch abgetragene Kleidung und abgenutzte Möbel zu ersetzen ist für knapp 1,3 Millionen Menschen nicht mehr leistbar. Dass die Teuerung aber auch schon in der Mitte der Einkommensverteilung angekommen ist, zeigen die Zahlen ebenfalls: Unerwartete Ausgaben tätigen oder einmal pro Jahr auf Urlaub fahren, diese Dinge können sich knapp zwei Millionen Menschen nicht mehr leisten – das ist jede:r Fünfte.

Politische Lösungen liegen am Tisch

Armutsbekämpfung muss daher dringend auf die politische Agenda. Aber nicht erst seit der Teuerungskrise ist das Leben für viele unerschwinglich geworden. Die Armutsgefährdung steigt schon seit der Pandemie wieder an. Besonders betroffen sind Familien mit Kindern und Alleinerziehende. Das Regierungsversprechen „die Armut in Österreich zu halbieren“ rückt immer weiter in die Ferne. Ebenso wenig wird das Problem Kinderarmut ernsthaft angegangen: Dass in einem reichen Land wie Österreich immer noch jedes fünfte Kind in Armut aufwächst, ist ein politisches Versagen.

Um Erwachsene und Kinder gegen Armut abzusichern, braucht es armutsfeste Sozialleistungen. Zwar wachsen diese seit Beginn 2023 mit der Teuerung mit. Der Kaufkraftverlust der letzten Jahre wurde jedoch nicht aufgeholt. Immer noch liegen die Sozialleistungen großteils unter der Armutsgefährdungsschwelle.

Eine Kindergrundsicherung könnte dazu beitragen, dass Armut weniger häufig vererbt wird. Kostenloses und tatsächlich flächendeckendes Kinderbetreuungsangebot hat das Potenzial, soziale Ungleichheiten bereits im frühen Kindesalter zumindest teilweise auszugleichen.

Steuerungerechtigkeit

Um einen armutsfesten Sozialstaat zu finanzieren, braucht es allerdingt mehr: Ein Blick auf die Steuerstruktur hierzulande verrät, dass Arbeit viel zu hoch, aber Vermögen und Unternehmensgewinne kaum besteuert werden. Erbschaften werden steuerfrei an die nächste Generation weitergegeben. Mit Steuergeschenken wie der Senkung der Körperschaftssteuer oder Übergewinnen, die nicht abgeschöpft werden, verspielt die Bundesregierung kostbaren Budgetspielraum. Genau der wäre aber enorm wichtig, um Armut in Österreich endlich abzuschaffen.


Sophie Achleitner hat Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der University of South Australia studiert. Sie brennt für die Themen Bildung und Geschlechterungleichheiten und verknüpft diese mit budget- und steuerpolitischen Fragestellungen.

Titelbild: Miriam Moné / ZackZack

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    „Momentum“ rechnet nach und analysiert. Jenseits von Regierungspropaganda und „Wirtschaftsinteressen“.

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