Montag, September 16, 2024

Können wir unser Wasser bald nicht mehr trinken?

Helmut Burtscher-Schaden studierte technische Biochemie und Lebensmitteltechnologie in Wien. Bei Global 2000 arbeitet er als Experte für Chemie und Pestizide. Dort hat er sich zuletzt besorgt über eine Chemikalie in unserem Wasser gezeigt. ZackZack hat Burtscher-Schaden zum Interview getroffen.

Herr Burtscher-Schaden, Sie haben sich unlängst besorgt über die Entwicklung unserer Trinkwasserqualität geäußert. Können wir unser Wasser in 20 Jahren noch bedenkenlos trinken?

Burtscher-Schaden: Das hängt sehr davon ab, wie wir mit dem Wasser umgehen. Blankoscheck dafür, dass wir das Wasser in 20, 30 Jahren so trinken können, wie wir es heute noch trinken können, gibt es ganz sicher nicht. Der Zustand, in dem das Wasser heute ist, ist nicht 100-prozentig erfreulich. Auch wenn ich sage: Ich trinke es nach wie vor ohne mich zu fürchten.

Aber dass Wasser heute in Österreich, Europa und global derart ausnahmslos mit einer menschgemachten Chemikalie kontaminiert ist, die so lange völlig unter der Wahrnehmungsschwelle geblieben ist, ist besorgniserregend. Ich kenne keinen Chemiker oder Umweltaktivisten, der schon lange Zeit von dieser Kontaminierung gewusst hat – wer es gewusst hat, das waren einzelne anonyme Experten bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

In europäischen Gewässern, auch in Österreich, wurden bei Proben problematische Konzentrationen der Chemikalie Trifluoracetat nachgewiesen. Was ist Trifluoressigsäure, kurz TFA genannt, eigentlich genau?

Burtscher-Schaden: Chemisch gesehen ist es ein PFAS. Das bedeutet per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen[1] und ist ein Sammelbegriff für eine große Gruppe von über 10.000 verschiedenen Stoffen, die in der Industrie bisher hergestellt worden sind. Diese PFAS haben einige Gemeinsamkeiten: sie sind hoch persistent, deswegen heißen sie auch Ewigkeitschemikalien. Außerdem haben PFAS problematische toxikologische Eigenschaften. Viele sind hormonschädigend, können also in hormonelle Steuerungsprozesse eingreifen und haben eine negative Auswirkung auf die Leber. Auch krebserregende Wirkungen werden stark mit PFAS in Zusammenhang gebracht.

TFA ist das kleinste PFAS und das endgültige Abbauprodukt von rund 2.000 anderen PFAS. Es ist dasjenige, das mit Abstand am häufigsten in unserem Wasser vorkommt. TFA kommt hauptsächlich durch Pestizide in unser Grundwasser. Eine zweite Quelle sind fluorierte Gase aus der Kältetechnik.

TFA wird immer wieder als „Ewigkeitschemikalie“ bezeichnet. Kann der Stoff nicht abgebaut werden?

Burtscher-Schaden: Bei TFA gibt es keine Hinweise darauf, dass es abgebaut werden kann. Die chemische Verbindung zwischen Kohlenstoff und Fluor ist die stärkste Verbindung überhaupt in der organischen Chemie – wenn da ein Kohlenstoff gänzlich fluoriert ist, dann geht da nicht mehr viel. Da gibt es weder Organismen, die in der Lage sind das biologisch abzubauen, noch normale Umweltbedingungen.

Klar kann man TFA bei gewissen Temperaturen zerstören, aber in der Natur wird das nicht abgebaut und das ist der entscheidende Punkt. 

Kann TFA natürlich vorkommen oder nicht?

Burtscher-Schaden: Ich glaube nicht. Es gibt keinen plausiblen Mechanismus für eine natürliche Entstehung. Viele Kollegen sagen auch, das ist Quatsch. Die Industrie behauptet allerdings einen natürlichen Ursprung von TFA. Interessanterweise ist das die gleiche Industrie, die auch einen natürlichen Ursprung derjenigen Substanzen behauptet hat, die unsere Ozonschicht zerstören. Damals wurde behauptet, diese Stoffe kämen aus Vulkanen. Die Industrie hat gesagt: „Beweist einmal, dass wir da schuld sind.“

Jetzt sind es die Tiefseeschlote. Da sagt die Industrie, dass ganz tief unten im Ozean irgendwie TFA gebildet wird. Dabei  zeigen Untersuchungen von Eisbohrkernen in der Arktis, dass die TFA-Werte in den Meeren erst seit den 1990er Jahren stark ansteigen. Damals begann die Fluorierungsindustrie jene Gase, die die Ozonschicht zerstören durch andere Gase zu ersetzten, die TFA freisetzen.

Warum werden PFAS-Pestizide von der Landwirtschaft so gerne eingesetzt?

