Samstag, Oktober 12, 2024

Sechzehn große Irrtümer

In den letzten Jahren sind in Österreich viele Irrtümer populär geworden, genauer gesagt, von Medien und Parteien popularisiert worden. Doch ständige Behauptung schützt vor Unwahrheit nicht. Hier eine kleine Auswahl – samt Richtigstellung.

Irrtum #01: Meinungsumfragen haben Auswirkung auf das Wahlergebnis

Meinungsumfragen sind für Wahlen bedeutungslos. Sie werden von Parteien benutzt, um Wählerinnen und Wähler zu manipulieren. Man darf nicht vergessen, dass Umfrageergebnisse nichts anderes als Wirtschaftsprodukte sind. Sie werden von Medien und Parteien gekauft und bewusst lanciert. Den Menschen, die sie lesen ist zu einem Großteil nicht bewusst, auf welcher Befragungsbreite sie basieren. In allen Meinungsumfragen der letzten Wahlen, wurde die FPÖ stärker eingeschätzt, als sie dann bei den Wahlen war. Das ist kein Zufall. In Deutschland ist es genauso mit der AfD. Umfrageinstitute machen auf diese Weise für rechtsextreme Parteien mobil – und das ganz bewusst.

Irrtum #02: Die FPÖ ist eine erfolgreiche Partei

Die FPÖ ist eine besonders erfolglose Partei. Alle ihre Regierungsbeteiligungen wurden vor dem Ende der Legislaturperiode abgebrochen. Dazu zählt auch die Koalition mit der ÖVP von 2002 bis 2006, denn diese wurde vom BZÖ zu Ende geführt, das damals nicht vom Volk in den Nationalrat gewählt worden war, sondern nur als Parlamentsfraktion existierte, die von gewählten FPÖ-Mandataren gegründet worden war. In der letzten Koalition hat die FPÖ keine einzige ihrer Forderungen aus dem Wahlkampf umgesetzt mit einer Ausnahme: die Aufhebung des Rauchverbots. Dieses wurde tatsächlich aufgehoben, um dann nach zwei Jahren vom nächsten Nationalrat wieder beschlossen zu werden.

Irrtum #03: Die SPÖ und Andreas Babler werden in den Medien gleich behandelt wie andere Parteien und Spitzenkandidaten

Der ORF ist mit dem historischen Tabubruch vorangeprescht, die zentrale TV-Konfrontation der Liste 3, der FPÖ, zu überlassen. Unfaire Behandlung der SPÖ in einem vom Steuerzahler finanzierten öffentlich-rechtlichen Medium. Aber Gerald John, Colette Schmidt und Walter Müller kommen in ihrem Artikel »Wird Andreas Babler systematisch runtergeschrieben?« in Der Standard vom 25. September 2024 zur Erkenntnis, dies sei keineswegs der Fall. Ich möchte der Autorin und den Autoren auf diesem Weg die Frage stellen, wie Sie den STANDARD-Artikel mit dem Titel »Der Turmbau zu Babler« von Katharina Mittelstaedt und Michael Völker, der sich in Manier des Haiderschen Ariel-Sagers schon im Titel über den Nachnamen des Spitzenkandidaten der SPÖ lustig macht, bewerten. Weiters möchte ich die Frage stellen, in wie vielen und welchen Artikeln in Der Standard sich über ÖVP-Spitzenkandidaten Nehammer und seinen Nachnamen lustig gemacht wird.

Irrtum #04: Wenn die FPÖ bei der Wahl die meisten Stimmen bekommt, wird Herbert Kickl Kanzler

Würde das stimmen, wäre Wolfgang Schüssel niemals Kanzler geworden (er wurde es als Spitzenkandidat der Partei, die bei den Nationalratswahlen 1999 Dritter wurde). Auch kann die FPÖ nicht regieren oder mitregieren, wenn sie dafür keine Partner findet; außer sie erringt eine absolute Mehrheit. Die FPÖ hat bereits Angst und beginnt, wie eine Presseaussendung von Susanne Fürst vom 25. September zeigt, ihr Brown-Nosing der ÖVP. Sie werde mit der ÖVP die Festung Österreich errichten, so Frau Fürst. Das bedeutet im Klartext: Auch wenn die ÖVP weniger Mandate hat, wird die FPÖ ihr den Kanzler überlassen.

