Samstag, Juli 27, 2024

Lorenz Böhler-Krankenhaus: Gutachten im Zwielicht

Das Gutachten, das der Verwaltungsrat der AUVA als Grund für die Schließung des Lorenz Böhler-Krankenhauses anführt, gibt es – noch immer – nicht. Der Gutachter hat für Verwirrung gesorgt. Doch die Eskalation rund um das Spital geht auf das Konto der Leitung der AUVA.

„Bei mir im Studio begrüße ich jetzt Erich Kern. Er ist gerichtlich beeideter Sachverständiger und hat das ausschlaggebende Brandschutzgutachten für die AUVA erstellt“. So eröffnete der Moderator sein Gespräch mit Kern im Studio des „Ö1-Morgenjournals“ am 5. März 2024. In der Einleitung des Redakteurs war zweierlei falsch: Zum ersten ist Kern kein Gerichtssachverständiger für Brandschutzwesen. Und zweitens gab es auch am Morgen des 5. März kein Gutachten.

Kern stellte nichts richtig und ließ alle, die vor dem Radio saßen, im falschen Glauben, ein Gerichtssachverständiger für Brandschutz erkläre gerade sein Gutachten. In den Tagen darauf änderte sich die Darstellung. In „Heute“ tauchte am 7. März der „Brandschutz-Experte Gerhard Birnbauer“ als Kern-Unterstützung auf.

Bis heute verfügen Betriebsrat und Ärzte-Vertreterinnen über kein “Gutachten”. Bis heute sind die Verantwortlichen der AUVA auf Tauchstation. Nur Erich Kern hat sich öffentlich Fragen gestellt.

Verantwortung der AUVA

Die wirkliche Verantwortung trifft offensichtlich nicht den Gutachter. Auch wenn er nicht in der offiziellen Liste der gerichtlichen Brandschutzsachverständigen steht, hat er gesetzlich die Befugnis, derartige Gutachten zu erstellen. Wenn der Gutachter eine akute Bedrohung entdeckt, ist er verpflichtet, den Spitalsbetreiber sofort darauf hinzuweisen.

Offensichtlich ist die Leitung der AUVA für eine Eskalation, die bis zum Streik führen kann, verantwortlich.

„Gefahr im Verzug“

Am 28. Februar 2024 war für den Verwaltungsrat der AUVA alles klar. Das – nicht vorliegende – „Gutachten“ des „Brandschutzsachverständigen“ bewies, dass das Lorenz Böhler-Unfallkrankenhaus wegen Brandgefahr sofort geräumt und gesperrt werden müsse. Der Verwaltungsrat stand unter Druck. Ein Mitglied berichtet „ZackZack“, man sei darauf aufmerksam gemacht worden, dass man „persönlich für etwaige Schäden hafte“, wenn es nicht sofort zu einem Beschluss käme.

Vor Jahren hatte eine ÖVP-nahe Gruppe die AUVA übernommen. Unter der Führung des durch Bespitzelungs-Mails ins Zwielicht geratenen Generaldirektors Alexander Bernart war es bereits 2020 zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. Eine geplante Absiedelung und ein Deal des AUVA-Vorstands mit der Wirtschaftskammer war durch einen ZackZack-Bericht aufgeflogen. SPÖ-Abgeordneter Rudolf Silvan schildert: „Schon damals wurde mit einem Brandschutzgutachten argumentiert, mit angeblicher „Gefahr in Verzug“ wurde der Verwaltungsrat unter Druck zu einer Entscheidung gedrängt“.

Jetzt schien die ÖVP-Gruppe ihrem großen Ziel der Zerschlagung der AUVA nahe gekommen zu sein. Doch Betriebsrat und Belegschaft machen nicht mit. Sie verlangen Aufklärung – auch im Interesse von 65.000 Patientinnen pro Jahr. Für sie geht es um Patientenschutz, weil auch heute kein Krankenhaus in Wien die – oft lebensrettende – Erstversorgung des Unfallspitals in der Wiener Brigittenau ersetzen kann.

Für Erik Lenz als Vorsitzenden des Zentralbetriebsrats ist alles klar: „Weil es um alles geht,  verlangen wir auch alles: alle Gutachten, alle Berichte und alle Dokumente. Wenn bis 13. März nicht alles am Tisch ist, wird gestreikt.“

Stellungnahme Kern (16.15 Uhr)

Nach dem Erscheinen des Berichts erreichte ZackZack eine Stellungnahme von Erich Kern. Hier die wesentlichen Punkte:

„Ein Ziviltechniker ist per se Sachverständiger. Ziviltechniker sind als hochwertige öffentlich bestellte Sachverständige in unserer Rechtsordnung verankert.

Ein staatlich befugt und beeideter Ziviltechniker kann im Rahmen seiner Befugnis in all diesen gutachterlichen Bereichen ex lege tätig werden. Ich darf Ihnen im Anhang die Befugnisbestätigung der GmbH übermitteln, aus der Sie die umfassende Berechtigung entnehmen können.“

„Die Kern+Ingenieure Ziviltechniker GmbH wurde im Jänner 2024 von der AUVA mit bautechnischen Beratungsleistung und Statikerleistungen beauftragt.

In diesem Zusammenhang werteten wir die Befundaufnahme des Brandschutzanstriches der Stahlkonstruktion im Bettentrakt aus. Das Ergebnis dieser Auswertung ist, dass der Brandschutzanstrich mangelhaft und in einer viel zu geringen Dicke aufgetragen wurde und somit nicht – wie bis dahin angenommen wurde – von einem Brandwiderstand von mindestens 30 Minuten auszugehen war.

Dieser Umstand, der offensichtlich 30 Jahre lang niemandem aufgefallen war, führte zur Neubewertung der Situation. Die Behörde war, ebenso wie unsere Auftraggeberin, ständig informiert über die Mess- und Berechnungsergebnisse – sowohl mündlich, als auch schriftlich. 

Es ist richtig, dass es von uns noch keinen abschließenden Bericht gibt. Die alarmierenden Mess- und Berechnungsergebnisse, auf die derzeit medial Bezug genommen wird, leiteten wir im Rahmen unserer Warnpflicht natürlich sofort an Behörde und Auftraggeberin weiter.“

Damit ergibt sich eine Frage, die nur von der AUVA-Leitung beantwortet werden kann: Warum hat sich 30 Jahre lang niemand um den Brandschutz in einem wichtigen Wiener Krankenhaus gekümmert? Und was hat die Behörde getan?


Titelbild: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com, Screenshot: https://justizonline.gv.at/jop/web/exl-suche/sv, Screenshot: kernplus.at/kern-plus/erich-kern/

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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