Montag, September 16, 2024

Bald wirst Du zwangs-homogenisiert!

Die FPÖ droht in ihrem Wahlprogramm unverhohlen mit der Gleichschaltung der Gesellschaft. Wo bleibt der Aufschrei der Leitartikler über das Skandal-Papier?

Dieser Tage drängten sich auffallend viele FPÖ-Politiker beim peinlichen Quasi-Staatsbegräbnis für Richard Lugner. Die harten Sitzgelegenheiten sind sie ja von den Anklagebänken im Gerichtssaal gewohnt.

Auch sonst sind sie nicht unkomisch.

Man stelle sich für einen Moment vor, ein NS-Ideologe wie, beispielsweise, Rassentheoretiker Alfred Rosenberg und ein radikaler Neoliberaler wie, beispielsweise, Friedrich August von Hayek, müssten ein gemeinsames Programmpapier ausarbeiten. Trotz mancher Schnittmengen – etwa ein gewisser Autoritarismus und die Gier nach „Härte“ gegenüber Schwächeren – kann da natürlich nur wirrer, eklektischer Unfug herauskommen. Es wäre in die eine Richtung radikal, dort in die andere, und die Autoren würden sich permanent gegenseitig in den Finger schreiben.

Diese absurde Vorstellung hat die FPÖ jetzt offenbar mit der B-Besetzung in die Realität umgesetzt. Das aktuelle Wahlprogramm der FPÖ klingt so, als wäre es vom radikalen Identitären Martin Sellner und der nicht weniger extremen Wirtschaftsliberalen Barbara Kolm vom Hayek-Institut gemeinsam verfasst. Es ist nicht nur ein extremistisches Programm – sondern auch ein extrem verwirrtes.

Es ist symptomatisch für den Zustand der hiesigen innenpolitischen Debatten und der Berichterstattung, dass das Skandal-Programm der FPÖ nicht längst für Schlagzeilen sorgt. Üblicherweise sind Wahlprogramme ja nicht die wichtigste Sache der Welt. Niemand liest sie, aber man braucht sie dennoch. Deswegen versuchen Parteien, bei dieser Art von Schriftsorte eher unverfänglich zu bleiben, um sich nicht unnötig angreifbar zu machen.

„Homogenität des Volkes“

Aber nicht so die FPÖ. Es ist ein richtig radikales Ideologenprogramm geworden. Als eine der zentralen Zielsetzungen wird die Homogenisierung der Bevölkerung genannt. In einem Staatswesen, wie die FPÖ es sich vorstellt, sollen sich Menschen zusammenfinden, „die Ähnlichkeiten aufweisen“. Je homogener der Staat, umso besser. In einer ethnisch vielfältigen Gesellschaft dagegen „leidet die Homogenität“. Gleich fünfmal wird in dem Programm etwa die „Gefahr für die Homogenität des Volkes“ beschworen. Daraus darf man natürlich ableiten, dass die FPÖ die Homogenisierung des Volkes verspricht. Das tut sie nicht nur in Hinblick auf ihr Leibthema – weniger Ausländer ist gleich weniger Inhomogenität –, sondern auch in verschiedenen anderen Politikfeldern. So prangert sie etwa die Wiener „Festwochen“ an und den „Eurovisions-Song-Contest“. Erstere sind ihr offenbar zu links, zu rebellisch, zu avantgardistisch, letzterer offenbar zu schwul, zu queer, zu schrill, und außerdem nehmen da ja auch Ausländer wie Israelis, Litauer, Franzosen teil, sogar Muslime, etwa aus Bosnien Herzegowina.

Durchaus bemerkenswert, dass die FPÖ ihre Ziele so schamlos formuliert. Schon alleine deswegen, weil Teile ihrer Wählerschaft „Homogenität“ für eine sexuelle Orientierung halten könnten. Schließlich glauben in diesen Kreisen ja nicht wenige, „Pädagogen“ seien Leute, die sich an Kindern vergehen.

Tatsächlich sind unsere Gesellschaften heute divers und heterogen, und zwar in verschiedener Hinsicht: Ethnisch durch das unterschiedliche Herkommen in Einwanderungsgesellschaften. Noch mehr aber auch durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Milieus mit unterschiedlichen Werten und Lifestyles. Postmoderne Theoretiker sprachen deshalb schon vor Jahrzehnten davon, moderne Gesellschaften seien ein „Patchwork von Minderheiten“, Soziologen von „Entstandardisierung“, also dass es keinen konformistischen, breiten Mainstream mehr gäbe, sondern eine Vielzahl an unterschiedlichen „Stilgemeinschaften“, die nebeneinander herleben. Das ist nicht schlecht: Dadurch saugt man die Maxime „leben und leben lassen“ schon mit der Muttermilch auf. Klügere neokonservative Denker wie etwa der US-Wissenschaftler Daniel Bell haben schon früh über die Tatsache gegrübelt, dass die Freiheitskultur der Kapitalismus hedonistische Werte, Konsum- und Spaßkultur, subversive Avantgardisten hervorbringt, und damit die konventionell-konservative Lebensweise untergräbt. Sie haben darüber auch ein bisschen geklagt, da sie ja sehr für den Kapitalismus waren, aber nicht für seine kulturellen Wirkungen.  

