Seit Monaten führt Parteirebell Nikolaus Kowall einen Vorzugsstimmenwahlkampf um den Einzug ins Parlament. Offiziell gegen die Wiener Listenerste Doris Bures. In Wahrheit könnte er aber Aufdecker und SPÖ-Urgestein Kai Jan Krainer aus dem Hohen Haus kicken.
Bei der Sozialdemokratie sind die internen demokratischen Prozesse zuletzt erstarkt. Nach dem hauchdünnen Wahlsieg Andreas Bablers gegen Hans Peter Doskozil geht es auch bei der Nationalratswahl um einen Richtungsstreit. Denn der langjährige linke Parteirebell aus Wien, Nikolaus Kowall, will per Vorzugsstimmenwahlkampf ins nächste Parlament einziehen. Offiziell sagt er der zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures den Kampf an, die von der Wiener SPÖ unterstützt wird.
Sieht man genauer hin, könnte sein Wahlkampf ausgerechnet SPÖ-Aufdecker Kai Jan Krainer das Mandat kosten. Denn rückt Kowall durch seinen erfolgreichen Vorzugsstimmenwahlkampf auf Rang eins der Wiener Landesliste, würde Krainer auf Platz vier zurückgereiht werden. Krainers Problem: Bei den letzten Wahlen holte die SPÖ in Wien maximal drei Mandate auf Landesebene. Kowall sieht Krainer hingegen nicht gefährdet.
Wie man ins Parlament einzieht
In den Nationalrat zieht man entweder durch ein Grundmandat auf Regionalebene, durch ein Mandat auf Landesebene oder durch ein Restmandat auf Bundesebene ein. Für ein Grundmandat im Regionalwahlkreis benötigte man in Wien bei der letzten Wahl 24.877 Stimmen – diese entsprachen der sogenannten Wahlzahl. Bei der bevorstehenden Nationalratswahlen könnte die Zahl ein wenig höher ausfallen.
Nachdem die Mandate auf regionaler Ebene vergeben wurden, werden diejenigen auf Landesebene ermittelt. Auch diese werden je nach erreichter Wahlzahl vergeben. Erreicht eine Partei die hypothetische Wahlzahl von 25.000 viermal – also 100.000 Stimmen auf Landesebene – ziehen die ersten vier Personen auf der Landesliste in den Nationalrat ein. Aber: Die Stimmen für erreichte Mandate auf Regionalebene werden auf Landesebene nicht hinzugerechnet. Bei den letzten Wahlen konnte die SPÖ auf Landesebene immer nur drei Mandate erreichen.
Die Plätze 1 bis 5 der Landesliste der SPÖ Wien für die Nationalratswahl sehen diesmal so aus:
- Doris Bures
- Heinrich Himmer
- Barbara Teiber
- Jan Krainer
- Elke Hanel Torsch
Durch einen erfolgreichen Vorzugsstimmenwahlkampf wird man vorgereiht und landet auf Platz eins der Liste. Außer jemand anderes führt ebenfalls einen erfolgreichen Vorzugsstimmenwahlkampf und erhält noch mehr persönlichen Zuspruch bei den Wahlurnen. Dann würde diese Person auf Platz eins landen, die Person mit den zweitmeisten relevanten Vorzugsstimmen auf Platz zwei. Ein Vorzugsstimmenwahlkampf ist auf Landesebene dann erfolgreich, wenn man mindestens zehn Prozent der Stimmen der eigenen Partei erhält, oder die Wahlzahl erreicht. Doris Bures wird auf Wahlkreisebene ein sicheres Mandat erhalten, benötigt den Platz auf der Landesliste also nicht.
ZackZack hat die Ausgangslage dokumentiert und die möglichen Szenarien zusammengefasst.
Option eins: Kowall verdrängt Krainer
Nikolaus Kowall hat mit seinem Vorzugsstimmenwahlkampf vor allem auf Landesebene die größten Chancen. Bekommt er von 10 Prozent der SPÖ-Wähler in Wien eine Vorzugsstimme oder Vorzugsstimmen in Höhe der Wahlzahl (ca. 25.000), wird er automatisch auf Platz eins der Landesliste vorgereiht, wenn niemand anderer mehr Vorzugsstimmen als er sammelt. Jan Krainer würde dann auf Platz vier abrutschen und den Einzug auf Landesebene verpassen, wenn er nicht selbst ein Grundmandat erreicht oder durch andere Umstände eine Position vorrückt.
