Hohe Inflation, niedriges Wachstum, Behinderung von Innovation: Wie die ÖVP zur wirtschaftsfeindlichen Partei wurde.
Sollte Karl Nehammer diese Woche wieder einen „Verbrennergipfel“ geplant gehabt oder eine Rede gegen „Untergangsapokalypse“ in Klimafragen vorbereitet haben, so hat er die stillschweigend abgesagt. In Niederösterreich koaliert seine ÖVP mit einer Klimawandelleugnerpartei, deren Vorsitzender im Wahlkampf forderte „die Klimaziele ad acta zu legen“ und sich jetzt in Designerkleidung das Desaster ansieht, das eine solche Politik verursacht. Herbert Kickl – ansonsten wackerer Kämpfer gegen „Klimahysterie“ – hat sich derweil in Purkersdorf ins Kammerl eingesperrt und nimmt seltsame Videos auf, die an Bekennervideos von Terroristen erinnern.
Wählerinnen und Wähler haben am 29. September die Möglichkeit, diesen Irrwitz zu beenden. Diese schrägen Vögel haben sich lang genug an den Lebenschancen unserer Nachkommen versündigt.
Aber nicht nur in Fragen Klimakrise wird eine rein ideologische Populistenpolitik gemacht. Auch die Wirtschaftspolitik der einstigen Wirtschaftspartei ÖVP wird immer irrwitziger. Sehen wir uns den Wandel der ÖVP zur wirtschaftsfeindlichen Partei einmal im historischen Kontext an:
Österreich ist ein wirtschaftlich erfolgreiches Land. Was das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf anlangt liegt unser Land auf Platz 14 – eine zwar nicht perfekte Maßzahl, aber die beste, die wir haben. Vor uns Länder wie Luxemburg, USA, Schweiz, Katar, hinter uns Deutschland, Frankreich und viele weitere wirtschaftlich beachtliche Länder. Österreich ist beispielsweise auch in der Industrieproduktion regelrecht sensationell. Es kam aus der langen Nachkriegsperiode extrem erfolgreich heraus und meisterte auch den Strukturwandel nahezu perfekt – auch wenn manche heute so tun, als wäre die „Krise der verstaatlichten Industrie“ ein Fiasko gewesen. War sie nicht. Die betroffenen Unternehmen wurden umstrukturiert, viele neue kamen hinzu. Die Cluster industrieller Produktion verschwanden ja nicht, sondern im Gegenteil, sie blieben Standortvorteile. In den Jahren seither ist die Industrieproduktion um sagenhafte 138 Prozent gestiegen. Im Vergleich dazu schafften etwa Finnland nur 52 Prozent Plus, Deutschland 29 Prozent, Italien leidet unter einem satten Minus von 14 Prozent.
Diese paar Zahlen nur als Hinweis darauf, wo unser Land steht.
Der Aufstieg Österreichs
Der Erfolg Österreichs verdankt sich wohl neben Zufällen (etwa der geografischen Lage inmitten der starken Wirtschaftsregionen Süddeutschland, Norditalien und Schweiz) vor allem der Wirtschaftspolitik einer Abfolge von Regierungen. Bei aller Kritik, die man an der Volkspartei ÖVP vorbringen muss, so ist sie neben den sozialdemokratischen Kanzlern von Bruno Kreisky bis Franz Vranitzky natürlich ein Mitarchitekt dieser Erfolgsgeschichte. Im Grunde ist diese ökonomische Erfolgsgeschichte von Großen Koalitionen, einem großkoalitionären Geist, pragmatischer Vernunft in der Sozialpartnerschaft und einer unideologischen, ambitionierten Industriepolitik getragen gewesen. Soll heißen: Man investierte in Zukunftstechnologien und Branchen, sorgte für gut ausgebildetes Fachpersonal, stärkte die Binnenkonjunktur, blieb im Export konkurrenzfähig und half dabei, die Kostenstrukturen günstig zu halten. Etwa, indem man für günstige Energie sorgte. Die Älteren von uns oder die Geschichte-Nerds wissen, wie stolz das ganze Land etwa auf Kraftwerke wie das in Kaprun war. Mit dieser billigen Energie wurde der Aufbau einer industriellen Infrastruktur faktisch subventioniert.
