Neben dem „Benko“-Problem hat FMA-Chef „Edi“ Müller noch ein zweites: die Steueraffäre rund um den „Investor“ und Putin-Freund Sigi Wolf.
Am 14. Jänner 2022 wandte sich die Finanzmarktaufsicht „FMA“ mit einem Problem an die WKStA. Die „Europäische Zentralbank“ EZB war bei der Prüfung der russischen „Sberbank“ auf deren Aufsichtsratsvorsitzenden Sigi Wolf gestoßen. Auch in der FMA hatte man die Zeitungsberichte über die WKStA-Ermittlungen gegen den „Beschuldigten Wolf“ gelesen. Die FMA wollte für die EZB wissen, ob an Wolfs „persönlicher Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Unvoreingenommenheit“ Zweifel bestünden.
Am 27. April 2022 hatte der zuständige WKStA-Staatsanwalt eine Referentin, die in der FMA für die „Aufsicht über signifikante Banken“ zuständig war, am Telefon. Die FMA bat um Übersendung der „Ordnungsnummer 1971“ aus dem WKStA-Akt. In diesem Amtshilfeersuchen der WKStA an das Finanzministerium geht es in keiner einzigen Zeile um die Sberbank, sondern ausschließlich um die Finanzamts-Affäre rund um Sigi Wolf.
FMA-Chef Eduard Müller war zu diesem Zeitpunkt keiner der fünf Beschuldigten in diesem Teil des Strafakts – doch der Staatsanwalt griff noch einmal zum Telefon, um die FMA über Müller zu informieren: „In einem weiteren Telefonat am 29. April weise ich Mag. L. auf den Umstand hin, dass einer der aktuellen Vorstände der FMA, Dipl.-Kfm. MÜLLER, zur Tatzeit in hoher Position im BMF tw. auch als Stellvertreter von MMag. SCHMID tätig war.“
Am selben Tag schickte die WKStA „ON 1971“ ein zweites Mal an die FMA. Seit dem April 2022 kann man sich dort ein genaues Bild über „Edi und der Wolf“ machen.
„Hure der Reichen“
Ab Jänner 2017 intervenierte Sigi Wolf beim Finanzamt und im Finanzministerium, um eine „Steuernachsicht“ in Höhe von 630.000 Euro zu erreichen. Generalsekretär Thomas Schmid informierte seinen Abteilungsleiter Michael K. über den Wunsch von Finanzminister Hans Jörg Schelling: „Bitte treffe seine Steuerberater am Montag“. Und: „Chef hat ihm das zugesagt“.
Vier Minuten später erfuhr K., warum er Wolf helfen soll: „Vergiss nicht, du hackelst im ÖVP-Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!“
Doch die „Huren“ hatten Pech. Ein Jahr lang prallten die Chef-Wünsche an der zuständigen Fachabteilung im Ministerium ab.
„… die Nummer von Edi Müller …“
Als Chef der Präsidialsektion kontrollierte Eduard Müller im Jahr 2018 das Personal im Finanzministerium. Wer Karriere machen wollte, wusste, dass ganz oben Generalsekretär Thomas Schmid und sein Sektionschef Eduard Müller an den Hebeln saßen.
Thomas Schmid hatte nach Ansicht der WKStA einen Deal eingefädelt: Die Wiener Neustädter Finanzbeamtin Helga Kölndorfer sollte Wolf zu einer „Nachsicht“ bei Steuern verhelfen. Kölndorfer hatte auch einen Wunsch: die Leitung des Finanzamts Baden.
Die Beamtin bemühte sich – doch mit Dr. H. K. und DDr. Gunter Mayr waren ihre Vorgesetzten in Großbetriebsprüfung und Steuersektion des Ministeriums einer anderen, für Wolf ungünstigen Rechtsmeinung.
Am 20. Dezember 2017 wollte Sigi Wolf dem „lieben Thomas“ über sein Gespräch mit „SK“ – Sebastian Kurz – berichten. Wolf hatte noch ein Anliegen: „Lieber Thomas, schick mir bitte die Nummer von Edi Müller – damit ihn mein Steuerberater Perktold Peter anrufen kann“.
