Montag, September 16, 2024

Das verletzte Abendmahl

Manche evangelikalen Christen kennen ihre Religion anscheinend nicht. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie das Festmahl der Götter bei der Olympiaeröffnung für das letzte Abendmahl hielten. Ja klar, Jesus hatte ja bekanntlich 16 Apostel und trug gelegentlich die Krone des Dionysos. Und auf seinem Tisch räkelte sich üblicherweise ein weinbekränzter Mann.

Die Empörung ist ja an und für sich ein wichtiges Gefühl. Ein Gefühl, das hilft, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu verteidigen. Ein Gefühl, das warnt und das oft recht lautstark. Ein politisch manchmal sehr wichtiges Gefühl. Empörung hat zu Revolutionen geführt, zu gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen, zu unumgänglicher Weiterentwicklung der Welt. Waren einige Dinge – von Vergewaltigung in der Ehe bis Apartheid, von Verfolgung von Minderheiten bis Folter von Inhaftierten, von Zensur der Pressefreiheit bis zur Diktatur – nur durch ausreichenden Widerstand zu verändern, der sich in politischer Erkenntnis des Unerträglichen und der damit verbundenen Empörung zeigt, so kann sie aber auch gut instrumentalisiert werden und dafür sorgen, dass Reaktionärstes geschützt und unverändert bleibt.  

Das reicht von der Empörung über das Ablegen eines Kopftuches bis hin zur Empörung, die eine Statue der gebärenden Maria auslöst, die Empörung über Mohamed-Karikaturen und Ähnliches. Allerdings tut sich auf der Empörungsfront auch etwas Neues. Hier geht es um ein absichtliches Verdrehen oder Missverstehen, tausendfach befeuert im Netz. Eine Empörung, die bei näherer Betrachtung nur durch mutwilliges Fehlverstehen erklärt werden kann, und dieses Fehlverstehen ist Absicht und die Verbreitenden des Missverständnisses zahlreich. Und hier schließt sich leider noch ein weiterer Kreis, den ich eigentlich nicht gerne geschlossen sehen würde, nämlich der zwischen heftig rechten und heftig linken Positionen. Wie gerne würde ich jetzt empört schreiben, dass es kein solches Hufeisen geben würde, nie und nimmer. Aber, meine Wünsche hin oder her – es lacht mich beinahe täglich aus sozialen Medien an, dabei gibt es da recht wenig zu lachen.

Bei linken Usern und Userinnen beispielsweise das auch sexuell unschön verbrämte Attackieren jener Frauen, die es nicht richtig finden, wenn ein biologischer Männerkörper gegen biologische Frauenkörper gleichberechtigt bei Sportveranstaltungen antreten darf – und denen (auch den sanftest kritisierenden) sofort der Strick eines galoppierenden böswilligsten Transhasses gedreht wird (den es natürlich auch gibt, der nicht zu tolerieren ist, wie der Hass auf jede Minderheit).

Bei rechten Usern und Userinnen ist es oft vieles, das mit Trump und damit mit Musk zusammenhängt, aber sie kommen auch ohne diese beiden aus, wenn’s denn unbedingt sein soll. Sehr schön ist diese instrumentalisierte Empörung auch jüngst zu beobachten gewesen, als das Festmahl der Götter eine Skandalwelle evangelikaler Entrüstung auslöste, da man es für das Letzte Abendmahl hielt. Ja klar, Jesus hatte ja bekanntlich 16 Apostel (man kann einfach nie genug Apostel haben!) und trug gelegentlich die Krone des Apollo. Und auf seinem Tisch räkelte sich üblicherweise ein weinbekränzter Mann. Und natürlich ist das Letzte Abendmahl eng mit den Olympischen Spielen verbunden, das weiß doch jedes Kind! Nein, hier ging es um ein beabsichtigtes Missverstehen der Gebildeten und das einkalkulierte nützliche Idiotentum der Unterbelichteten. Wieviel Gotteslästerung eigentlich darin enthalten ist, dass man allen Ernstes behauptet, Gott hätte den hingebungsvollen Vater und Feuerwehrmann lieber getötet als Trump – das will sich wieder einmal niemand fragen. Im Übrigen ist gelenkte, religiöse Empörung genau die, die Ungeheuerlichkeiten zementiert, von geweihten Panzern in Russland bis zur Verfolgung junger Frauen, die ihre Haare  nicht mehr vor der Welt verbergen wollen. Auch hier zeigt sich das Hufeisen zwischen den Religionen auf das Vortrefflichste.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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