Die ÖVP war einmal vernünftig
Kurzum: Natürlich hatte auch die ÖVP ökonomischen Sachverstand, der sich mit sozialdemokratischen Gerechtigkeitsnormen und Wirtschaftskompetenz in den besten Zeiten perfekt paarte.
Aber wie steht es heute damit? Ist die ÖVP überhaupt noch eine Wirtschaftspartei? Oder bloß nur mehr eine Klientelpartei für Günstlinge, die man „die Wirtschaft“ nennt?
Unter den ÖVP-Kanzlern Sebastian Kurz und Karl Nehammer sank das BIP Pro Kopf seit 2019 um -1,7 Prozent, wie sogar der neoliberale Thinktank „Agenda Austria“ beklagt. Zugegeben, es war eine Zeit der Krisen und für alle Nationen schwierig – aber Österreich ist damit Schlusslicht in der Europäischen Union. Letzter Platz von 27 möglichen Plätzen.
Die Inflation durchrauschen lassen
Einer der Gründe dafür ist ein zutiefst ideologischer. Die ÖVP hat sich faktisch geweigert, während der Inflationskrise preisdämpfende Maßnahmen zu setzen. Mit Gas- und Strompreisbremsen wurde lange gezögert und dann auch nur eine halbherzige Strompreis-Subvention zugelassen (die den Preisauftrieb nicht dämpfte). Sie hat sich geweigert, Preiskontrollen im Lebensmittelhandel durchzusetzen. Selbst die Vorschläge der Sozialpartner für einen Mietpreisdeckel wurden verworfen. Kurzum: Die Inflation ist durch die gesamte Wirtschaft durchgerauscht, völlig ungebremst. Natürlich hätte man die Inflation nicht „abschaffen“ können. Aber langfristig macht es einen großen Unterschied, ob man einfach eine Inflationsrate von knapp neun Prozent zulässt, wie 2022, oder ob man an vielen kleinen Schrauben dreht, die diese beispielsweise auf sechs Prozent reduzieren.
Warum hat die ÖVP das eigentlich getan? Erstens aus ideologischen Gründen: Eingriffe in Preise ist „Kommunismus“ oder „Planwirtschaft“ oder wie die Phrasen alle lauten. Zweitens, weil Teile des Klientels ein Interesse daran hatten. Natürlich frohlocken die Vermieter, vor allem die gewerblichen, wenn sie innerhalb von wenigen Jahren die Mieten um 20 Prozent anheben können. Hätte man das auf 10 Prozent gedeckelt, geht sich vielleicht nur die eine oder andere Jacht weniger aus.
Gift für die Exportindustrie
Das Ergebnis ist nicht nur, dass viele Leute kaum mehr ihre Rechnungen bezahlen können. Hinzu kommt: die Gewerkschaften mussten als Reaktion um hohe Lohnerhöhungen kämpfen und haben die auch durchgesetzt. Sie hatten ja gar keine andere Wahl. Aber dadurch stiegen noch einmal die Kosten für die Unternehmen, und gerade für die im Export verschlechterte das die relative Wettbewerbsfähigkeit. Tolle Leistung, ÖVP!
Unternehmen hatten dann höhere Energiekosten, höhere Lohnkosten – und fielen logischerweise gegenüber Konkurrenten aus besser regierten Ländern zurück.
Was aber fast noch schlimmer ist und noch viel mehr Besorgnis erregen sollte, ist die populistische Ideologisierung der Wirtschaftspolitik, die die ÖVP mitbetreibt. Gegen „grün“ und gegen „woke“. Das führt dann direkt dazu, dass man alte Technologien (Öl, Gas…) gegen neue Technologien verteidigt (Solar, Windkraft…). Das ist völlig verrückt. Denn damit verteidigt man schmutzige, teure Energien gegen saubere, billige Energien. Energie aus Sonne und Wind ist die billigste Energie, wenn die Anlagen einmal gebaut sind und die Infrastruktur geschaffen ist. Man könnte also günstige Energie für die österreichische Wirtschaft schaffen, tut es aber nicht, weil das ja irgendwie „grün“ wirkt. Die „Normalen“ lieben Öl, billige Energie ist etwas für Leute mit Öko-Fetisch, so die verrückte Ideologie. Österreichs Wirtschaft wird darunter noch lange leiden.
