Die »Duelle« vor der Wahl zeigen, wie Sensationsjournalismus und Boulevard den sogenannten Qualitätsjournalismus durchdringen und tatsächliche Debatten unterbleiben. Als Entscheidungshilfe für eine Nationalratswahl sind sie unbrauchbar.
Die erste große Fernsehdebatte zwischen zwei Spitzenkandidaten war die Diskussion zwischen dem damaligen Vize-Präsidenten und republikanischen Richard Nixon und dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy im September 1960. Zehn Jahre später, aber dennoch sehr früh im Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern, gibt es eine derartige Sendung in Österreich. Der ORF sendet am 28. Januar 1970 eine einstündige Diskussion zwischen ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus und SPÖ-Spitzenkandidaten Bruno Kreisky.
»Konfrontation« nennt der damalige ORF-Politikchef Alfons Dalma diese Sendung, die er damit einleitet, dass er die Biografien der beiden Herren vorliest. Dann verschwindet Dalma und Klaus und Kreisky diskutieren fünfzig Minuten lang. Einmal sagt Kreisky zu Klaus, er bitte ihn, ihn ausreden zu lassen, was er auch immer getan habe, worauf Klaus sagt: »Entschuldigung!« Fünf Minuten vor Schluss kommt Dalma zurück und bittet beide um ein Schlusswort von zwei Minuten.
Schau nicht auf die Uhr
In den Debatten der Folgejahre mit den ÖVP-Spitzenkandidaten Karl Schleinzer und Josef Taus sieht man dann einen Bruno Kreisky, der eloquenter und weniger nervös ist als noch 1970 und besonders Taus durch rhetorische Überlegenheit aussticht. Berühmt geworden ist jene Stelle der Fernsehkonfrontation 1975, in der Kreisky Taus eine »gouvernantenhafte Art« der Gesprächsführung attestiert.
So rührend und heimelig diese Diskussionen ohne Moderation heute auf uns wirken, so sieht man doch schon an den populären Erinnerungen, die daraus geblieben sind, dass hier niemals argumentativ über die betreffende Sendung geurteilt wurde, sondern immer emotional; dass es nicht um das Gesagte und den Inhalt des Gesagten ging, sondern um ausgestrahlte Macht; ja, dass sogar Außersprachliches über den »Sieger« des »Duells« entschieden hat. Letzteres geschah etwa 1992, als George Herbert Walker Bush (also Bush senior) bei einer TV-Debatte mit Bill Clinton und Ross Perot gelangweilt auf seine Armbanduhr schaute. Dieses Snippet wurde für die Beurteilung dieses »Duells« ausschlaggebend.
Rare Sternstunden
Ich stelle »Duell« und »Sieger« in Anführungszeichen, weil uns die Verwendung dieser Worte schon zeigen, wie die Medien ihre Sendung aufmachen. Sie stellen politische Kandidaten als Musketiere oder Revolverhelden vor. Und am Ende muss es einen »Sieger« geben – und damit natürlich auch einen Toten.
Tatsächlich aber bleibt von den meisten dieser Sendungen gar nichts über. Und das völlig zurecht. Dass heute über lange Strecken zwei Kandidaten gleichzeitig reden, Moderatoren eingreifen müssen, die Zeitmessung akribisch erfolgt, zeigt eine niedergehende Debattenkultur, aber auch einen Kampf um Sekunden, der völlig sinnlos ist. Denn gesagt wird in der gewonnenen Zeit nichts. Und selbst die Sternstunden sind rar.
Der Mimosenhafte und sein Taferl
Freilich wurden die Debatten schärfer und inhaltsleerer und in ihrer Argumentation destruktiver. Jörg Haider führte das sogenannte Taferl ein, um Zahlen zu präsentieren. Dabei präsentierte er aber immer im Sinne des Negativwahlkampfs, den er – nachdem man ihn für eine Politfigur der Vergangenheit hielt – Mitte der Achtzigerjahre wieder einführte, Angriffe auf den politischen Gegner, die dessen Machtmissbrauch und Verschwendung offenlegen sollten. Haider, dem heute der Ruf als großer Rhetoriker hintennach eilt, ist dort deutlich nicht in seinem Metier. Er wirkt eher raunzend und ständig meckernd, sodass Franz Vranitzky ihm in der Debatte vom 21. September 1994 (moderiert von Elmar Oberhauser) sagt: »Das gehört zu allen Ihren Rundumschlägen: dass Sie in Wahrheit wehleidig sind. Ganz mimosenhaft!«
Vor allem mit den Kurzzeit-Parteien wie BZÖ und Liste Stronach erreichten die Debatten im Fernsehen neue Levels der Peinlichkeit. Etwa als Frank Stronach sich vehement gegen Standpunkte aussprach, die – wie ihm Moderatorin Ingrid Thurnher dann vor laufender Kamera vorlas – aus seinem eigenen Wahlprogramm stammten.