Ziel ist die Gleichschaltung

Die FPÖ sagt nun in ihrem Programm dieser Heterogenität den Kampf an und fordert mehr „Homogenität des Volkes“. Im Grunde war das die Kernideologie des Faschismus, nämlich Abweichungen von der Norm „auszumerzen“. Dass alle nur mehr so leben, wie ein normiertes Fantasievolk, das sich die Faschisten ausmalen. Wer nicht passt, wird passend gemacht. Da sich kulturelle Minderheiten, die künstlerische Avantgarde, die schrägen Typen oder auch nur Alternativkulturen, die modernen Frauen, die Männer, die nicht die hergebrachten Männlichkeitsnormen leben und viele andere mehr gegen diese Zwangshomogenisierung wehren würden, proklamiert das Wahlprogramm dann auch gleich „die volle Verfügungsgewalt über die drei wesentlichen Elemente – Regierung, Raum und Volk“. Wie man am Spleen für Begriffe wie „Raum“ schnell sieht, ist das im Wesentlichen vom faschistischen Staatstheoretiker Carl Schmitt abgeschrieben. Im Raum (Österreich), solle eine starke, souveräne Regierung (der Herbert), die Verfügungsgewalt über das Leben des Volkes (Sie und ich) haben.

Man kann der FPÖ jedenfalls nicht vorwerfen, dass sie ihre extremistischen und autoritären Ziele verbergen würde. Sie propagieren ethnische und (lebens-)kulturelle Zwangshomogenisierung. Und schreiben „die volle Verfügungsgewalt“ über Sie, liebe*r Leser*in, und mich und überhaupt alle einfach so in ihr Programm hinein.

Gleich daneben kommt der „Individualismus“

Es wäre aber nicht die FPÖ, würde der Extremismus nicht sofort mit Kasperlhaftigkeit einher gehen. Denn ein zweiter Strang des FPÖ-Wahlprogrammes ist ein radikaler Neoliberalismus – mit den bekannten Phrasen: Freiheit und „Abwehrrechte“ gegen einen starken Staat, niedrigere Steuern, freie Bahn für die Erfolgreichen, runter mit dem Sozialstaat. Noch mehr Steuergeschenke an Konzerne, Einsparungen in Milliardenhöhe werden angekündigt. Die Steuer- und Abgabenquote soll auf 40 Prozent sinken, was nur mit massiven Einsparungen bei Pensionen, Gesundheitssystem usw. gehen würde. Die Grundidee dieser Ideologie ist „freie Bahn den Starken, und mehr Härte ins Leben der normalen Leute“. Barbara Kolm kandidiert auf Platz 6 der FPÖ-Bundesliste und will etwa eine Privatisierung der Wasserversorgung. Wenn alles dem Profitprinzip unterworfen ist, hätten die Wirtschaftsleute mehr Profitmöglichkeiten und, so die Fabuliererei, die Kunden hätten auch bessere Versorgung. Sie können zwischen Anbietern wählen. Niemand wird durch Gesetze, hohe Löhne oder böse Bürokratie daran gehindert, eine gute Geschäftsidee zu verwirklichen. Natürlich wird das immer mit der Phrase vom „Individualismus“ verkauft. „Individuum“, „Individualität“ etc. kommen gleich 15 Mal im FPÖ-Programm vor.

Jetzt ist der Lobgesang auf die „Individualität“ natürlich stets verbunden mit dem Ziel, dass jeder und jede seine eigenen Talente entwickeln kann, dass man nicht durch Konformismus gegängelt sein solle, dass jeder anders als der andere sein solle: Lauter individualistische Individuen, die nebeneinander her leben und gegeneinander konkurrieren. Individualismus führt eben zur Heterogenität der Gesellschaft, und zu einem Staat, der möglichst wenig Vorschriften macht. Aber im gleichen Programm droht die FPÖ mit einem Staat, der auf jedes kleinste Glied des Volkes zugreifen kann, um zu diktieren, wie man zu leben hat – der „Homogenität“ wegen.

Das ist nicht nur extremistisch, sondern vor allem ein völlig wirrer, widersprüchlicher Unsinn.

Also was jetzt? Ein Staat, der bis in die Lebensführung diktiert und die volle Verfügungsgewalt über das Volk hat – oder ein Staat, dessen Zwangsgewalt im Namen des Individualismus abgewehrt wird? Es ist so vertrottelt, dass es weh tut.

„Das auf kulturelle und ethnische Homogenität setzende Wahlprogramm lässt klassische Rechtsaußen-Parteien wie die deutsche AfD oder das französische Rassemblement National konservativ wirken“, schreiben Elfriede Jelinek, Milo Rau, Mavie Hörbiger, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Claus Philipp dieser Tage in einem gemeinsamen Appell: „Demokratiefeindlicher und offen nationalsozialistischer kann eine Rhetorik nicht sein!“ Die freiheitliche Gesellschaft solle gleichgeschaltet werden, und das werde auch noch offen angekündigt. „Wir sagen: Bis hierher und nicht weiter!“

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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