Möglichkeit zwei: Krainer erhält Grundmandat
Krainer führt den Regionalwahlkreis Wien Innen-Süd an. Bei der Nationalratswahl 2017 erhielt die SPÖ dort 29.167 Stimmen. 2019 sank die Zustimmung auf 19.040 Stimmen. Falls die SPÖ diesmal wieder besser abschneidet, könnte Krainer auf Regionalebene in den nächsten Nationalrat einziehen. Dafür müsste die SPÖ in den Bezirken Landstraße, Wieden und Margareten zusammengerechnet allerdings wohl über 25.000 Stimmen holen. Das ist möglich, aber nicht besonders wahrscheinlich. Anstatt 23,8 Prozent der Stimmen hätte die SPÖ 2019 ganze 31,3 Prozent der Stimmen in Wien Innen-Süd benötigt. Bei der Wahl am 29. September bräuchte die SPÖ im Regionalwahlkreis Innen-Süd ein Plus von rund 8 Prozent.
Option drei: Himmer erhält Grundmandat
Sollte Heinrich Himmer, der auf Platz zwei der Landesliste steht, ein Grundmandat in Wien Süd erhalten, würde Krainer eine Position vorrücken und damit trotz erfolgreichem Kowall-Wahlkampf in den Nationalrat einziehen. Im Jahr 2019 entfielen in den Bezirken Favoriten, Simmering und Meidling 51.006 Stimmen auf die SPÖ. Damit sicherte sie sich haarscharf zwei Grundmandate.
Die meisten Personen in der Wiener SPÖ gehen allerdings davon aus, dass Himmer das Grundmandat verliert und der Regionalwahlkreis Wien-Nord, bestehend aus Floridsdorf und Donaustadt, stattdessen ein zweites Grundmandat erhält. Demographische Entwicklungen in den entsprechenden Bezirken und ein Blick auf die Europawahl machen diesen Ausgang sehr wahrscheinlich.
Möglichkeit vier: SPÖ erreicht vier Landeslistenmandate
Umfragen für die Nationalratswahlen, die sich nur auf Wien beziehen, sind selten. Eine von IFDD publizierte Befragung vom 6. September 2024 prognostizierte der SPÖ in Wien ein Plus von 0,9 Prozent bei der Nationalratswahl.
Bei der letzten Wahl 2019 fehlten der SPÖ 1339 Stimmen auf ein viertes Mandat auf Landesebene. Je mehr Grundmandate auf Regionalebene die SPÖ allerdings gewinnt, desto geringer ist die Chance, auf Landesebene zu reüssieren, da die Stimmen für Grundmandate abgezogen werden. Sollte die SPÖ das Himmer-Mandat verfehlen, gehen fast alle in der Wiener Partei davon aus, dass sie im Regionalwahlkreis Wien-Nord hingegen ein zweites Mandat dazugewinnt. Bei den letzten acht Nationalratswahlen gab es in Wien sieben Mal drei Landeslistenmandate.
Ob der Vorzugsstimmenwahlkampf von Kowall den Einzug von Krainer gefährden könnte, bleibt unklar. Fakt ist, dass die SPÖ Wien mit Krainer einen ihrer prominentesten Abgeordneten nicht hoch genug auf Landesliste platziert hat, um seinen Einzug auch ins nächste Parlament sicherzustellen. Das sieht auch Kowall so. Auf ZackZack-Anfrage hofft er auf eine Zusammenarbeit mit Krainer im kommenden Nationalrat: „Dass Krainer auf der Wiener Liste nicht weiter vorne steht, ist schon einmal der grundsätzliche Fehler im System, er hätte sich mindestens Platz 2 verdient. Erst dadurch kommt es überhaupt zur theoretischen Möglichkeit, dass meine Kandidatur seinen Platz gefährden könnte. Wir haben aber seit Jahren ein absolut korrektes Verhältnis und ich bin absolut zuversichtlich, dass wir beide im kommenden Nationalrat produktiv zusammenarbeiten werden.“
Sollte Kowalls Vorzugsstimmenwahlkampf erfolgreich sein, ist Krainer nicht automatisch aus dem Rennen ausgeschieden. Aber sein Einzug wird deutlich unwahrscheinlicher.
Titelbild: GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com, Screenshot X “nikowall_”, Montage ZackZack