Ein Fossil, an dem man festhält
Mag sein, dass sich Fernsehsender bemühen, die Bewertung der Diskussion zu versachlichen, indem sie das Gesagte danach in sogenannten Fakten-Checks analyiseren. Doch wir wissen: Hier geht es nicht um Inhalt. Der ORF hat mit seiner politischen Reihung der SPÖ hinter die FPÖ, die weniger Mandate im Nationalrat inne hat als die Sozialdemokraten, nun auch einen Tabubruch begangen, der klar macht: Selbst die Austragung der sogenannten »Duelle« ist parteipolitisch. Und auch die folgenden Analysen im ORF werden seit vielen Jahren in der Mehrheit von Personen gemacht, die ÖVP-freundlich sind, wenn sie nicht Parteimitglieder und sogar Ministerämter oder andere politische Funktionen für die ÖVP bekleideten. Von den anderen Sendern und ihren parteipolitischen Ausrichtungen ganz zu schweigen.
Wozu braucht man also das »Duell«?
Man braucht es gar nicht. Es ist heute eine Volksbelustigung. Ein Fernsehfossil, an dem man festhält. Es gleicht mehr einer Sportübertragung. Wie die Sommergespräche lebt das Format vom Skandalon, von kurzen Snippets, die danach über soziale Medien zur Belustigung oder Empörung weitergereicht werden. Je untergriffiger, je persönlicher, je inhaltsentfernter, desto besser.
Die Ibiza-Koalition
In der Einschätzung der Parteien werden diese sogenannten Debatten nichts ändern. ÖVP und FPÖ setzen weiter auf die Ibiza-Politik: Milliardäre und Großkonzerne fördern, Medien für sich vereinnahmen und anfüttern, als Gegner im Wahlkampf auftreten und danach miteinander koalieren. Nie war das so offensichtlich und die Verlogenheit so öde wie in diesem Wahlkampf. Die Ibiza-Koalition ist schon vereinbart – im ORF ist sie bereits Realität.
Die SPÖ lässt sich weiter von den Medien vor sich hertreiben und ausgrenzen. Bablers Kampf für gerechte Umverteilung muss andere Kanäle finden; die Sozialdemokratie hat sich in den letzten dreißig Jahren mit verfehlter Medienpolitik selbst geschadet. Nun muss sie lernen, mit anderen Methoden Wahlkampf zu machen. Im Fall einer SPÖ-Mehrheit, wird die ÖVP Scheinverhandlungen mit der SPÖ führen, diese irgendwann platzen lassen und dann die Koalitionsbildung aus dem Jahr 2000 wiederholen. Herbert Kickl wird der ÖVP den Kanzler überlassen, auch wenn er mehr Stimmen hat.
Zu dünn
Die Grünen gehen nach fünf Jahren so in den Wahlkampf, als hätten sie davor nicht fünf Jahre regiert. Bizarr, was man da an Forderungen im Wahlkampf hört, die in der Regierungspolitik der letzten Jahre gar nicht vorgekommen sind. Und die NEOS versuchen wie seit vielen Jahren (und schon das Liberale Forum vor ihnen) einen Spagat zwischen einer Wirtschaftspolitik, die der FPÖ nahesteht, und einer Demokratiepolitik, die durchaus beachtenswert und ehrlich ist.
Wahlentscheidend wird keines der »Duelle« sein. Ein Schenkelklopfer hie und da, ein peinlicher Moment, der einen schmunzeln macht, oder vielleicht ein Zitat, das uns über Jahrzehnte als Stehsatz bleiben wird – das wird schon alles sein. Und um gleich ein jahrzehntealtes Zitat aus der Innenpolitik wiederzugeben, sage ich zum Thema TV-Duelle: »Die Suppe ist zu dünn.«
Titelbild: Miriam Moné