Montag, September 16, 2024

Braver Hund

Brave Hunde appportieren türkise und blaue Hölzel. Die roten lassen sie liegen.

Das kurze Holzstück wirbelt durch die Luft. Im Moment, als es ins Gras fällt, ist der Hund schon da, packt es, dreht sich wedelnd um und bringt es in gemessenem Tempo dem Herrl, das ihn kurz am Hals krault und „braver Hund“ sagt. Genauso läuft es im österreichischen Journalismus. Trotzdem gibt es Unterschiede.

Beim braven Hund ist es nicht immer ein Hölzel. Manchmal ist es auch ein Ball. Im Journalismus geht es mehr um die Farbe des Geworfenen. Der brave Hund apportiert heutzutage alles, was schwarz, blau und türkis ist. Die roten Hölzel und die grünen Bälle lässt er liegen.

Jetzt gerade fliegt ein Mindestsicherungshölzel nach dem anderen. Begonnen hat das mit der Denunzierung einer kinderreichen Ausländerfamilie. Wurf, Biss, zurück – Wurf, Biss, zurück –der Heute-Hund hat sein Allerletztes gegeben. Die anderen braven Hunde waren gleich dabei.

Rotes Hölzel im Gras

Das rote Vermögenssteuerhölzel liegt unbeachtet im Gras. Sein Herrl hebt es immer wieder auf, wirft es, schüttelt den Kopf und stellt fest, dass das Spiel ohne braven Hund einfach nicht funktioniert. Das rote Herrl hat alles genau ausrechnen lassen: wieviel man denen unten geben kann, wenn die oben die Steuern zahlen, die sie sonst überall zahlen müssten; wie man aus einer zwei Klassen- wieder eine ein Klassen-Medizin macht; wie man Ausländerkinder als Chance nützt und islamistische Hassprediger als Gefahr bekämpft. Aber das interessiert keine richtige Sau, wie das im Fachjargon der Inseratenpartei heißt.

Türkise und blaue Hölzel gibt es haufenweise: „Bargeld“, „Leitkultur“, „Sozialbetrug“ und immer wieder „Ausländer“. Wenn grad keines da ist, wird es erfunden, wie beim „Hackerangriff auf die ÖVP“, der 2019 half, die Wahl ein letztes Mal für Kurz zu gewinnen.

Wer die wenigen Fakten überprüft hätte, wäre auf ein billiges Ablenkungsmanöver von einem Leak in der ÖVP-Buchhaltung gestoßen. Aber wie soll ein braver Hund eine Spur aufnehmen, wenn etwas Türkises durch die Luft fliegt?

Milliardenscheiße

Desinformation verfolgt immer zwei Ziele: von etwas ablenken und wohin umlenken. Wovon wird derzeit abgelenkt? Ich erzähle eine Geschichte, die Zeitungsleserinnen und ORF-Seherinnen kaum kennen, weil sie sie nicht kennen sollen. Ich habe sie im Detail in meinem neuen Buch „Ostblock“ beschrieben.

Die Geschichte geht so: Raiffeisen sitzt bis zum Hals in etwas, was man im Bankerdeutsch als „Scheiße“ bezeichnet. Rund sechs Milliarden Euro hängen in Russland fest, zwei Milliarden stecken im Benko-Sumpf. Da beginnt der russische Teil der Geschichte.

Wladimir Putin sitzt vor einem Knopf. Wenn er ihn drückt, ist RBI – die „Raiffeisenbank International“ – in ihrem Hauptverbreitungsgebiet „Russland“ eine Staatsbank. Dann sind in Österreich sechs Milliarden futsch und müssen in der Bilanz als Verluste abgeschrieben werden. Kommen die Benko-Milliarden dazu, kracht es unter dem Giebelkreuz.

Jetzt hat unser Außenminister von unserem Staatsschutz DSN die Aufforderung, 14 russische Spione auszuweisen, erhalten. Die 14 Techniker und „Diplomaten“ des SWR, des russischen Gegenstücks zur NSA der USA, hören vom Dach der „Russencity“ in Wien-Donaustadt unsere Handys ab.

Schallenberg fürchtet offensichtlich die Kettenreaktion „Spione raus – RBI verstaatlicht – Ofen aus“. Vor der Wahl will die ÖVP keine Raiffeisen-Pleite, nach der Wahl eher auch nicht. Aber sie wird sich das nicht aussuchen können, weil das US-Finanzministerium bald mit seiner Prüfung, welche Sanktionen gegen die österreichische Putin-Bank verhängt werden sollen, fertig ist.

„Herr Chefredakteur…“

Putins Spione stehen unter Schutz, weil Raiffeisen geschützt werden soll. Das ist der konkrete Verdacht. Darüber liest man bei Reuters und in Politico, aber nicht in Kronen Zeitung, Heute, Kleine Zeitung, Kurier oder Die Presse.

Warum? Darum. Jeder weiß es. Aber fast alle halten den Mund.

Versuchen wir uns in die Lage eines Journalisten bei einer dieser Zeitungen zu versetzten. „Herr Chefredakteur, ich hab da die Geschichte von Putins Spionen und was das mit Raiffeisen und OMV zu tun hat, recher…“ – „Was?“ – „Die …“ – „Und Mindestsicherung? Und Bandenkriminalität? Und der grüne Verfassungsbruch? Und das Duell zwischen Kickl und Nehammer? Und was der Babler gerade wieder vermurkst?“

Das eigene Bild

ÖVP-Hölzeldesigner Gerald Fleischmann hat sein System der professionellen Desinformation offen in einem Buch beschrieben. Viele in der Branche haben es gelesen. Seitdem wissen sie, was sie tun – und tun es weiter. Trotz WKStA-Ermittlungen im Inseraten- und Umfragensumpf funktioniert das System gerade deshalb immer noch so gut, weil alle wissen, was sie tun.

Ja, natürlich gibt es auch andere Hunde. Sie interessieren sich nicht für Geworfenes, sondern machen sich mit ihrer Nase ein eigenes Bild von der Welt. Man findet sie im ORF, im Standard, auch in der Kronen Zeitung. Die meisten der anderen Hunde wissen, dass ihr Journalismus von der Regel zur Ausnahme geworden ist.

Genau deshalb machen wir ZackZack. Ein besserer Schluss fällt mir heute nicht ein. Ich bitte um Nachsicht.

Nachtrag um 12.40 Uhr: Einfache Abfolge: COFAG wird aufgelöst. Damit schwinden die Chancen, die zielgerichtete Verschleuderung von 14 Milliarden Euro Steuergeldern aufzuklären. Die Spezis der ÖVP haben ihre Maximalsicherung bekommen. Zur Ablenkung wird die Mindestsicherung angegriffen. So funktioniert das Fluten mit Scheiße, wie man das so nennt.

p.s.: Mein Buch “Ostblock”, in dem das alles im Detail beschrieben wird, gibt es hier in unserem Shop – und auf Wunsch mit einer wunderschönen Widmung.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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