Burtscher-Schaden: Ich glaube, dass die meisten Landwirte gar nicht wissen, dass einige der Pestizide, die sie verwenden und die ihnen auch im Lagerhaus empfohlen werden, PFAS-Chemikalien sind, die das Grundwasser mit einer Ewigkeitschemikalie kontaminieren. Dass dann auch ihr Grundwasser, mit dem sie ihre Felder bewässern, oder das sie möglicherweise trinken, mit einem Stoff, der nicht unproblematisch ist, belastet ist.

Das hat das Lagerhaus ihnen nicht gesagt, das steht auch auf keinem Sicherheitsdatenblatt und ich bezweifle sogar, dass die Berater im Lagerhaus sich bisher dessen bewusst waren.

Davon gewusst haben jedoch die Hersteller – wie etwa Bayer, der Hersteller des in Deutschland mit Abstand am meisten verwendeten PFAS-Pestizid.

Wie reagieren Politik und Behörden?

Burtscher-Schaden: In Deutschland gab es Gerichtsverfahren dazu, weil das deutsche Umweltbundesamt das Problem erkannt hat. Es machte als einzige mir bekannte Behörde in Europa auf das Problem aufmerksam und hat versucht, lokale Anwendungsverbote dieses Pestizids durchzusetzen. Sie hat dann aber, obwohl sie die Zulassungsbehörde sind, vor Gericht gegen den Eigentümer des Pflanzenschutzmittels verloren. Ein Handelsgericht war der Meinung, das verstoße gegen den freien Warenverkehr in der EU.

In welchen Bundesländern war die TFA-Konzentration am höchsten?

Burtscher-Schaden: Einschränkend muss ich dazu sagen: Wir haben pro Bundesland nur eine Probe gezogen und in zwei Bundesländern eine zweite. Eine Probe pro Bundesland wäre normalerweise nichts, woraus ich irgendwelche Schlüsse ableiten würde. Wir haben allerdings in Deutschland eine sehr große Zahl von Untersuchungen. Dabei hat sich gezeigt, dass die Landwirtschaft für 75 Prozent der PFAS-Belastung verantwortlich war. Je stärker der statistische Zusammenhang, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du mit einem kleinen Sample den Effekt siehst.

Am stärksten belastet waren die vier Bundesländer, die landwirtschaftlich am intensivsten bewirtschaftet werden. Das sind Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark und Burgenland.

Wobei jetzt Oberösterreich am stärksten war. Dazu muss man allerdings sagen, dass es in Oberösterreich 3.500 Wasseranbieter gibt. Da sind sicher welche dabei, die nettere Ergebnisse geliefert hätten. In Niederösterreich ist das mit der EVN anders.

Tirol, Vorarlberg, Salzburg und auch Kärnten haben deutlich niedrigere TFA-Werte aufgewiesen.

Ist es egal, ob ich Leitungswasser trinke oder Mineralwasser kaufe?

Burtscher-Schaden: Die durchschnittlichen Belastungen waren im Mineralwasser niedriger als im Leitungswasser. Und zwar signifikant niedriger. Spitzenwerte können aber auch im Mineralwasser vorkommen.

Global 2000 spricht bei TFA von einer „unsichtbaren Chemikalie“. Was bedeutet das?

Burtscher-Schaden: Es gibt drei Aspekte der Unsichtbarkeit. Einer ist ein technischer und hat dazu beigetragen, dass TFA so lange unter dem Teppich bleiben konnte, was massiv im Interesse der Industrie ist. Es ist so, dass TFA mit den normalen Analysemethoden nicht aufscheint. Man muss also spezielle Analysemethoden anwenden. Das wurde lange nicht gemacht, weil kein Auftrag dazu bestand.

Damit sind wir beim zweiten Aspekt der Unsichtbarkeit. Dass TFA frei wird und in großer Menge in unsere Gewässer gelangen wird, war in den neunziger Jahren bereits bekannt, teilweise aus Publikationen, die die Industrie selbst gemacht hat. Damals hat es allerdings geheißen ‚Das macht alles nicht, weil das ist eine völlig harmlose Substanz‘. Von der Gesundheit des Menschen ist nicht die Rede gewesen.

In den neunziger Jahren hat auch die EU bereits eine Richtlinie für die Pestizidwirkstoffprüfung gehabt. Damals hat man das erste PFAS-Pestizid zugelassen und gewusst, dass es TFA freisetzen wird. Man hat aber gesagt ‚Wir haben zu wenig Daten über das Abbauprodukt TFA, aber es wird schon nicht giftig sein‘. Somit hat man gesagt: ‚Das ist kein Stoff, den wir als relevanten Metaboliten einstufen und im Auge behalten müssen‘.

Das ist aus meiner Sicht der unglaubliche Skandal, dass man trotz des Wissens, dass der Stoff im Wasser landet und dort immer mehr werden wird, gesagt hat, wir beschließen jetzt bewusst wegzuschauen. So wurde TFA unsichtbar gemacht.

Der dritte Aspekt ist toxikologisch. Wir wissen wenig über den Stoff. Er ist unbekanntes Land.

Wie gefährlich ist TFA eigentlich? Was weiß man über die Chemikalie?

Burtscher-Schaden: Die akute Giftigkeit ist laut AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) sehr gering. Akute Giftigkeit ist jedoch nicht das Thema.

