Das Wichtigste ist jetzt, zu verhindern, dass das Land in ein autoritäres Orban-Regime kippt.
Dieses Wahlergebnis ist nicht einfach übel, es ist ein Schlag in die Magengrube und ein Fiasko. Ein demokratiepolitisches, ein menschenrechtliches, ein staatsbürgerliches, ein „Was immer sie wollen“-Fiasko.
Eine rechtsextreme Partei mit einem spinnerten Radikalinski als Anführer wird stärkste Partei. Eine, die die irrsten Verschwörungstheorien verbreitet und Identitäre im Kader hat, deren Funktionäre noch zwei Tage vor der Wahl SS-Treuelieder singen, bei deren Wahlparty fröhlich das White-Power-Zeichen gezeigt wird. Diese Partei könnte eine Regierung anführen, wenn es ihr irgendwie gelingt, die ÖVP ins Bett zu locken.
Das wird dann nicht so glimpflich ausgehen wie mit den Ibiza-Bsuffs oder Haiders „Wir nehmen den Hut und sagen: Adieu“-Kasperln. Dann spielen wir hier Orbanistan. Man sollte den unschönen Realitäten ins Auge sehen und auch von allen Varianten der Autosuggestion und des Selbstbetrugs Abstand nehmen. Es hat jetzt relativ wenig Sinn, Beleidigtheiten auszuleben, dass etwa alle anderen an dem Ergebnis schuld sind und jetzt also die Suppe auslöffeln sollen. Das werden nämlich nicht die tun, sondern vor allem die Verwundbarsten in unserer Gesellschaft, die Kinder in den Schulen, die jetzt Angst haben, dass sie aus dem Land vertrieben werden und viele andere.
Die rechte Welle bremsen
Man kann sich natürlich jetzt auch schon in einen heldenhaften Kampf gegen die Faschisierung hineinphantasieren. Der wird uns möglicherweise nicht erspart bleiben, und wenn das dann so ist, werden wir den nicht mit hängendem Kopf führen können, sondern dann braucht es Vernunft, Entschlossenheit und Mut. Aber so weit sind wir noch nicht.
Ein guter Freund von mir, der vor einigen Jahren in einer südeuropäischen Linksregierung eine große Nummer war, hat vor ein paar Monaten zu mir gesagt: „Robert, wir müssen die rechte Welle bremsen. Bremsen, weil aufhalten können wir sie eh nicht.“
Wollen wir also jetzt einmal der unerfreulichen Realität in die Augen sehen, kalt und brutal, ohne uns irgendetwas schönzureden. Es gibt keine allzu erquicklichen Optionen mehr. Entweder regiert die Kickl-FPÖ mit der Volkspartei. Oder die Volkspartei mit den Sozialdemokraten (und möglicherweise mit den Neos, wenn man ein Mandat Überhang als zu riskant ansieht). Wenn mein Freund recht hat, dass man alles tun muss, um die rechte Welle zu bremsen, dann heißt das leider, dass man alles tun muss, um eine Regierungsführung der FPÖ zu verhindern.
Die ÖVP bestimmt, wie regiert wird
Das heißt dann aber leider ebenso, dass man alles tun muss, um eine Regierung von ÖVP und SPÖ zu ermöglichen. Die ÖVP hat den Vorteil, dass sie sich quasi aussuchen kann, mit wem sie regiert. Mehr noch: Sie bestimmt, wer demnächst regiert. Sie alleine. Niemand anderer. Nicht die FPÖ, nicht die SPÖ, die anderen sowieso nicht. Die ÖVP bestimmt.
Wahlen in Österreich, das heißt, es werden Millionen an Reklame ausgegeben, Wahlkämpfer schreien sich die Seele aus dem Leib, Funktionäre laufen sich die Schuhsohlen ab, aus Fernsehstudios werden abertausende Minuten an TV-Duellen übertragen und wie auch immer die Leute dann wählen, am Ende gewinnt die ÖVP. Ist so.
Soviel „Zeitenwende“ kann gar nicht sein, dass sich daran etwas ändert. Das gefällt wahrscheinlich den meisten der Leserinnen und Leser nicht, und mir schon gar nicht. Es ist aber leider bei gegenwärtiger Lage die Realität, die man vernünftigerweise zur Kenntnis nimmt.
