Erbringen Sie in diesem Sommer ausreichend „Erholungsleistung“, wie das die herrschende Ideologie von Ihnen fordert? Was ist überhaupt Leistung und welche Leistung bringt Ansehen und Erfolg?
Dass sich „Leistung wieder lohnen“ müsse, gehört ja zu den fixen Schwadroneurs-Stehsätzen konservativer Politiker. Damit wird den normalen Leuten eine rhetorische Karotte hingehalten, denn in Wirklichkeit ist das Gegenteil gemeint: die Superreichen sollen ihre leistungslosen Einkommen aus Finanzvermögen, die sich wie von selbst vermehren, ungestört genießen können. Steuern oder Beiträge zum Gesundheits- und Rentensystem, pah, das ist doch nur etwas für den Pöbel. Während unsereins schnell auf reale Steuer- und Abgabensätze von bis zu 50 Prozent kommt, führen die „Spitzen der Gesellschaft“ wohl selten mehr als 20 Prozent ab.
Wer „Leistung muss sich wieder lohnen“ sagt, will, dass die Geldsäcke aus ihrer Bussi-Bussi-Gesellschaft weiter ein Freispiel haben. So einfach ist das meistens.
Denn wenn die Herren Nehammer und Co. wirklich etwas dafür tun wollten, dass sich „Leistung wieder lohnt“, dann könnten sie das leicht: Vermögenssteuern und Erbschaftssteuern einführen, und im richtigen Verhältnis die Einkommenssteuern senken. Dann haben die, die etwas leisten, nämlich ein bisschen mehr und die, die auf Kosten der Welt leben, ein bisschen weniger. Aber das werden wir von ihnen nicht hören. Da sind ihre Großspender dagegen.
Dagegen sind auch die Millionäre und Milliardäre in den Eigentümeretagen der Boulevardmedien. Es gibt ja eine Kontroverse darüber, warum „Krone“, „Heute“ und die anderen gerade so unverfroren Propaganda für Kickl und Nehammer machen und versuchen, die SPÖ mit allen Mitteln runterzuschreiben. Ich meine, warum sie das gerade auf noch peinlichere und penetrantere Weise machen, als sie das sowieso immer tun.
Eine These lautet: Aus Angst vor den Millionärssteuern. Eine andere These lautet: Kickl hat den Boulevardzampanos versprochen, alle Prozesse und Verfahren gegen sie und ihr Politumfeld wegen Untreue, Bestechung und anderer etwaiger Delikte niederzuschlagen.
Kurzum: Geht es ihnen um die Kohle? Oder haben sie Angst vor strengen Richtern?
Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man unterstellt: Es wird wahrscheinlich beides zutreffen.
Aber jetzt ist ja Sommer, und das ist die Zeit der Entspannung, nicht der Leistung. Im August soll man beispielsweise keineswegs bei Ämtern oder Firmen anrufen und eine längst fällige Leistung urgieren, denn, so das Beamtensprichwort: „Im August insistiert man nicht.“
Mit dem Neoliberalismus und seinem verallgemeinerten Leistungsdruck, mit der Angstkulisse, die er aufbaut („entweder du spurst, oder du bist raus“), mit den Maximen des „lebenslangen Lernens“, aber auch mit dem Individualismus, der nicht nur eine Befreiung des Ichs aus Konventionen nach sich zog, sondern mit der Forderung nach permanenter Selbstoptimierung einher geht – mit all diesen allmählichen und auch krassen Veränderungen der vergangenen vierzig Jahre hat der Leistungsbegriff eine neue Färbung erhalten.
Selbst in den Ferien kommt man ihm nicht mehr aus.
Ist man über das Jahr angehalten, Höchstleistungen zu erbringen, soll man in der Ferienzeit „Erholungsleistung“ erbringen. Und zwar so viel wie möglich in möglichst kurzer Zeit. Selbst die zeitweise Faulheit ist also nicht mehr das, was sie einmal war, das Herumgeflöze in der Hängematte wird nicht bloß gepriesen, „weil es Spaß macht, sondern auch, weil es dazu dienen soll, die erschöpften Ressourcen wieder aufzufüllen und die Kreativität zu fördern“, meint die Historikerin Nina Verheyen. Urlaub, das ist der Zwang, die Batterien aufzuladen, um danach wieder ordentlich wie ein Duracell-Häschen laufen zu können.
Urlaub in der Leistungsgesellschaft ist also ganz und gar nicht Urlaub von der Leistungsgesellschaft.
Verheyen seziert in ihrem Buch „Die Erfindung der Leistung“ den doppelten Charakter des modernen Leistungsbegriffes. „Leistung“ ist schließlich ein gelegentlich zentraler, gelegentlich peripherer Begriff in den politischen Debatten. Die einen versprechen, sich für ominöse, nicht immer klar definierte „Leistungsträger“ stark zu machen, aber auch in der Sozialdemokratie ist „Leistung“ zentral: Die Forderung nach mehr ökonomischer Fairness wird sehr oft auch mit dem Hinweis auf die Leistung der normalen Leute, der Arbeitnehmer, begründet. „Leistung – Aufstieg – Sicherheit“, das waren schon die Schlüsselbegriffe in dem Wahlkampf, der Bruno Kreisky erstmals die Mehrheit für die SPÖ brachte. Ein ganzes Panorama tut sich auf, wenn man sich dem Leistungsbegriff nähert: Arbeitsethos, die Erfindung von Prüfungs- und Bewertungsmethoden, die Versprechen von Aufstieg durch Leistung, der Stress, der sich in Leben hineinfrisst, aber auch die Abwertung all jener, die angeblich weniger leisten und Geld erhalten, „das ihnen nicht zusteht“ – etwa in Debatten um die Sozialpolitik.
