Samstag, Juli 27, 2024

Unsterblich Episode 4: Die „unsterbliche“ Hydra

Diese Woche geht es bei der Serie “Unsterblich” von Biochemikerin Renée Schroeder darum, warum bestimmte Organismen so lange leben und welche Rolle Stammzellen dabei spielen.

Bevor wir uns weiter über die Unsterblichkeit Gedanken machen, möchte ich euch etwas zum Nachdenken geben: Ein Gedanke, der viel über die Langlebigkeit unseres Lebenssystems aussagt: Als das Leben entstanden ist, vor circa 3,5 Milliarden Jahren, hat sich eine erfolgreiche Zelle durchgesetzt. Wir und alle heutigen Lebewesen sind Nachkommen dieser einen Urzelle, dieses Urfahrs, der LUCA (last universal common ancestor). Das ist eine Hypothese, die stark durch eine wichtige Beobachtung belegt ist, nämlich, dass der genetische Code universell ist.

Das heißt: Alle Lebewesen, die wir heute kennen, benutzen den gleichen genetischen Code. Da es keine Hinweise auf die funktionelle Notwendigkeit gibt, dass der genetische Code so ist wie er ist, muss man annehmen, dass wenn er mehr als einmal entstanden wäre, es mehrere unterschiedliche Codes gäbe.  Wir nehmen an, dass der genetische Code ein eingefrorener Zufall ist. Wenn er sich einmal etabliert hat, kann er nicht verändert werden, weil dann nichts mehr funktioniert. Das bedeutet, dass diese eine Zelle, die LUCA, nach 3,5 Milliarden Jahren sich immer noch erfolgreich fortpflanzt. Von diesem Blickwinkel aus könnten wir sagen, dass LUCA immer noch in den heutigen Lebewesen weiterlebt.

Griechische Mythologie verwirklicht

Die Hydra ist ein kleiner Süßwasserpolyp, nur 20-40 Millimeter klein, der eine wirklich erstaunliche Eigenschaft hat: Er kann sich vollkommen regenerieren. Schneidet man eine Hydra in zwei Teile, so regenerieren beide Teile. Nach circa 5 – 20 Tagen entstehen daraus zwei Hydras! Daher auch ihr Name: In der griechischen Mythologie war die Hydra ein vielköpfiges Monster. Schnitt man ihm den Kopf ab, wuchsen zwei nach.

Die Hydra scheint deshalb nicht zu altern, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie stirbt, nicht mit dem Alter des Tieres steigt. In einem großangelegten Experiment wurde die Mortalität der Hydra gemessen – mit dem absolut unerwarteten Ergebnis, dass diese Tierchen mit der Zeit nicht altern und die Sterberate nicht zunimmt. Auch bleiben die Regenerations- und Reproduktionsfähigkeiten mit dem Alter erhalten und ändern sich nicht. Sterben tut die Hydra, wenn sie gefressen wird.

Die derzeit am besten belegte Hypothese, warum die Hydra nicht altert, ist ihre Fähigkeit, sich ständig zu erneuern. Alte Zellen sammeln sich nicht an, sondern sterben bevor sie Schaden anrichten. Und sie hat die Fähigkeit, genügend Stammzellen zu produzieren, damit immer neue Zellen hergestellt werden können. Zusätzlich hat die Hydra ein ganz besonderes Gen welches für das Protein namens FOXO kodiert. FOXO-Proteine sitzen auf der DNA und schalten wichtige Gene ein, die dafür verantwortlich, dass sich Stammzellen sehr effizient vermehren. Stammzellen spielen eine bedeutende Rolle beim Alterungsprozess. Auch der Mensch hat übrigens FOXO-Gene. Dazu aber später!

Wie lange leben Zellen und Organismen eigentlich? Die Rekorde!

Wir haben die Zellteilung und Reproduktion als eines der Kriterien für den Prozess Leben definiert. Auch gibt es keine Berichte über Lebewesen, die ohne Zellteilung über längere Zeiten am Leben bleiben. Das ist auch schwer zu beobachten, weil wir ja selbst nicht so lange leben. Es gibt aber Lebewesen, die wegen Hunger oder Kälte in einer Art Stillstand verharren, und dann wieder belebt werden konnten. Es gibt ein paar Rekordberichte, dass Samen der Pflanze silene stenophyla nach 32.000 Jahren im sibirischen Permafrost wieder zum Keimen gebracht werden konnten. Auch Viren konnten nach 30.000 Jahren im Permaforst wieder erweckt werden.

Es gibt einige Rekordhalter unter den mehrzelligen Organismen, von denen die Hydra und die kleine Qualle mit dem netten Namen Turritopsis dohrnii (unsterbliche Qualle) als unsterblich gelten. Diese Tatsache ist natürlich kaum exakt zu messen oder zu beobachten. Diese potenzielle Unsterblichkeit wird angenommen, weil sich die Quallen ständig erneuern und keine Alterungserscheinungen zu beobachten sind. Die Lebensspanne des Riesenschwamms scolymastra joubini wird auf 10.000 Jahre geschätzt. Es ist auch bekannt, dass Wale, Haie und Schildkröten ein paar hundert Jahre alt werden können. Der älteste bekannte Mensch, die Französin Jeanne Calment ist mit 122 Jahren gestorben. Es ist also anzunehmen, dass noch einiges an Jahren für uns Menschen drinnen sein könnte.

Stammzellen als Schlüssel zu einem langen Leben

Der Schlüssel zur Unsterblichkeit eines mehrzelligen Organismus liegt also in dessen Regenerationsfähigkeit, die wiederum von der Aktivität der toti- und pluripotenten Stammzellen abhängig ist. Eine Stammzelle ist so definiert, dass sie die Fähigkeit besitzt, sich immer weiter zu teilen, was man Proliferation nennt. Zusätzlich kann sie sich bei der Zellteilung verändern und sich zu anderen Zelltypen entwickeln. Eine totipotente Zelle kann sich zu einem vollständigen Organismus entwickeln, pluripotente Stammzellen zu vielen anderen Zelltypen. Je komplexer ein Organismus, desto mehr unterschiedliche Zelltypen hat er. Nun scheint es so zu sein, dass mit der Komplexität der Organismen das Potential der Unsterblichkeit abnimmt, weil die Stammzellen nicht mehr so effizient beschädigte Zellen ersetzen können. Je komplexer ein Zelltyp, desto komplexer ist auch seine Differenzierung. Die Ursache für den Verlust der Unsterblichkeit in höheren Organismen ist die Abnahme der pluripotenten Stammzellen.

Das „trade off“ für eine höhere Spezialisierung eines Organismus scheint der Verlust des Unsterblichkeitspotentials zu sein.

Titelbild: Renée Schroeder

Autor

  • Renée Schroeder

    Renée Schroeder ist eine der führenden Biochemikerinnen Europas. Als Wittgenstein-Preisträgerin lehrte sie an der Universität Wien. Heute lebt sie auf dem Salzburger Leierhof und beschäftigt sich mit wilden Kräutern, die sie verarbeitet. Für ZackZack beschreibt sie die ebenso folgenreichen wie weitgehend unbekannten Entwicklungen der technischen Eingriffe in die Grundlagen unseres Lebens - bis hin zur Abschaffung des Alterns.

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