Die Vorgänge um Korruption, Mega-Pleiten und den Verlust der Demokratie in Österreich haben alle eine einzige Ursache: einen zu schwachen Staat und übermächtige Konzerne und Milliardäre.
Sich vom Staat ausbilden zu lassen oder seine Karriere als Staatsbediensteter zu beginnen und sich dann, aufgrund der erworbenen Fähigkeiten oder seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vernetzungen von Privatfirmen abwerben zu lassen, ist längst Usus geworden. Es ist nach unser Gesetzgebung nicht verboten und nach dem Ansehen, das man dafür erwirbt, sogar hoch erstrebenswert.
Die schiefe Ebene –schwächer werdende Staaten und mächtiger werdende Konzerne und Milliardäre – hat in den letzten dreißig Jahren dazu geführt, dass alles käuflich geworden ist, und der Respekt vor Gesetz, Verfassung, Justiz und öffentlicher Meinung sinkt.
Eine Lose-Lose-Situation
Viele Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, werden von Bund oder Ländern ausgebildet, aber in ihren Bereichen tauchen immer mehr Privatfirmen auf, an die die Leistungen, die sie erbringen, ausgelagert werden. Das führt dazu, dass diese Privatfirmen die Fachkräfte durch höhere Gehälter abwerben. Die Privatfirmen übernehmen immer mehr Aufträge des öffentlichen Bereichs, weil dieser ein ständig wachsendes Personalproblem hat. Eine Lose-Lose-Situation für die öffentliche Hand und damit für alle Steuerzahlenden und Patientinnen und Patienten.
In der Politik sieht es nicht anders aus. Von Ernst Strasser bis Karl-Heinz Grasser, vom Fall Martin Weiss, früher Abteilungsleiter im BVT des Innenministeriums, bis hin zur Benko-Pleite – überall ist es das Geld von Konzernen und Milliardären, das Politiker und Ex-Politiker dazu verführt, ihre Position zu missbrauchen. Ja, inzwischen erscheinen politische Ämter überhaupt nur mehr das Vorspiel zur Karriere als gewissenloser Handlanger des Kapitals zu sein.
Der Ödipus-Komplex
Der Ödipus-Komplex ist bekannt: Hat man einmal den Vater getötet und die Mutter geheiratet, ist der Weg frei für zügelloses Handeln, ohne Anerkennung persönlicher und gesellschaftlicher Grenzen. Das moralische Problem dahinter wird aber kaum politische Möglichkeiten bieten, dieses Handeln einzudämmen, noch dazu, da wir im Kapitalismus leben, der uns persönliche materielle Bereicherung als höchstes Lebensziel vorgibt.
Das Unmoralische wird höchstens als Kapital im politischen Wettbewerb wiederverwendet – und zwar ebenfalls auf unmoralische Weise. So möchte die ÖVP mit dem Hinweis auf die Zugehörigkeit Alfred Gusenbauers zum Signa-Aufsichtsrat, die Benko-Pleite zu einem SPÖ-Skandal machen. Das ist angesichts all der anderen Beteiligten an Benkos Aufstieg – an dem am wesentlichsten Sebastian Kurz (und zwar noch als Bundeskanzler) mitgewirkt hat – lächerlich.
Ein Kampf an zwei Enden
Freilich ist es für die SPÖ ein Problem, wenn Alfred Gusenbauer Aufsichtsrat bei Signa wird, Laura Rudas in einer Firma von Peter Thiel anheuert oder Josef Kalina Pressesprecher von Siegfried Wolf wird. Aber es wird wohl per Status nicht immer möglich sein, solche Entwicklungen aufzuhalten, und sie betreffen, wenn man sich die Geschäfte anderer Ex-Politikerinnen und Ex-Politiker anderer Partei ansieht, die SPÖ nur in geringerem Ausmaß.