Kommen wir zum nächsten Problem, nämlich der SPÖ. Die ist eine seit Jahren tief verwundete Partei, mit einer großen Geschichte der Selbstbeschädigung – mindestens seit 2016. Das macht die Sache nicht leichter, man kann sich allenfalls wünschen, dass angesichts des Desasters und der Krise des Landes und der demokratie- und staatspolitischen Verantwortung, vor der man jetzt steht, der Gemeinschaftsgeist wieder stärker wird. Lachen Sie nicht, ich höre Sie, wie Sie ausrufen, „Gemeinschaftsgeist? SPÖ? Guter Witz!“. Meine Antwort darauf: Nehmen wir doch nicht immer von allen das Schlechteste an.
Bablers harter Aufschlag
Andreas Babler ist jetzt gleich mehrfach in einer sehr unbequemen Lage: Erstens ging nämlich nichts, aber gar nichts von den Erwartungen auf, die seine Unterstützer hegten. Etwa, dass man mit einem Ruck „nach unten“ im Sinne von volkstümlich, geerdet, integer, glaubwürdig, Wähler aus dem (post-)proletarischen, kleinstädtisch-ländlichen Milieus zurückgewinnen kann, die das Vertrauen in eine als abgehoben erlebte Sozialdemokratie verloren haben. Hat man nicht. Sogar das exakte Gegenteil ist wahr. Man hat Wähler von den Grünen gewonnen, und genauso viele in das Segment der Nichtwähler verloren. Es ist ein Drama. Natürlich kann man jetzt schlau räsonieren: Lag es am Wahlkampf? Lag es daran, dass der SPÖ ein Strauß unterschiedlicher Charaktere fehlt, die in unterschiedliche Milieus ausstrahlen? War womöglich nur die Zeit zu knapp? Ist er zu links? Ist das Potential des Kandidaten da? Wurden nur ein paar Dinge falsch gemacht, die man künftig richtiger machen müsste? Lag es vielleicht im Gegenteil hauptsächlich an der Sabotage des Wahlkampfes durch seine innerparteilichen Gegner? Oder zumindest an der inneren Zerrissenheit der Partei? Am fiesen medialen Gegenwind? Kann man alles überlegen. Bringt wahrscheinlich nicht extrem viel im Augenblick. Und höchstwahrscheinlich ist alles davon ein bisschen wahr, weil in der wirklichen Welt nichts nur monokausal ist, sondern multikausal. Babler-Unterstützer erklären jetzt schon, dass es nur an der Sabotage durch andere lag. Babler-Kritiker erklären im Gegenteil, dass es an Linie, Tonalität, Strategie von Babler lag. Es ist so erwartbar, man schläft beinahe ein vor Langeweile.
Ein brutaler Zielkonflikt
Wenn Sie jetzt meinen, das sind alles schon genügend Unbequemlichkeiten für Andreas Babler, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Die Eigentliche kommt erst. Andreas Babler ist unter anderem mit dem Versprechen angetreten, der Sozialdemokratie ihre akzentuierte, radikalreformerische, linke Identität wieder zu geben, eine profiliertere Programmatik, aber auch einen Spirit. Er findet sich jetzt in der Situation, dass er beinahe um jeden Preis den Einzug in eine Koalition mit der Volkspartei anstreben muss, um die liberale-pluralistische Demokratie zu retten, und um auch all jene Menschen verteidigen zu können, für die eine Regierungsbeteiligung der FPÖ richtig furchtbar wäre. Sozialtheoretiker sprechen in solchen Fällen von einem „Zielkonflikt“, wenn sich also zwei Ziele, die man legitimerweise erreichen will, nicht gleichzeitig erreichen lassen; ja, wenn die Verfolgung des einen Ziels dem anderen Ziel entgegensteht. Zielkonflikte gibt es oft, häufig lassen sie sich einigermaßen ausbalancieren. Aber das hier ist ein richtig brutaler Zielkonflikt.