Wie zentral das Leistungsthema ist, sieht man schon bei einem Blick auf den Buchmarkt, so Verheyen: „Auf der einen Seite steht eine Fülle an Selbstoptimierungs- und Karriereratgebern, deren inhaltliches Spektrum von Hinweisen zur Steigerung körperlicher und geistiger Fitness über Kniffe zur psychischen Prüfungsvorbereitung, zur Stärkung des Selbstbewusstseins und zur Verbesserung des Zeitmanagements bis hin zu konkreten Tipps für die berufliche Laufbahn reicht… Auf der anderen Seite stehen sowohl populäre als auch wissenschaftliche Bücher, die vor der Leistungsideologie warnen, die sich in solchen Texten manifestiert.“
Leistung wird individuell zugerechnet, aber dabei gibt es keine „individuelle Leistung“ – wir alle schaffen das, was wir zuwege bringen, im Verbund, gemeinsam mit anderen, in Netzwerken des Kooperativen. Leistung ist kaum objektivierbar und in den meisten Fällen ist es völlig abwegig, überhaupt das Bild einer individuellen, dem Einzelnen zuzurechnenden Leistung im Kopf zu haben – zu integriert und kooperativ sind ja etwa unsere Arbeitswelten. Überhaupt ist auch beim Versuch, individuelle Leistung zu definieren, unklar, was gemeint ist. Die Anstrengung, die jemand investiert, etwa die körperliche Verausgabung des Bauarbeiters oder die emotionale und physische der Pflegerin? Oder misst sich Leistung an dem, was herauskommt, also am Produkt – etwa dem Werkstück des Mechanikers oder dem Programm, das die Softwareingenieurin schreibt? Und in Zeiten, in denen die „emotionale Kompetenz“ gerade auch im Wirtschaftsleben eine zentrale Rolle spielt, etwa im Dienstleistungssektor, in der Tourismuswirtschaft, in der Medizin und Pflege, ist dann „Geselligkeit“ und „Freundlichkeit“ nicht auch eine Leistung?
Mit dem Leistungsparadigma und dem Kult des „Erfolgsmenschen“ geht am Ende auch eine grelle Schamlosigkeit und das heute allgegenwärtige angeberische Posertum einher. Nicht nur, weil Erfolg jenem zufliegt, der Erfolg am erfolgreichsten darstellt, der Erfolg also ein Resultat schauspielerischer Leistung ist. Da Leistung schwer messbar ist, entscheidet über Erfolg „zu einem Gutteil die Art und Weise des Redens darüber“, ahnte Mark Siemons schon vor beinahe dreißig Jahren in seiner wunderbaren Studie „Jenseits des Aktenkoffers“, in der er das „Wesen des neuen Angestellten“ ergründete.
In einer fluiden, oft entmaterialisierten Ökonomie, in der viel auf Image beruht, ist der erfolgreich, der es versteht, erfolgreich als erfolgreich zu erscheinen. Erfolg ist heute, wie das der Soziologe Sighard Neckel formuliert, eine „Zuschreibungskategorie und entsteht im Medium der Wertungen Dritter. Erfolge müssen auffallend sein und möglichst frappant dargestellt werden.“ Neckel spricht von einer „performativen Ökonomie“.
„Meine Droge heißt Erfolg“, rappte der gefeierte deutsche Gangsta-Poet „Haftbefehl“. In Reinald Goetz Roman „Johann Holtrop“ ist dem Typus ein literarisches Denkmal gesetzt: Holtrop ist der „exzessiv von sich selbst eingenommene, innerlich enthemmte Ichidiot, egoman verkrüppelt. Aber: allen gefiel das, überall kam der neue Egostil gut an. … unsympathisch, angeberhaft, grobianisch, selbstgefällig dröhnend.“
Regenerieren sie sich gut. Machen sie erholsame Reisen, aber achten sie auch darauf, dass sie etwas erleben. Achten sie zudem darauf, dabei beeindruckende Küstenstriche und idyllische Landschaften zu besuchen. Vergessen sie aber auch nicht, in bedeutende Städte zu reisen, deren Signalarchitektur für irgendetwas Besonderes steht, für antike Geschichte oder für die Wunder der Moderne (also Florenz, Syrakus, Biarritz, Los Angeles, Route 66…), denn das beweist, dass sie sich in ihrer Freizeit jenen intellektuellen und lebenskulturellen Input holen, für den man während des Arbeitsjahres keine Zeit hat. Stellen Sie sicher, dass sie bei all dem unglaublich glücklich aussehen. Und vergessen Sie niemals, die Dokumente ihrer Erholungsleistung auf allen Social-Media-Kanälen zu posten.
Vor einiger Zeit saß ich mit einem sympathischen, klugen Gewerkschafter in einer Hochschulkantine, da sagte der den Satz: „Ich glaube ja, die meisten Leuten wollen einfach normal sein, aber sie wissen gar nicht mehr, wie das geht.“
Titelbild: Miriam Moné