Mittwoch, Juni 26, 2024

Demokratischer Schulterschluss

Heute und jetzt ist es in Österreich erforderlich, aus dem politischen Lagerdenken herauszukommen und einen Schulterschluss aller Demokraten zu versuchen. Nur so kann verhindert werden, dass der Staat in der nächsten Legislaturperiode ein totalitärer Staat wird.

In gewohnter Manier haben wir die Nachbereitung des Wahlkampfs in den Medien über uns ergehen lassen: das Gleichsetzen von ÖVP und SPÖ in Artikeln, obwohl die ÖVP mehr als viermal so viel an Stimmen gegenüber 2019 verloren hatte als die SPÖ. Das Überschätzen der FPÖ um bis zu fünf Prozentpunkte in den Prognosen. Und dann: Die Sprache des Faschismus. Der »Sieg« der FPÖ – die knapp vor den beiden anderen Parteien liegt. Seit sehr langer Zeit ist das Wort »Sieg« nicht so häufig vorgekommen.

Sofort begann auch das längst bekannte Babler-Bashing und SPÖ-Bashing wieder. Doch damit nicht genug, schreibt eine Qualitätszeitung, die SPÖ habe sich zur »Ausländerfrage« zu positionieren. Ob man das Wort in ein Anführungszeichen setzt oder in siebenundzwanzig, ist egal. Hier ist die Sprache des Faschismus in die Presse eingedrungen, wie bald die Sprache Herbert Kickls dort als Normalsprache zu lesen sein wird. Der Autor sollte sich genieren.

»Sieg« und »Ausländerfrage«

Wer wüsste wohl über Asyl und Migration besser Bescheid als ein ehemaliger Traiskirchner Bürgermeister? Ein Kaderpolitiker der ÖVP wie Karl Nehammer, der in seinem ganzen Leben keine Sachpolitik gemacht hat? Oder ein politischer Propagandist wie Herbert Kickl, dessen Output sich auf Plakatsprüche und Reden beschränkt? Da geht es längst nicht mehr um die Realität.

Die Oligarchie ist keine post-kapitalistische Erscheinung, sondern eine Phase des Kapitalismus, in der die Konzentration eines Großteils des Kapitals auf wenige Personen zum Status quo geworden ist. In dieser Phase kommt es zur Manipulation von Tatsachenwahrheiten, einerseits durch das In-die-Welt-Setzen von Missinterpretationen, andererseits durch das Verschweigen von Tatsachenwahrheiten und drittens durch das Verbreiten von Unwahrheiten. In dieser Phase befindet sich Österreich.

Die geschichtslose Gesellschaft

Das totalitäre System, das bei uns im Vormarsch ist, versucht wie alle totalitären Systeme die Geschichte auszuschalten, um eine geschichtslose Gesellschaft zu schaffen. Einerseits durch die Zurückdrängung historischer Analyse, die in unserer Zeit erschreckende Ausmaße angenommen hat, andererseits durch bewusste Umformulierung und Uminterpretation historischer Tatsachen, i.e. durch Revisionismus.

Damit einher geht der Versuch, die demokratischen Gewalten in ihrer Macht zurückzudrängen und der Regierung unterzuordnen. Dabei helfen auch jene scheinbar oppositionellen Bewegungen, wie die der Wokeness, die zwar behaupten, Ungleichheit zu erkennen, aber nicht auf demokratischen Weg gegen diese Ungleichheit kämpfen, sondern durch das An-den-Pranger-Stellen von Personen und Institutionen. Das spielt der Oligarchisierung in die Hände, die mediale Störfeuer gut brauchen kann und nur eines nicht will: oppositionelle Bewegungen, die sich durch Solidarisierung formieren und demokratisch legitimieren.

