Samstag, Juli 27, 2024

Ausgerechnet: Blinder Fleck bei Armutsgefährdung

Auf den Muttertag folgte am 15. Mai der internationale Tag der Familie. Neben der klassischen Kernfamilie gibt es mittlerweile auch andere Familienformen. Etwa Alleinerziehende. Sie sind von allen Familienformen am stärksten von Armut und Ausgrenzung betroffen.

Von Sophie Achleitner

Unser Sozialstaat ist zwar längst nicht armutsfest, dennoch bildet er ein zentrales Fundament zur Armutsbekämpfung. Sozialleistungen haben 2023 rund 860.000 Frauen, Männer und Kinder aus der Armutsgefährdung gehoben. Trotzdem bleiben 1,3 Millionen Menschen in Österreich unter der Armutsgefährdungsschwelle zurück. Obwohl die Zahl der alleinerziehenden Haushalte stark zugenommen hat, lässt der Sozialstaat Alleinerziehende aber großteils im Stich.

Alleinerziehende am stärksten armutsgefährdet

Die Pandemie und die Teuerungskrise haben das Leben für viele Menschen quasi unleistbar gemacht. Obwohl es sich die Bundesregierung bei Amtsantritt zum Ziel gesetzt hat, die Armutsgefährdung in Österreich innerhalb der Legislaturperiode zu halbieren, sind aktuell sogar noch mehr Menschen von Armut betroffen. Vor allem vulnerable Gruppen, wie etwa Erwerbsarbeitslose, Mieter:innen oder Mindestsicherungs-Bezieher:innen sind am stärksten von der Armutsgefährdung betroffen. Gerade auch bei Alleinerziehenden zeigt sich die Armuts- oder Ausgrenzungsbetroffenheit besonders stark. Mit 48 Prozent haben Alleinerziehende das zweithöchste Armuts- oder Ausgrenzungsrisiko (nach Erwerbsarbeitslosen) unter allen vulnerablen Gruppen. Gäbe es keine Sozial- und Familienleistungen wären mehr als 6 von 10 Alleinerziehenden armutsgefährdet.

Hinzu kommt: Die Mehrheit der Alleinerziehenden ist weiblich. Der Frauenanteil in den etwa 300.000 Ein-Eltern-Haushalten in Österreich liegt bei 83 Prozent – das sind etwa 252.000 alleinerziehende Mütter. Es sind also hauptsächlich alleinerziehende Mütter, die mit der Armutsbedrohung zu kämpfen haben.

Arbeit schützt Alleinerzieherinnen nicht vor Armut

Alleinerziehende haben es oft schwer mit ihrem monatlichen Einkommen über die Runden zu kommen. Miete, Lebensmittelkosten und sämtliche haushaltsbezogenen Ausgaben können nicht wie in Paarhaushalten durch zwei geteilt werden – Alleinerziehende müssen allein dafür aufkommen. Dafür reicht auch ein Vollzeiterwerbseinkommen oft nicht aus. Die Erzählung „Arbeit schützt vor Armut“ stimmt vor allem für alleinerziehende Frauen nicht. 38 Prozent der alleinerziehenden Mütter, die nicht erwerbstätig sind, sind armutsgefährdet. Wenn alleinerziehende Mütter einer Erwerbsarbeit nachgehen, reduzieren sie damit ihr Armutsrisiko um lediglich 6 Prozentpunkte. Im Vergleich reduziert die Erwerbstätigkeit einer Frau in einem Paarhaushalt die Armutsgefährdung dieses Haushalts um etwa 15 Prozentpunkte, sie beträgt dann lediglich 4 Prozent.

Dass das Erwerbseinkommen von Alleinerzieher:innen oftmals nicht ausreicht, um vor Armut zu schützen, zeigt auch der hohe Anteil der so genannten ‚working poor‘. Das sind jene Personen, bei denen das Haushaltseinkommen trotz Erwerbstätigkeit unter 60 Prozent des Medianeinkommens – und damit unter der Armutsgefährdungsschwelle – liegt. Jede dritte ‚working poor‘-Person ist eine alleinerziehende Frau.