Obwohl Gunter Mayr und nicht er als Sektionschef für Steuerfragen zuständig war, stand Eduard Müller mit Sigi Wolf am 30. Jänner 2018 bereits in Kontakt. „Lieber Herr Müller – sehr gerne wollte ich nachfragen, wann ich Ihre Zeit für ein persönliches Gespräch beanspruchen darf? Sigi Wolf“. Müller antwortete: „Bin noch in Terminen, melde mich morgen.“
Der Steuerberater
Am 1. Februar 2018 hakte Wolf nach: „Lieber Herr Müller, ich wäre am Montag ab 11.00 Uhr in Wien – geht sich ein Treffen aus? SWolf/Dankeschön“. Müller antwortete am selben Tag: „S.g. Wolf, ich telefoniere morgen mit Stb Perktold und melde mich dann“.
„Stb Perktold“ war Sigi Wolfs persönlicher Steuerberater von PwC PricewaterhouseCoopers Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung GmbH “PwC”. Wolf war zufrieden, dass der – sachlich unzuständige – Sektionschef mit seinem Steuerberater sprach: „Danke!! SWolf“.
Im Untersuchungsausschuss bestätigte Sektionschef Mayr die überraschende Einschaltung des Steuerberaters schon für das Jahr 2016: „Dann war noch der Wunsch, dass die Steuerberater von Herrn Wolf bei mir vorsprechen dürfen. Das ist schon eher unüblich. Ich kann mich an den Termin noch erinnern, der hat bei mir im Büro stattgefunden. Von PWC, Pricewaterhouse Coopers, war jedenfalls Herr Perktold dabei.“
Die Auftritte des Steuerberaters haben System. Im Finanzamt Wiener Neustadt, in dem der Akt „Wolf“ behandelt wurde, tauchte ein Gutachtensentwurf von PWC auf. Die – inzwischen beschuldigte – Leiterin des Finanzamtes war offensichtlich kooperativ. Zum Schluss gelangte der Steuerberater zu Sektionschef Müller unweit der Spitze des Ministeriums.
PWC baut nach wie vor auf die Stärken von „Territory Senior Partner“ Peter Perktold: „Der bestens vernetzte Wirtschaftsexperte kennt die Akteure der österreichischen Industrie wie kaum ein anderer“. Vieles deutet darauf hin, dass Sigi Wolf unter Österreichs Industriellen ein Akteur wie kaum ein anderer war.
„Bitte der Edi…“
Am 10. Juni 2018 stand „Investor“ und Putin-Freund Sigi Wolf kurz vor seinem Ziel. In der Autobahnraststätte Guntramsdorf hatte er sich laut WKStA mit der zuständigen Finanzbeamtin geeinigt. Die WKStA hält dazu fest: „Am 10. Juni 2018 morgens berichtete WOLF an MMag. SCHMID vom Gespräch und dass das zwischen ihnen abgestimmte korruptive Angebot von Dr. KÖLNDORFER angenommen wurde“.
Um 9.17 Uhr schickte Wolf seinem Duz-Freund Schmid ein SMS: „Thomas guten Morgen! Ich habe mit der Dame aus Wr. Neustadt geredet – sie will Baden – ich sagte ihr, es wird überlegt und sie soll ihr Thema erledigen.“ Das „Thema“ war der Steuerakt „Wolf“.
Die „Dame aus Wiener Neustadt“ war hilfsbereit und wollte befördert werden. Müller saß als oberster Personalchef des Finanzministeriums an der richtigen Stelle. Wolf schloss sofort einen Wunsch an: „Bitte der Edi soll draufbleiben.“ Alle wussten: Bei „Edi“ waren Entscheidungen über Personalfragen in guten Händen.
Schmid erinnert sich in seiner Beschuldigtenvernehmung allerdings daran, dass Kölndorfer auch ohne im Detail vereinbarten Deal beste Chancen auf den Posten in Baden gehabt hätte.