Nein, der Kampf dagegen wird an zwei Enden zu führen zu sein: Durch die politische Stärkung des Staates und die moralische Stärkung der Politik, als einem Bereich, in dem nicht alles, was legal ist, auch sein kann. Es ist für Wolfgang Sobotka nicht möglich, einen Tag weiter Präsident des Nationalrats zu sein. Jede und jeder in diesem Land weiß es. (Die Frage der Legalität wird übrigens nur selektiv gestellt, denn im Fall Gusenbauer stellt die ÖVP sie ja gar nicht.)
Trendumkehr im politischen Grundkonsens
Ebenso wird die ÖVP, die von 2000 bis heute (mit siebzehn Monaten Ausnahme) das Innenressort leitet, korrupte und missbräuchliche Vorgänge im Innenministerium nicht alleine der FPÖ anlasten können. Die Medien spielen bei diesen ÖVP-Spins leider im Übermaß mit. Die moralische Verpflichtung von Journalistinnen und Journalisten sollte sie zu mehr Wahrhaftigkeit verpflichten. Doch gibt es wirklich keine andere Handhabe gegen Korruption und Machtmissbrauch als eine moralische Verpflichtung?
Natürlich gibt es sie – oder: es gäbe sie. Dazu brauchen wir aber eine Trendumkehr im politischen Grundkonsens. Die Staatsbürger, die ihr Kreuz dort machen, wo Weniger Staat, mehr privat steht, unterschreiben ihre eigene Entmachtung. König Ödipus ist am Ende blind – er sticht sich selbst die Augen aus. Ein starker Staat kann sehen. Er kann durch Verstaatlichung von Betrieben und gesetzlich festgeschriebene Monopole die Aushebelung der Politik durch die Interessen des Großkapitals verhindern. Privates Glücksspiel zum Beispiel ist etwas, das es nicht geben sollte. Es ist letztendlich nichts als die Einladung, die Politik mit Korruption und Schmiergeld zu unterwandern.
Das Zurückdrängen des Staates
Und freilich müssen als legale Zahlungen und Parteispenden dargestellte Schmiergelder als solche enttarnt und ihre Tätigung mit viel höheren Strafen geahndet werden. Schon auf Wahlkampfkostenüberschreitungen müssen schwere Strafen, ein Einfrieren der Parteienfinanzierung und eine Wahlwiederholung folgen. Denn es kann nicht sein, dass die, die mit dem Geld von Reichen Wahlkampfkosten überschreiten und damit das Gesetz brechen und auch noch Medien und Meinungsumfragen manipulieren, dann als Sieger aus der Wahl hervorgehen und ihre Strafzahlungen in Ministerien landen, die sie aufgrund ihres „Wahlsieges“ selbst besetzen.
Das ständige Zurückdrängen des Staates hat inzwischen dazu geführt, dass Großkonzerne und Milliardäre die ihnen vorgeschriebenen Steuern nicht bezahlen. Hier gibt es keinen Bedarf, Verhandlungen oder Diskussionen zu führen. Hier gibt es nur eines: Die Justiz muss einschreiten. Und natürlich müssen die Strafausmaße vom Gesetzgeber nach oben verändert werden. Ansonsten werden Staaten bald zur Gänze Privatbesitz sein.
Keine Demokratie mehr
Die Zerstörung dieses Planeten und die weitgehende Verelendung seiner Bevölkerung steigen mit der ständigen Konzentration des Privatbesitzes. Auch die Umweltbewegung muss, wenn sie ihr politisches Programm ernst nimmt, zu dieser Erkenntnis kommen und versuchen, diesen Prozess zusammen mit anderen zu stoppen und rückgängig zu machen.
Die Agenden für soziale und ökologische Politik sind ganz klar: Die Jahrzehnte der Beschneidung des Staates, der Zurückdrängung der Politik müssen ein Ende haben. Die Menschen müssen sich die Macht zurückerkämpfen. Eine Demokratie unter der Herrschaft von Konzernen und Milliardären ist keine Demokratie mehr.
Titelbild: Miriam Moné