Samstag, Juli 27, 2024

Nur Mitarbeiter über 60: „Von den Jungen enttäuscht“

Der Chef einer italienischen Molkerei stellt nur noch Menschen über 60 ein. Diese zeigten mehr Tatkraft als Jüngere, die ihn „nicht überzeugt“ hätten. Angesichts der italienischen Demografie ein zukunftsfähiges Modell.

Mozzarella, Scamorza oder Grana Padano produziert Molkereiinhaber Roberto Brazzale im italiensichen Zanè – einer Kleinstadt in Venetien. Für die Vermarktung von Produkten mit Gourmet-Butter stellte er ein Team zusammen – und baute ausschließlich auf die Erfahrung von älteren Arbeitskräften. Schließlich bekam für das neue Projekt niemand unter 60 einen Job.

Junge Leute „verstehen nicht“

Brazzales Problem mit den Jungen: Sie hätten wenig Erfahrung und verstünden die Wichtigkeit ihrer Arbeit nicht. Für den Erfolg einer der ältesten Molkereien Italiens bräuchte es jedoch Leidenschaft und vor allem Erfahrung. Qualitäten, die Brazzale bei seinen Altergenossen gefunden hat.

Über die älteren Bewerber sagt der Molkereichef: „Sie haben eine ganz andere Erfahrung als die Jungen. Sie haben verstanden, wie wichtig die Arbeit ist. Wenn man jung ist, versteht man das nicht – man versteht es erst später.“

Massive Überalterung

Dass Brazzale nur qualifizierte Menschen über 60 findet, hat jedoch weniger mit dem Engagement junger Arbeitskräfte zu tun, sondern vielmehr mit der Demografie Italiens. Seit einigen Jahren schon übersteigen die Todesfälle die Geburten bei weitem. Auf sieben Neugeborene pro 1000 Einwohner kamen in Italien im Jahr 2022 zwölf Todesfälle.

Dazu kommt die katastrophale Lage des italienischen Arbeitsmarktes für junge Italienerinnen und Italiener, von denen viele ins Ausland abwandern oder in die größeren Städte gehen. Junge Arbeitskräfte zu finden scheint angesichts dieser Entwicklungen immer schwieriger.

Auch die rechte Regierungschefin Italiens, Giorgia Meloni, die ihren Wahlkampf mit einer Antimigrationsrhetorik gewonnen hatte, weiß, dass die Lösung Migration heißt: „Italien und Europa brauchen Einwanderung“ verlautbarte sie bereits im Juli 2023. Selbst die eigens für das Problem geschaffene italienische Geburtenministerin wird die Überalterung Italiens nicht über Nacht entschärfen können.  

Noch ist Brazzale mit seinem Über-60-Team hochzufrieden. Doch was er macht, wenn seine ähnlich alten Kollegen, mit denen er auch privat befreundet ist, dann doch in Pension gehen, weiß der Molkereichef nicht.

Gefahr auch für Österreich

Hierzulande ist die Überalterung noch nicht so weit fortgeschritten wie in Italien. Doch das Verhältnis zwischen Geburten und Todesfällen ist auch in Österreich negativ. Auf neun Geburten kommen der Statistik Austria zufolge für das Jahr 2022 zehn Todesfälle pro 1000 Einwohner.

Besonders unvorteilhaft ist die Differenz zwischen Neugeborenen und Gestorbenen in Niederösterreich und der Steiermark. Eine positive Bilanz weisen hingegen Wien, Vorarlberg, Tirol und Salzburg auf.

Noch stehen 5,5 Millionen Menschen unter 65 mehr als 1,8 Millionen gegenüber, die älter sind. Bereits im Jahr 2035 werden es laut Statistik Austria nur noch 5,3 Millionen 20 bis 65-jährige sein, die 2,4 Millionen Menschen über 65 gegenüberstehen. Ohne die Arbeitskraft Letzterer könnte es schwierig werden, den Wohlstand aller zu sichern.

Brazzale weiß jedenfalls: „Es hat sich das Vorurteil herausgebildet, dass man mit 60 nichts mehr zu sagen hat. Oder sogar, dass man in diesem Alter nur noch in Pension gehen will. Das ist nicht wahr.“


Titelbild: MARCO BERTORELLO / AFP / picturedesk.com

Weiterführende Links zu Österreichs Demografie:

https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/bevoelkerung/demographische-prognosen/bevoelkerungsprognosen-fuer-oesterreich-und-die-bundeslaender

https://www.statistik.at/fileadmin/announcement/2023/02/20230220Geburtenbilanz2022.pdf

Autor

  • Daniel Pilz

    Taucht gerne in komplexere Themengebiete ein und ist trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm stecken geblieben.

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