Montag, September 16, 2024

Randnotizen: Werbung statt Nachrichten

Wir erleben den ersten österreichischen Wahlkampf nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem der ORF nicht einmal mehr den Schein der Unparteilichkeit wahren will. Mit der Pressefreiheit in Österreich ist es vorbei.

Diese Kolumne sollte eigentlich ein Pressespiegel sein. Im heutigen Pressespiegel gibt es aber kein einziges Zitat aus der Presse. Aus folgendem Grund: Es gibt in Österreich keine rein neutralen Pressestimmen zum Wahlkampf.

Man wundert sich nicht, dass Österreich im Ranking der Pressefreiheit (wo es einst auf Platz 5 war), heute auf dem 33. Platz rangiert; einen Platz vor Mauretanien, ein Land, in dem die Scharia gilt. Und wir sehen heute leider, dass wir kritische politische Artikel nur mehr in kleinen Online-Medien wie ZackZack und Blogs finden.

Versucht mit Parteipropaganda

Die österreichische Zeitungslandschaft ist verseucht mit Blau-Schwarzer-Parteipropaganda. Noch verseuchter als sie ist nur noch die Innenpolitik im ORF. Ich habe mich schon gewundert, dass es überhaupt Berichterstattungen über die Nationalratswahlen gibt, denn nachdem bei der Fußball-EM alle relevanten Übertragungen der Spiele Österreichs von Servus-TV gemacht wurden, dachte ich, dass der ORF seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag ganz an den Nagel gehängt hat.

Nun erstmals seit es Wahldebatten gibt (heute Duelle genannt), werden dabei die Listen nicht mehr nach ihrer Mandatsstärke gereiht, sondern nach den Präferenzen des ORF. Und der fördert Schwarz-Blau. Also ist das Spitzenduell, das des Drittplatzierten und des Erstplatzierten – die Wunschkoalition des schwarzen ORF und der Raiffeisen-Bank: FPÖ und ÖVP.

In der Hand von Oligarchen

Was Gerd Bacher einst mit seinem Politik-Chefredakteur, dem hochdekorierten Ustascha-Faschisten Alfons Dalma, nicht geschafft hat, ist unter Weißmann und Westenthaler Realität geworden: das Ausgrenzen der SPÖ. Jetzt weiß man, warum man sich die Debatten im ORF gar nicht erst anzusehen braucht. Österreich ist in seiner Umwandlung in eine Oligarchie schon weit fortgeschritten: Die Milliardäre und Großkonzerne bekommen einen Großteil der staatlichen Förderungen, sie machen indirekt (über reine Lobbyisten in den Parteien) Politik und sie haben damit auch die Medien fest in der Hand.

Die Nationalratswahl 2024 müsste schon jetzt gerichtlich angefochten werden. Und ich wette darauf, dass die ÖVP (wie bereits 2013, 2017 und 2019) die erlaubten Wahlkampfkosten wieder um fast 100 Prozent überschreiten wird.

Ohne Wiederkehr

Der ORF bringt keine Nachrichten mehr, sondern nur mehr Werbung. Wollte man nach 1945 in Österreich Journalist werden, musste man im Auftrag einer der alliierten Mächte arbeiten. So wurde das Selbstverständnis der Presse in diesem Land geboren, nicht über Politik zu berichten, sondern Politik zu machen.

In einer der schönsten Perioden des vergangenen Jahrhunderts, ca. zwischen 1980 und 2000, gab es auch wirklichen Journalismus. Vor allem der FALTER, das profil (von damals!!!) und die 1988 das erste Mal erschienene Tageszeitung Der Standard zeigten, was freie Presse bedeuten kann. Doch das ist nun lange her – und scheint mir ohne Wiederkehr.

Selbstkritik unterbleibt aus Scham

Die SPÖ muss sich endlich der Erkenntnis stellen, dass sie ihre Parteimedien nie hätte einstellen dürfen und den knallharten Proporz in alle Einflussbereiche nie hätte aufgeben dürfen. Sie kam nämlich mit Boulevard, Presse und ORF auch nur dann halbwegs zurecht, wenn sie populäre Langzeitkanzler als Parteivorsitzende hatte. Und das waren Kreisky und Vranitzky. Doch in Zeiten längerer Abwesenheit von der Regierung zeigt sich, dass man die Situation der Presse nicht aus der Sicht der Herrschenden betrachten sollte, wenn es einem um Pressefreiheit geht. Das wusste Viktor Adler, der unter Einsatz seines Privatvermögens und durch private Schulden die Arbeiterzeitung am Leben erhielt.

Es gibt keine Pressefreiheit in Österreich. Und es ist lässlich und lächerlich, wenn Expertinnen und Experten sich heute in diesem Land über mangelnde Pressefreiheit in anderen Staaten mokieren. Österreich soll einmal vor seiner eigenen Tür kehren. Aber die Selbstkritik des Landes unterbleibt – aus Scham.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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