TFA hat sich im Tierexperiment als reproduktionstoxisch erwiesen, da es schwere Missbildungen bei Föten verursacht. Das ist ein Ausschlusskriterium für die Zulassung. TFA ist daher keine harmlose Chemikalie.

Für sich genommen scheint die TFA-Belastung im Wasser noch in einem akzeptablen Bereich zu liegen. Ein Problem ist allerdings, dass man mit PFAS bereits überbeansprucht ist. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sagt, dass signifikante Teile der europäischen Bevölkerung bereits heute über das gesundheitlich tolerierbare Maß mit PFAS belastet sind.

Der Nordic Council of Ministers, eine nordeuropäische Kooperationsorganisation auf Ministerebene, gab eine Studie zu den Auswirkungen von PFAS in Auftrag. Der finanzielle Schaden im Gesundheitssystem wurde für die europäische Union auf über 50 Milliarden Euro pro Jahr berechnet. Müsste die Politik nicht aus rein finanzieller Sicht an der Abschaffung von PFAS interessiert sein?

Burtscher-Schaden: Die Kosten, sollte es irgendwann notwendig werden, Wasser von TFA zu reinigen, sind sehr hoch. Außerdem würde man ein künstliches Wasser erhalten, das nicht besonders gut schmeckt. Das ist ein enormer Preis. Allein das würde – nehme ich an – mindestens in die dreistelligen Milliardenbeträge gehen. Es ist also ein Gebot der Vernunft, diese Stoffe zu verbieten, Gesundheitskosten nicht einmal eingerechnet.

Wie hat die Politik auf die jüngsten Publikationen reagiert?

Burtscher-Schaden: Noch recht wenig leider. Die Politik ist aber oft in der Schockstarre, wenn ein neues Thema aufkommt. Ich denke, die Politik muss reagieren. Ich bin auch davon überzeugt, dass die EU-Pestizidverordnung keinen Spielraum lässt, diese Wirkstoffe weiter am Markt zu lassen. Mitgliedstaaten müssen Pflanzenschutzmittel nämlich verbieten, wenn sich zeigt, dass die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Es gibt auch eine Wasserrahmenrichtlinie, wonach man den Zustand des Grundwassers nicht verschlechtern darf.

Bei uns müsste der Landwirtschaftsminister eigentlich jetzt handeln und diese Mittel verbieten.

Gab es ein Schreiben an den Minister?

Burtscher-Schaden: Wir haben einen Brief an drei Minister und Ministerinnen geschrieben. Nicht nur an den Landwirtschaftsminister, sondern auch an den Gesundheits- und die Umweltministerin. Denn die Bundesregierung müsste den Stoff verbieten. Wir hoffen, dass sich die Umweltministerin und der Gesundheitsminister der Bedeutung dieser Thematik für die menschliche Gesundheit und die Umwelt stärker bewusst werden.

Bis jetzt gab es noch keine Reaktion. Nach der Sommerpause werden wir mit Sicherheit nachsetzen.

Wo sind die Erfolgsaussichten für ein Verbot höher? Auf österreichischer oder auf EU-Ebene?

Burtscher-Schaden: In Österreich kann‘s viel schneller gehen. Also in Österreich könnte im Prinzip morgen jede Landeshauptfrau, jeder Landeshauptmann sagen: Anwendungsverbot.

Auch auf Bundesebene kann Österreich, beziehungsweise wäre Österreich sogar verpflichtet, alle Pflanzenschutzmittel, die nicht mehr den Zulassungsbedingungen entsprechen, umgehend zu verbieten.

Bei der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit ist TFA ein Thema geworden. Es gab eine Aufforderung der Kommission, eine Bewertung durchzuführen.

Aber die Mühlen mahlen auf EU-Ebene langsamer?

Burtscher-Schaden: Ja.

Wie kann man sich in seinem täglichen Leben vor TFA und anderen PFAS schützen?

Burtscher-Schaden: Bei TFA kann das nur über Verbote gehen. Als Individuum kann ich höchstens Petitionen gegen TFA unterschreiben, wie etwa auf global2000.at.

Man kann versuchen, PFAS zu vermeiden. Gore-Tex zum Beispiel ist eine Kleidung, die mit PFAS beschichtet wurde. Auch Backpapier kann PFAS-belastet sein.

Wollen Sie uns noch etwas sagen?

Burtscher-Schaden: Es ist nicht zu spät, die PFAS-Einträge ins Wasser und die Umwelt zu stoppen. Noch müssen wir uns nicht vor dem Wassertrinken fürchten. Wir haben aber eine unerfreuliche Grundbelastung und es zahlt sich aus, etwas dagegen zu tun.


Das Interview führte Daniel Pilz

[1] Dabei sind alle drei Kohlenstoff-Wasserstoffverbindungen der Methylgruppe mit Flouratomen ersetzt worden.

Titelbild: Selina Englmayer/Global2000

Autor

  • Daniel Pilz

    Redakteur bei ZackZack. Studierte Philosophie an der Uni Wien und schreckt auch vor komplexen Themen nicht zurück.

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