Irrtum #05: Wenn die ÖVP oder die FPÖ am ersten Platz landet und beide eine Mandatsmehrheit haben, werden sie Koalitionsgespräche führen

Diese Gespräche wurden bereits geführt. Es ist wie im Jahr 1999, als Wolfgang Schüssel zum Schein mit der SPÖ verhandelte, im Hintergrund aber bereits minutiös eine Regierung ausgearbeitet hatte. Auch die ÖVP-FPÖ-Regierung, die im Jahr 2018 angelobt wurde, war bereits im Jahr 2017 vereinbart. H. C. Strache wusste im Ibiza-Video (und das war vor der Wahl) längst über die Ressortverteilung Bescheid.

Irrtum #06: Wer ÖVP wählt, verhindert die FPÖ

Das genaue Gegenteil ist der Fall. Im Gegenteil zu früher wurde diese Option von der ÖVP auch gar nicht ausgeschlossen. In ihren Programmen zeigen beide Parteien weitreichende Übereinstimmungen.

Irrtum #07: ÖVP und FPÖ setzen Schritte gegen mehr Zuwanderung

Beide Parteien wissen, dass sie Zuwanderung und billige Arbeitskräfte brauchen. Wie der FPÖ-Spitzenkandidat von 1999 Thomas Prinzhorn einmal gesagt hat: »Die Ausländer brauchen wir wie einen Bissen Brot.« Die beiden Parteien brauchen Zuwanderung auch, um Feindbilder für ihre Wahlkämpfe zu haben. Durch das Festhalten an fossilen Energien gibt es weiter Flucht und Migration aus Unrechtsstaaten und Ländern, in denen bittere Kriege um Ölvorkommen geführt werden. Die FPÖ hat angekündigt, die Entwicklungshilfe zu senken. Damit gibt es weniger Infrastrukturprojekte und somit noch mehr Flucht und Migration aus den betroffenen Ländern. Während der letzten beiden ÖVP-Regierungen ist die Entwicklungshilfe bereits drastisch zurückgegangen.

Irrtum #08: Die FPÖ hält, was sie im Wahlkampf versprochen hat

Die letzte Regierungsbeteiligung zeigt, dass das Gegenteil wahr ist: Die FPÖ hat eine verpflichtende Volksabstimmung über CETA zur Koalitionsbedingung gemacht, um dann CETA ohne Volksabstimmung zu ratifizieren (auch Herbert Kickl hat im Ministerrat mitgestimmt). Die FPÖ hat direkte Demokratie plakatiert und keine einzige Volksbefragung oder -abstimmung vorgeschlagen. Die FPÖ hat das Sicherheitspaket der ÖVP vor der Wahl abgelehnt und danach durch Innenminister Kickl eingeführt. Es brachte mehr Überwachung der Bevölkerung. Die Liste der nicht-eingelösten Versprechen ist sehr lang.

Irrtum #09: Die Bierpartei ist links

Die Bierpartei hat sich im Wahlkampf gegen eine Verkürzung der Wochearbeitszeit und gegen Vermögenssteuern ausgesprochen.

Irrtum #10: Die Grünen sind links

Solange die Grünen nicht eine anti-kapitalistische Partei werden und auf staatliche Regulierung der Wirtschaft und der Sektoren Infrastruktur und Verkehr drängen, sind sie das nicht. Dieser Fehler erklärt die Erosion der Partei nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland.

Irrtum #11: Der ORF berichtet unabhängig über Politik und Wahlkampf

Der ORF ist dank der Mitarbeit der FPÖ und der Grünen nun fest in der Hand der ÖVP und ÖVP-naher Journalisten oder ÖVP-Sympathisanten. Ein konkreter Fall zeigt nun auch, dass ÖVP-Minister in ORF-Interviews nur jene Fragen gestellt bekommen durften, die sie selbst gestellt bekommen wollten. Eine Redakteurin, die dabei nicht mitmachen wollte, wurde gekündigt. Es gibt Moderatorinnen und Moderatoren von ORF-Sendungen, die bei Wahlkampfveranstaltungen der ÖVP auftreten.

Irrtum #12: Christian Pilnacek hat Selbstmord begangen

Diese Behauptung, die als erster Sebastian Kurz vor Gericht gemacht hat, ist bis heute durch keinen Beweis gestützt. Auch dass, wie Bundeskanzler Nehammer sagte, für Pilnacek die »Totenruhe« gelte – womit er vermutlich meint, dass wegen Korruption nicht ermittelt werden dürfe – ist nicht hinzunehmen. Pilnacek hat in der Arbeitszeit, bezahlt von den österreichischen Steuerzahlern, nachweislich nicht ausschließlich für die Republik Österreich gearbeitet, sondern der ÖVP Gefälligkeiten erwiesen und Journalistinnen der Boulevardpresse mit Informationen versorgt, die er nicht weitergeben hätte dürfen.