Kurze Zeit später war alles gelaufen: Als Fachvorständin des Finanzamts Wiener Neustadt erließ Helga Kölndorfer ohne Zustimmung und hinter dem Rücken der zuständigen Fachabteilung und Sektion des Ministeriums Sigi Wolf die Steuerzahlung. Die „Grünen“ halten in ihrem Bericht zum ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss fest: „Kurz darauf kam es zum Meinungsumschwung und das Finanzamt erstellte am 26. Juli 2018 einen Bescheid, auf dessen Basis Wolf rund 630.000 Euro nachgesehen wurden.“
Zwei Monate später meldeten die „Niederösterreichischen Nachrichten“ am 29. September 2018: „Helga Kölndorfer wurde von VP-Finanzminister Hartwig Löger zur neuen Vorständin des Finanzamtes Baden/Mödling bestellt.“ Im selben Bericht kündigte Kölndorfer an, sie werde „alles tun, um den Schutz der Wirtschaft durch Bekämpfung des Steuerbetrugs zu gewährleisten“.
Der Kern der Vereinbarung
Für die WKStA scheint mit den Chats von Schmid und Wolf alles klar: „Der Chat (…) legt den Kern der Vereinbarung offen“. Müller ist für die WKStA Teil des „Kerns“. Wolf und Schmid sind die Köpfe, Spitzenbeamte wie Müller scheinen ihre Instrumente gewesen zu sein.
Augenzeugen bestätigen die Inhalte der Chats. Eine Beamtin, die durch die Schmid-Intervention bei der Finanzamts-Bewerbung unterlegen war, sagte bei der WKStA aus: „Knapp vor der Sitzung, ich weiß nicht wie lange davor, hat mich DipIKfm. MÜLLER kontaktiert und hat mir gesagt, dass Thomas SCHMID Dr. KÖLNDORFER als Vorständin des FA Baden Mödling haben will. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass die Begutachtungskommission unabhängig entscheiden wird. Er sagte mir nochmals, dass dies aber der Wunsch von SCHMID wäre.“
Ein Fall für die WKStA
Jahre später wurde auch diese Affäre ein Fall für die WKStA. Im Juni 2019 ließ Sektionschef Mayr den Bescheid über die Steuernachsicht für Wolf überprüfen – und wegen Rechtswidrigkeit aufheben. Dabei fiel den Beamten das seltsame Verhalten der Finanzbeamtin auf. Sie erstatteten Anzeige, die WKStA begann mit Ermittlungen, und kurze Zeit später waren durch Dokumente und Chats schwerwiegende Beweise sichergestellt.
Am 17. Dezember 2021 begann die WKStA ein Ermittlungsverfahren gegen Kölndorfer. Der Verdacht lautete „Bestechlichkeit“.
Müller mehrfach
Am 16. Oktober 2023 fasste die WKStA einen wichtigen Entschluss: Um die Verfahren zu beschleunigen, wurden einzelne „Faktenkomplexe“ aus dem großen CASAG-Akt herausgelöst. Die neuen Komplexe „Beinschab“, „ICG“, „Benko“, „Wolf“ betreffen unter anderem Müller ebenso wie der Faktenkomplex, der mit „Müller § 288“ nach ihm selbst und dem Paragrafen für „falsche Beweisaussage“ benannt ist.
Im „Stammakt“ 5 St 17/19d ist Eduard Müller nach wie vor direkt hinter Sebastian Kurz Beschuldigter Nummer 12. Sigi Wolf und René Benko tragen die Nummern 72 und 95.
Im WKStA-Verfahren 17 St 18/23x trägt er hinter Thomas Schmid und Sebastian Kurz die Beschuldigten-Nummer 3. Siegfried Wolf ist hier Nummer 16, René Benko Nummer 24.
Zur Verwunderung vieler kann „Edi“ Müller trotz der Verwicklung in Affären von „Benko“ bis „Sigi Wolf“ an der Spitze der FMA weitermachen. Für Eduard Müller, Siegfried Wolf, René Benko, Helga Kölndorfer und alle anderen Genannten gilt die Unschuldsvermutung.
Anders als beim Bericht über seine Rolle in der Affäre „Benko“ antwortete Eduard Müller diesmal auf detaillierte ZackZack-Fragen nicht.
Update 12.50 Uhr: Wir haben im Finanzministerium nachgefragt: „Ist Frau Helga Kölndorfer, die seit 2018 das FA Baden/Mödling leitet, immer noch in dieser Position?“ Die Antwort ist seltsam: „Wir ersuchen um Verständnis, dass wir zu einzelnen Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern aus Datenschutzgründen keine Auskunft erteilen.“
Titelbild: FRANZ NEUMAYR / APA / picturedesk.com, HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com, Screenshot Website FMA, Montage ZackZack