Samstag, Oktober 12, 2024

Politik der Paranoia

Die Herbert-Kickl-Maschine: die FPÖ-Agitation ist wie aus dem Handbuch für „Falsche Propheten“. Sehr viel simpler geht schon kaum mehr.

Es hat sich eingebürgert, Herbert Kickl für einen sehr gerissenen rechtsextremen Politiker zu halten. Seltsamerweise unterstellen ihm sogar Leute ein gewisses Talent, die seine Propaganda ablehnen. Andererseits ist er ein ziemlich lausiger Redner. Er schreit seine bekannten Formeln mit der immergleichen, gepressten Fistel-Stimme in den Saal, beherrscht kaum einen anderen Tonfall als den passiv-aggressiven Sound. Er versucht Witze zu machen, die selbst sein Publikum oft nicht lustig findet, setzt Pointen, die die Zuhörer verwirren, und wartet auf den Jubel, der dann nicht kommt und kriegt keinen Rhythmus hin. Gelegentlich schaut er wie eine Maus in der Lebendfalle und wundert sich, warum da kein Funke springt.

Kickls „Talent“ besteht also nicht in der Kunstfertigkeit seiner Rede, und auch nicht in den emotionalen Banden, die er mit seiner Zuhörerschaft knüpft oder seinem Sensorium für Stimmungen. Was er aber gut schafft, ist das extremistische und rechtspopulistische Vokabular perfekt zu setzen.

Groll schüren, das Publikum aufganseln, eine Phantasiewelt entwerfen, in der die Realität als ein einziges, bedrohliches Katastrophenereignis erscheint.
Eine Realität, die von betrügerischen Eliten herbeigeführt wird zum Zwecke der Ausbeutung der fleißigen, einfachen Leute, die diesen Machenschaften ohnmächtig ausgeliefert sind. Glücklicherweise naht aber jetzt ein Retter, der Herbert nämlich.

Dabei nähren Kickl und seine Leute die Lust an der Grausamkeit seiner Wählerinnen und Wähler, er spielt mit der Verbitterung der Anhänger und verstärkt diese noch, da Bitterkeit, Frustration und ein überzogener Pessimismus die Brandbeschleuniger sind, deren die rechte Agitation bedarf. Über dieses emotionale Zusammenspiel von Anführern und Anhängerschaft habe ich auf ZackZack zuletzt ausführlich geschrieben und auf die wichtige Rolle hingewiesen, die die Sozialfigur des „konformistischen Rebellen“ dabei spielt, also die heute gängige Ausprägung des „autoritären Charakters“.

Der Agitator aus dem Buche

Wie begrenzt Herbert Kickls eigene Fähigkeiten sind, merkt man, wenn man etwa Studien wie Leo Löwenthals „Falsche Propheten“ liest. Darin hat der deutschjüdische, in die USA geflohene Denker bereits in den vierziger Jahren – also vor bald 80 Jahren – die Agitation faschistischer US-amerikanischer Anführer erforscht und deren Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede mit und zu der Nazi-Agitation von Hitler, Goebbels und Co. herausgearbeitet. Wenn man das liest, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Alles, was Kickl abspult, gehörte schon damals einfach zum Standardrepertoire. Es ist eine frappierende Studie über die Rhetorik der Reaktion, die zeigt, wie wenig sich seither eigentlich geändert hat. Deswegen sollen hier zentrale Beobachtungen ausführlich zusammengefasst werden:

° Der Agitator findet, so Löwenthal, „zahllose verleumdende und bösartige Hinweise auf Feinde“.

° Schon Löwenthal bemerkte, dass zum fixen Repertoire des faschistischen Agitators die Klage gehöre, dass „die öffentlichen Informationsmedien sich in den Händen der Feinde der Nation befinden“ – im US-Fall der 1940er Jahre war Hollywood das bevorzugte Feindbild.

° Der Agitator scheint vorauszusetzen, dass „sein Publikum aus Leuten besteht, die unter einem Gefühl der Hilflosigkeit und Passivität leiden“. Oft ist die Quelle einfach der „Grundzustand des modernen Lebens“, in dem bisher Gewohntes zerfällt, ein Wandel, der als „Malaise“, als „Unbehagen“ empfunden wird. Löwenthal verweist etwa auf Charakteristika des „modernen Menschen“, wie etwa „geistige Heimatlosigkeit“ und „Verwirrung“, dass man sich als hilfloses Opfer „unpersönlicher Mächte“ erlebt.

° Der Agitator „watet in dieser Malaise, er genießt sie“, er übertreibt sie stets und versucht dieses Grundgefühl in seinem Publikum zu verstärken. Das Publikum verfällt zunehmend in eine „paranoide Beziehung zur Außenwelt“, die man wohl am besten in medizinisch-pathologischen Begrifflichkeiten beschreibt. Der Agitator braucht Leute, die sich als „Betrogene“ fühlen und gegenüber der Welt „einen Groll hegen“ und sich in dieses Gefühl zugleich verzweifelt wie auch begeistert hineinsteigern. Und er versucht diese Gefühle von Ressentiment und Ohnmacht in „aggressive Impulse“ zu verwandeln.