Irrtum #13: Die österreichische Presse ist frei

Die österreichische Presse ist im Ranking der Pressefreiheit vom einst Platz 5 auf Platz 32 zurückgefallen, und auf der Höhe autoritärer Staaten. Eine Neuordnung der Presseförderung in Österreich ist dringend nötig. Die Presse ist in den letzten sieben Jahren unter Druck durch die Regierung gekommen. Der Druck auf Journalistinnen und Journalisten soll aber – geht es nach der ÖVP – noch erhöht werden. Wie Florian Klenk im FALTER anhand eines ÖVP-Papiers nachweist, plant die Volkspartei nicht nur »investigative Berichterstattung zu zensieren, sondern Journalisten und ihren Informanten allen Ernstes Freiheitsstrafen anzudrohen.«

Irrtum #14: Förderungen und Steuervergünstigungen für Großkonzerne und Reiche richten keinen Schaden an, sondern schaffen Arbeitsplätze

Seit der Machtübernahme von Sebastian Kurz in der ÖVP bringen übermäßige Förderungen und Steuervergünstigungen für Großkonzerne und Reiche massive Probleme für den Staatshaushalt und eine hohe Inflation. Wenn dann die geförderten Unternehmer und Milliardäre auch noch Pleite machen, wie René Benko, haben sie die staatlichen Zuwendungen wohlweislich längst woanders gebunkert. Ein Bericht der Süddeutschen Zeitungen über Benko vom 23. April 2024 mit dem Titel Wo René Benko sein Geld versteckt hat listet minutiös dessen millionenschwere Privatstiftungen in Liechtenstein auf. Es ist das Geld der österreichischen Steuerzahlenden, das dort liegt, das diese aber nie wieder sehen werden.

Irrtum #15: ÖVP und FPÖ sind rechte Parteien, aber keine neo-faschistischen Parteien

Ich kann anhand jeder Faschismusdefinition nachweisen, dass ÖVP und FPÖ faschistische Politik machen, ankündigen und fordern, dass sie eine hierarchische Wirtschaftsorganisation anstreben, den totalitären Anspruch haben, Legislative und Jurisdiktion der Macht der Regierung zu unterstellen und die Österreichische Bundesverfassung in zentralen Punkten in Frage stellen und maßgeblich verändern wollen. Wiederholt wird solchen Aussagen, auch wenn sie präzise hergeleitet und formuliert sind, entgegengehalten, man argumentiere mit der »Faschismuskeule«. Zuletzt hat das Herbert Kickl im Gespräch mit Andreas Babler getan, indem er Babler einen Faschisten nannte. Das hat schon Jörg Haider gemacht, der Kanzler Vranitzky »Faschist« im Nadelstreif nannte. Wer ein gutes Buch über Faschismus liest – z.B. Wolfgang Wippermanns Faschismus – wird feststellen, dass die Bezeichnung neo-faschistisch auf beide Parteien sehr wohl zutrifft.

Irrtum #16: ÖVP und FPÖ sind christliche Parteien

Die beiden Parteien sind nicht christlich, sondern militant katholisch. Ihre menschenverachtende Politik widerspricht allen christlichen Werten und Grundsätzen. Ihr politischer Katholizismus dient zweierlei Zielen: Erstens werden daraus islamophobe Debatten und der Generalverdacht gegen alle Muslime hergeleitet, wie an der sogenannten »Leitkulturdebatte« sichtbar wird. Zweitens wird auf reaktionäre und frauenfeindliche Maßnahmen, wie ein Ende der sogenannten Fristenlösung, gedrängt. Dass andere Menschen dafür, dass sie liturgische Texte wie das Vater-Unser auf Wahlplakaten verunglimpfen, exkommuniziert werden würden, stört die Gläubigen in Österreich nicht. Mit »Euer Wille geschehe!« ersetzt die FPÖ Gott durch die Wahlberechtigten in Österreich. Doch das ist nicht neu, hat doch einst Bischof Krenn im Fernsehen ganz unverhohlen Wahlkampfwerbung für Jörg Haider gemacht. Das Schweigen der Kirche dazu spricht nicht für sie. Es wächst zusammen, was zusammen gehört.

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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