Die Lüge von der »Alternativlosigkeit«

Die Reinwaschung von faschistischem Vokabular wie »Ausländerfrage«, »Judenfrage« etc. und undemokratischen oder verfassungswidrigen Forderungen wie »Sicherungshaft«, »Abschaffung der EMRK«, »Abschaffen von Gesetzen durch die Regierung« (wie sie von den letzten beiden österreichischen Regierungen gefordert wurden) macht undemokratische Sprache zu Normalsprache. Die Boulevardmedien unterstützen die demokratiefeindliche Gesinnung, wenn z.B. die Kronen Zeitung suggestiv und hoch manipulativ das Ergebnis einer »Umfrage« publiziert: 95% der Österreicherinnen und Österreicher sind für eine Sicherungshaft für Asylanten. Der Balken mit 95% ist grün, der Balken, der für die 5% steht, die dagegen sind, ist rot. Das ist die Sprache des Totalitarismus.

Hier wird bereits vorbereitet, was ohnehin der nächste Schritt auf dem Weg der Entdemokratisierung ist: ein Gesetz, das es möglich macht – wie im heutigen Ungarn oder im faschistischen Italien zur Zeit Mussolinis – mit 35 – 40 Prozent der Stimmen, zwei Drittel der Parlamentssitze zu besetzen. »Alternativlos« wird es dann in den gefügigen Medien heißen. Und andere wird es bald nur mehr im Untergrund geben.

Erhaltung der Demokratie

Ein demokratisches Aufbäumen gegen den Totalitarismus ist in Österreich noch einfach möglich. Es ist diesen Herbst möglich, indem die Wähler verhindern, dass FPÖ und ÖVP zusammen eine Mandatsmehrheit im österreichischen Parlament erreichen. Inzwischen kämpft die ÖVP in Worten gegen totalitäre Ideen: in der Form einer Scheinanfeindung des FPÖ-Spitzenkandidaten. Doch in Taten, also in der Form von Widerspruch und Ablehnung der Inhalte der FPÖ, setzt sie diesen nichts entgegen. Das doppelte Spiel ist allzu leicht zu durchschauen; wir kennen es aus dem Jahr 2017, als trotz allen Lärms die ÖVP-FPÖ-Koalition und ihre Ressortverteilung (wie wir aus dem Ibiza-Video wissen) bereits abgesprochen und ausgemacht war. Kommt diese Regierung wieder, dann wird es – wie im Jahr 2018 – heißen, die Koalition mit der FPÖ sei »alternativlos«, dann haben wir die glatte Unwahrheit, die Lüge vor uns, die doch von vielen Medien (auch sogenannten Qualitätsmedien) verbreitet wurde.

Die FPÖ kann mit 25 % niemals alleine regieren. Und wenn sie keinen Koalitionspartner findet, ist sie machtlos. Konservative, Liberale und Progressive müssen in dieser Zeit bei aller Uneinigkeit eine Priorität im Auge haben: die Erhaltung der Demokratie. Dazu braucht es ihren Schulterschluss.

Bekämpfen von Aufklärung

Die Angriffe auf die Demokratie sind inzwischen unverhohlen. Hegte und pflegte man Aufklärungsjournalismus noch vor einigen Jahrzehnten, da in der Demokratie die Kontrolle der Macht gesichert werden muss, die Antithese hochgehalten werden muss, so bekämpft man sie nun bereits gerichtlich. ZackZack, das nichts anderes tut, als im Raum stehende Korruption und Machtmissbrauch genau zu untersuchen, muss das nun wieder durch Einschüchterungsklagen übermächtiger Gegner spüren.

Die Demokratie steht bereits auf dünnem Eis. Scherzparteien und Abspaltungsparteien, die selten länger als für eine Wahl existieren, vernebeln die Landschaft zusätzlich. Die Prozentpunkte, die sie erreichen, ohne den Einzug in den Nationalrat zu schaffen, kommen letztlich den Mächtigen zugute. Und eine Wahlbeteiligung von knapp über fünfzig Prozent ist ebenfalls ein Zeichen: ein klares Zeichen des Desinteresses an Partizipation und damit Beschleuniger der Entdemokratisierung.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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