Damit Haushalte mit unterschiedlicher Personenanzahl vergleichbar sind, wird das sogenannte Äquivalenz-Einkommen herangezogen. Dabei fließt in die Gleichung mit ein, wie viele Personen über und unter 14 Jahren in einem Haushalt leben, und es wird nach einem gewissen Schlüssel berücksichtigt, wie sich die jeweilige Haushaltsgröße und Konstellation auf die Einnahmen und Ausgaben auswirkt. Mit ihrem monatlichen Äquivalenz-Einkommen von 2.053 Euro fehlen Alleinerzieher:innen im Schnitt rund 360 Euro bis zur tatsächlichen korrigierten Armutsgefährdungsschwelle, denn aktuell wird die Schwelle für Alleinerziehende unterschätzt. Knapp drei Viertel der Alleinerzieher:innen liegen mit ihrem monatlichen Äquivalenzeinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle. Gemessen an der aktuellen Armutsgrenze von 1.572 Euro eines Einpersonenhaushalts liegt die durchschnittliche tatsächliche Armutsgefährdungsschwelle für Alleinerzieher:innen bei 2.417 Euro.

Armutsgefährdungsschwelle für Alleinerziehende unterschätzt

Die Kinderkosten sind in alleinerziehenden Haushalten deutlich höher als in Paarbeziehungen. Eine alleinerziehende Mutter zahlt für ihr Kind etwa 500 Euro mehr pro Monat als Eltern jeweils in einem Paarhaushalt für ein Kind ausgeben. Alleinerziehende müssen allein für Miete, Energie oder Versicherungszahlungen, Urlaube und Einkäufe aufkommen. Gemessen an ihrem Einkommen, haben Alleinerziehende somit anteilig höhere Ausgaben. Da helfen auch keine zynischen „Tipps“ wo es denn günstiges Essen zu kaufen gäbe. Die ohnehin große Armutsgefährdung von Alleinerziehenden wird also noch dazu unterschätzt. Tatsächlich müsste sie um 204 Euro pro Monat für ein Kind und um 126 Euro pro Monat für zwei Kinder höher angesetzt sein.

Der Sozialstaat schützt nicht ausreichend

Um Menschen vor Armut zu schützen, braucht es einen armutssicheren Sozialstaat. Zum Teil kann das österreichische Sozialsystem genau das bewirken. Gäbe es keine Sozialleistungen wäre knapp ein Viertel der Bevölkerung (2,2 Millionen Menschen) armutsgefährdet. Sozialstaatliche Leistungen reduzieren diesen Anteil um 40 Prozent.

Auch Familien schützt der Sozialstaat. Von den etwa 4 Millionen Haushalten mit Kindern in Österreich, sind rund 1,3 Millionen armutsgefährdet. Sozialleistungen wie Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Schul- oder Studienbeihilfe entschärfen die Situation für 692.000 Mütter, Väter und Kinder.

Dennoch gibt es in der sozialen Sicherung noch große Lücken. Denn über 1,3 Millionen Menschen bleiben armutsgefährdet, obwohl sie Sozialleistungen beziehen. Alleinerziehende gehören neben Erwerbsarbeitslosen, Nicht-Österreicher:innen, Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss, Mieter:innen, Kindern und älteren Menschen zu den besonders vulnerablen Gruppen.

Ziel für die nächste Legislaturperiode sollte es daher sein, den Sozialstaat tatsächlich armutsfest zu machen. Die Anpassung der Sozialleistungen an die Teuerung war ein wichtiger Schritt. Den Wertverlust der letzten Jahre, bevor die Leistungen angepasst wurden, sind damit aber nicht wieder aufgeholt.

Wer die verstärkte Teilnahme von Alleinerziehenden am Erwerbsleben fördern will, muss vor allem endlich für einen raschen Ausbau der kostenlosen Kinderbetreuungsmöglichkeiten sorgen, insbesondere was die Öffnungszeiten angeht. Das verringert die Abhängigkeit Alleinerziehender von oftmals prekären Arbeitsverhältnissen. Dadurch stehen ihnen bessere Jobs und ein höheres Einkommen offen.

Alleinerziehenden helfen keine Belehrungen – Sichtbarkeit und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit deren Problemen jedoch schon eher.


Sophie Achleitner hat Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der University of South Australia studiert. Sie brennt für die Themen Bildung und Geschlechterungleichheiten und verknüpft diese mit budget- und steuerpolitischen Fragestellungen.

Titelbild: Miriam Moné, Ingo Pertramer

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