Samstag, Oktober 12, 2024

Die ÖVP-Gefahr: Brandmauer am falschen Platz

Viele meiner alten Freunde sind derzeit mit etwas Großem beschäftigt: Sie bauen eine Mauer. Als „Brandmauer“ soll sie die FPÖ vom Rest der Politik isolieren. Ihr Plan hat einen Fehler: Die Mauer steht am falschen Platz.

Wie bei vielem in der österreichischen Politik kommt die Vorlage aus Deutschland. Vom Osten her wälzt sich eine ziemlich braune Welle durch die Bundesrepublik. Die Brandmauern haben nur einen Zweck: CDU und CSU im Lager der demokratischen Republik zu halten.

Die Mauern sind eigentlich Dämme. Ihre Aufgabe ist politischer Hochwasserschutz. Wie beim demnächst jährlichen Jahrhunderthochwasser ändern sie nichts an den Ursachen. Sie sollen nur bei einem helfen: dass die anfällige konservative Partei nicht unterspült wird, nach rechts abrutscht, mit der rechtsextremen Flutpartei eine Mehrheit bildet und die Regierung übernimmt.

Für Deutschland kann das noch ein paar Jahre Luft verschaffen. Für Österreich kommt die Mauer zu spät. Das hat mehrere Gründe.

Zwei freiheitliche Parteien

Wer zufällig die Programme von FPÖ und ÖVP vertauscht, hat nicht viel angerichtet. Bis auf wenige Passagen sind Nehammers „Österreich Plan“ und Kickls Wahlprogramm „Festung Österreich“ dasselbe. Sebastian Kurz hat die ÖVP über die Balkanroute auf die Gleise freiheitlicher Propaganda verschoben. Karl Nehammer hat für die Fahrt in den Rechtsblock ein Programm gemacht.

Anders als die CDU ist die ÖVP heute eine freiheitliche Staatspartei. Politisch passt zwischen sie und die freiheitliche Straßenpartei keine Mauer, sondern bestenfalls ein Löschpapier. Kickls Vorbild ist Viktor Orbán, Nehammers Partner im Asyl-Dauerstreit mit der EU.

Rechtsblock

Im Kurier-Artikel hing links von ihr ein Bild von Engelbert Dollfuss, dem Zerstörer der österreichischen Demokratie, als Laura Sachslehner es wie immer eine Woche zu früh sagte: An Kickl würde es nicht scheitern, dass das zusammenfindet, was zusammengehört. Von St. Pölten bis Salzburg ist der Rechtsblock längst ausgemachte Sache. Mit seinem „Nein“ zu Kickl will Nehammer noch Stimmen von FPÖ-Gegnern mitnehmen. Am nächsten Sonntag ist das vorbei.

Raiffeisen und Putin

In Österreich ist die FPÖ Putins politisches Pferd. Nehammer hat ein anderes Problem: Raiffeisen sitzt in Russland mit Milliarden fest. Putin kann jederzeit auf den Giebelkreuz-Knopf drücken, und der ÖVP fliegen die Trümmer ihres Bank- und Agrarkonzerns um die Ohren.

Im Zweifel wird sich die ÖVP immer für Raiffeisen entscheiden. Damit ist auch Putin kein Hindernis, dass aus dem Rechtsblock ein Ostblock wird.

Sozialleugner

Was für das Hochwasser die Klimakrise ist, das ist für die rechte Flut die Ungerechtigkeit. Nur wenige wählen Kickl, weil sie einem Extremisten auf ein Kanzlerpferd helfen wollen. Die meisten haben die Nase voll – von explodierenden Energiepreisen und Mieten, von Korruption und Parteibuchwirtschaft und von Steuern, die nur sie und nicht die Reichen zahlen.

Wer ist schuld? Kickl zeigt auf „die Ausländer“, Babler als erster Sozialdemokrat seit Jahrzehnten auf „die Reichen“. Doch von Grünen bis SPÖ haben die Parteien der Linken bis heute die Probleme mit Einwanderung und Integration verdrängt und geleugnet. Babler hat zumindest den Kampf mit den Klima- und Sozialleugnern aufgenommen. In einer Woche wissen wir, ob es zu spät war.

Machtkampf um den Führer

Wenn die Woche der letzten Scheingefechte vorbei ist, geht es nur noch um eines: Wer kriegt den Kanzler. Dann geht es zwischen ÖVP und FPÖ ein letztes Mal um alles, bevor von Sozialstaat bis Rechtsstaat alles gemeinsam in Angriff genommen wird.

Vielleicht wird mit Kickl dann ein Parteiführer, dem im Wahlkampffinale die Luft ausgegangen ist, entsorgt. Vielleicht macht die ÖVP den Landbauer und entdeckt einen neuen Kickl, mit dem es wieder geht. Eines weiß man in beiden Parteien: An Personen ist es noch nie gescheitert.

Die gefährliche Partei

Kickl allein kann man lokalisieren und gut eingrenzen. Mit der ÖVP durchbricht der Rechtsblock alles, was bisher die FPÖ isoliert hat. Aber, so lautet ein Einwand, Österreich hat bis jetzt alle Regierungen von ÖVP und FPÖ ganz gut überlebt.

Das stimmt, aber diesmal ist eines anders: Diesmal wollen beide Parteien „das System“ von Rechtsstaat bis Pressefreiheit ändern.  Orbán hat ihnen gezeigt, wie es geht. Die FPÖ allein könnte Österreich nie zu einer „illiberalen Demokratie“ umbauen. Die Partei, die die FPÖ erst gefährlich macht, ist die ÖVP.

Gegenpol statt Brandmauer

Im ORF-Duell mit Kickl hatte Babler seine stärksten Momente, als er den FPÖ-Führer mit konkreten Vorschlägen konfrontierte: wie man mit einer gerechten Politik das Leben fast aller Menschen besser macht; wie man den Reichen ein bisschen nimmt, damit man der großen Mehrheit nicht noch mehr nehmen muss; wie man Kinder vor Armut schützt, ihnen Chancen gibt und nicht nimmt.

Als er dann den langen Katalog der FPÖ-Verbrecher ausrollte, hing Kickl schäumend in den Seilen.

Neue Mehrheit

Eine Woche vor der Wahl ist es für die Brandmauer um ÖVP und FPÖ zu spät. Eine Woche bleibt Zeit, um möglichste viele zu überzeugen, dass sie keine der beiden freiheitlichen Parteien wählen.

Am Tag nach der Wahl werden Michael Ludwig und Werner Kogler ein letztes Mal versuchen, Nehammer und seine ÖVP mit Ausverkaufspreisen in eine gemeinsame Regierung zu locken. Aber wenn ÖVP und FPÖ gemeinsam die Mehrheit haben, sind die Türen zu.

Wenn die beiden regieren, geht es sofort um etwas anderes: um den Gegenpol zum Rechtsblock. Um ein Projekt, das Mut macht und Vertrauen schafft, weil der politische Wandel im Gegensatz zum Klimawandel einen Vorteil bietet: Auf die großen Fragen von Gerechtigkeit, Anständigkeit und Freiheit gibt es österreichische Lösungen. Sie brauchen nur eines: eine neue Mehrheit gegen ÖVP und FPÖ.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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