Warum hasst die ÖVP technologische Innovation?
Der Kanzler hat sogar einen „Verbrennergipfel“ inszeniert. E-Autos sind aus seiner Sicht „woke“, Autos für Normale fahren mit Verbrennermotor. Europas Autoindustrie wird durch diesen ideologischen Wahnsinn behindert. Vorausschauende Wirtschaftspolitik würde nämlich alles tun, um bei der Transformation zu helfen, die Umrüstung auf die Technologien der Zukunft subventionieren, sie würde alles tun, um bei jenen mithalten zu können, die für die Zukunft gerüstet sind. Und den Firmen Planungssicherheit geben.
Und jetzt wundert man sich, warum die europäische Autoindustrie in die Krise taumelt und damit auch Arbeitsplätze gefährdet sind.
China, beispielsweise, hat massiv die Technologien der Zukunft gefördert. Hat eigene E-Auto-Marken entwickelt. Die dominieren schon den chinesischen Markt. Und sie rollen jetzt auch den europäischen Markt auf. Ein schicker Mittelklasse BYD ist schon um 26.000 Euro zu haben. Ein VW Passat mit Verbrennermotor kostet 48.000 Euro. Und wir grübeln, warum die europäische Autoindustrie trudelt. Sicherlich nicht wegen dem grünen „Ökowahnsinn“, sondern umgekehrt, weil man wegen der Ideologisierung der Wirtschaftspolitik die Zukunft verschlafen hat.
Die ÖVP wurde zur wirtschaftsfeindlichen Partei
Übrigens: China hat seinen Peak-CO-2 im Jahr 2023 überschritten. 2024 dürften laut Prognosen die Emissionen erstmals zurückgehen.
Die Technologien der Zukunft und die guten Jobs der Zukunft werden mit sauberer Energie, mit Solar, mit Windkraft zusammenhängen, mit E-Mobilität, mit öffentlichem Verkehr, der blitzschnell ist, mit Wohnungen, die energieeffizient sind – im Winter warm, im Hitzesommer gekühlt (in 15 Jahren wird man die Temperaturen ohne Klimaanlagen kaum mehr überleben) –, mit effizienter Ressourcennutzung (Recycling), mit Digitalisierung und anderen zu erwartenden Modernisierungen. Der SPÖ-Nationalrats-Kandidat und Wirtschaftsprofessor Niki Kowall hat gerade ein famoses Buch darüber herausgebracht, was die österreichischen Unternehmen in diesen Bereichen alles können. Er hat viele Firmen besucht. Man könnte das Konservativen auch einmal empfehlen: der echten Wirtschaft einmal einen Besuch abzustatten, nicht nur der Freunderlwirtschaft.
Wir haben gerade zehn Wochen Klimakatastrophe hinter uns: Erst eine fast ununterbrochene, nie dagewesene Hitzewelle – und unmittelbar danach eine Sintflut, in der das halbe Land unterging. Und das ist leider erst der Anfang von dem, was uns in den nächsten zehn, zwanzig Jahren blüht. Im Wahlkampf dagegen war die sozial-ökologische Transformation bisher nur ein Nebenaspekt.
Die ÖVP ist in all diesen Fragen abgemeldet. Sie hat nur ideologische Phrasen parat: Verbrenner statt E-Auto, Öl statt Windräder, Schnitzel statt Kebap, nur keine Millionärssteuern. Erstaunlich: Sie hat noch nicht einmal mehr Restposten an kompetenten Leuten in ihren Reihen. Den Wirtschaftsminister Martin Kocher (mit dem man nicht immer einer Meinung sein muss), hat sie sich von draußen geholt und er flüchtet sich jetzt an die Spitze der Nationalbank. In der Regierung ist außer ihm überhaupt niemand gewesen, der sich irgendwie mit Wirtschaft auskennt. Im Parlamentsklub sieht es auch zappenduster aus. Es gibt noch nicht einmal relevante Debatten im Umfeld der ÖVP, sieht man vom jährlichen Auflauf durchaus fähiger Leute in Alpbach einmal ab. Und es ist kein Wunder, dass Alpbach seit Jahren schon ein Fluchtpunkt für ÖVPler ist, die unter dieser ÖVP selbst leiden.
Titelbild: Miriam Moné