° Der Agitator muss sein Publikum im Bewusstsein stärken, hilfloses Objekt „einer permanenten Verschwörung“ zu sein. Das führt dazu, dass er seine Anhänger eigentlich stets demütigen muss. Sie werden auch deshalb „kleiner Mann“ genannt, um ihre eigene Handlungsunfähigkeit zu unterstreichen, weshalb sie „auf ihn angewiesen“ seien. Einerseits muss er sie beschwören, dass sich demnächst alles zum Guten wandelt (wenn sie ihm, dem Agitator, folgen), anderseits muss er die Wut verstärken, die aus gefühlter Ohnmacht erwächst. Ein Seiltanz gewissermaßen.

° Der Jude spielt in der traditionellen faschistischen Agitation auch deshalb eine so große Rolle, weil die Juden als sinistre Strippenzieher und Verschwörer markiert werden. Aber Verschwörungstheorien funktionieren auch ohne Juden, wenngleich bekanntlich auch heute oft „zufällig“ Juden im Netz der Verschwörer auftauchen, wie der beliebte Gottseibeiuns der Rechten, George Soros. 

° Vorhandene Angst wird in eine existenzielle, alles vergiftende Angst verwandelt, „zu einer Art Fantasiewelt“ ausgemalt, in eine „morbide, nihilistische Erwartung der totalen Vernichtung“, zu deren Abwehr dann ja auch alles berechtigt ist. Deswegen ist einer der wichtigsten Standards der Agitation „die Anhäufung von erfundenen Schrecken auf wirkliche.“ Eine simple, aber wirksame rhetorische Operation ist „die Taktik des ‚Alles-in-einen-Topf-Werfens‘“. Die Themen des Agitators sind „entstellte Versionen echter sozialer Probleme“, er aktiviert „die primitivsten und bedrängendsten Reaktionen seiner Anhängerschaft“. Die von ihm vergiftete Anhängerschaft leidet nicht mehr unter ihrer Paranoia, sie genießt sie geradezu.

° Die „Fremden“ fügen sich in die Agitation nicht nur als Bedrohung für die Homogenität des Volkes ein, sondern stecken irgendwie auch mit den Eliten im Bunde. Simpel gesagt: Die Eliten holen den Ausländer, weil sie den Inländer hassen. „Die gefährlichste Abart des Fremden ist in den Augen des Agitators der Flüchtling“, auch weil der Flüchtling der paradigmatisch Ausgestoßene ist, den man dort nicht will, wo er herkommt, und da nicht, wo er ankommt.

° Der Agitator muss sich selbst als eine Art „kleiner Mann“ darstellen und zugleich von seinem Publikum abheben, doch er besteht stets auf den Hinweis, „sich keineswegs in den Kreisen der gehobenen Gesellschaft“ zurechtzufinden. Er spricht eine rüpelhafte Sprache, obszön und voller Lust zur Gewalt, aber, meint Löwenthal, „seine schlechten Manieren werden zum Garanten seiner Aufrichtigkeit.“ Er verstellt sich nicht, hält sich nicht an die Regeln der Höflichkeit, also belügt er Euch nicht, so die implizite Botschaft. Kickl spricht etwa von der „Inzuchtpartie“ bei den Salzburger Festspielen, bei der er ja gar nicht dabei sein wolle, was besonders peinlich für seine Salzburger Landeshauptfrau-Stellvertreterin ist, die sich gerade stolz im Kreise des Festspielpublikums zeigte.

° Bemerkenswert ist die für heute so virulente Erkenntnis, die Löwenthal schon 1949 lapidar formuliert: „Seine Themen könnten in ein anderes Land verpflanzt werden“. Anders als die Nazi-Rhetorik, deren Kult des arischen, deutschen Übermenschen kaum in andere politische Kulturen übertragen werden konnten, ist die Rhetorik vom „simple American“ genauso auf die „einfachen Deutschen“, oder die „einfachen Franzosen“ anwendbar. Löwenthal: „Man möchte fast sagen, dass die amerikanische Agitation eine standardisierte und simplifizierte Version der ursprünglichen Nazi- und faschistischen Propagandaslogans darstellt.“

Löwenthal hat schon vor rund 80 Jahren geahnt, dass ein internationales Standardrepertoire der rechtsextremen Agitation entsteht, welches gleichsam unabhängig von den national-kulturellen Kontexten anwendbar ist. Mit einigen wenigen rhetorischen Standards wurde ein „globaler Stil des Nationalismus“ geschaffen, der offensichtlich in fast jeder politischen Kultur funktioniert und eigentlich nur zehn, fünfzehn fixe Formeln braucht, die man abspult und gegebenenfalls an die lokalen Umstände oder die Verhältnisse der Zeit anpasst. Quasi der globalisierte Antiglobalismus. Das einzig wirklich Professionelle an der FPÖ und ihrer Führungsmannschaft ist, dass sie das einfach wie eine Maschine abspult.

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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