Formulieren wir es etwas theatralisch: Er kann seine Ziele und Ideale beibehalten, die er hatte – dann wird ziemlich sicher ein FPÖ-Mann Kanzler und diese Ideale geraten unter die Straßenwalze. Oder er muss ganz viel von dem aufgeben, wofür er steht, um dem Land eine FPÖ-Regierung zu ersparen. Und nicht einmal dann gelingt letzteres sicher, denn, siehe oben, am Ende entscheidet die ÖVP.
Im Grunde sind das die zwei Optionen. Vielleicht übersehe ich ja etwas, aber ich kann keine Dritte erkennen.
Andreas Babler hat nur einen Vorteil: Er hat eingeschworene, leidenschaftliche Anhänger. Sie werden ihn nicht als „Verräter“, „Umfaller“ beschimpfen, wenn er eine Koalition ausverhandelt und viele Kompromisse machen muss – und dann als Vizekanzler in die Regierung einzieht (oder als Klubobmann und Parteichef im Parlament bleibt). Die meisten würden es wohl mittragen und verteidigen, insofern droht ihm wenigstens kein Gusenbauer-Schicksal. Er hat die Glaubwürdigkeit, um das erklären zu können und seine Anhänger mitnehmen zu können.
Was man tut, es ist höchst riskant
Damit sind wir freilich noch nicht am Ende vom Lied mit dem Titel „Begegnungen mit der beschissenen Wirklichkeit“. Denn es stellt sich natürlich die Frage: Hätte so etwas überhaupt Sinn? Ist es nicht erst recht der sichere Weg in den Untergang?
Wenn ÖVP und SPÖ eine Regierung bilden, dann wird die FPÖ natürlich aus allen Fanfaren tröten, dass der stärksten Partei der „Wahlsieg gestohlen“ worden sei. Faktisch ist das natürlich Unsinn. Es beginnt schon mit dem ominösen Wort „Wählerwillen“ und „Regierungsauftrag durch die Wähler“. Die Wähler geben im parlamentarischen System keinen Regierungsauftrag – außer, eine Partei hat eine absolute Mehrheit oder zumindest eine satte, strategische Mehrheit. In allen anderen Fällen wählen die Wähler Parteien. Im Jahr 1999 hatte die SPÖ sogar 33 Prozent, Volkspartei und Freiheitliche lagen mit 26,91 Prozent faktisch gleichauf. Sie haben dennoch gegen den Stärksten regiert, der noch einmal erheblich stärker war als die FPÖ es heute ist.
Realpolitisch ist es so: Wenn Parteien, die im Parlament die Mehrheit der Mandate haben, gemeinsam regieren, sind sie die Regierung. Punkt. Da kann eine große Oppositionspartei dann ein paar Monate heulen und plärren, dass es ungerecht ist, dass sie nicht regiert. Irgendwann läuft sich das tot. Entscheidend ist, ob man gut regiert oder schlecht.
Ungefährlich ist gerade gar keiner der möglichen Pfade, die eingeschlagen werden können.
Wird aber das dann nicht dazu führen, dass der Rechtsextremismus einfach weiterwächst und in fünf Jahren noch stärker dasteht, ganz abgesehen davon, dass bis dahin auch noch ein paar heikle Landtagswahlen stattfinden? Das ist möglich, aber es kann auch anders kommen. Jedenfalls kauft man Zeit, und damit natürlich auch die Möglichkeit, dass die Mitte-Links-Parteien besser werden. Und man erinnere sich an das, was mein Freund gesagt hat: „Robert, wir müssen die rechte Welle bremsen. Bremsen, weil aufhalten können wir sie eh nicht.“
Zeit kaufen ist manchmal keine schlechte Strategie
Es gibt jetzt einen globalen Zeitgeist, eine Atmosphäre der Bitterkeit, von Wut, die dem rechten Extremismus günstig sind. Es ist ja kein speziell österreichisches Problem mehr. In fünf Jahren kann sich viel ändern, Dinge, die man beeinflussen kann, aber auch Umstände und Atmosphären, die sich aus den verschiedensten Gründen ändern. Vielleicht hat mein Freund ja recht, dann ist unsere Aufgabe, diese Jahre irgendwie zu überstehen und dafür zu sorgen, dass die Rechtsstaaten und pluralistischen Demokratien nach dieser Welle noch Rechtsstaaten und pluralistische Demokratien sind.
Mag ja sein, dass das ein bescheidenes Ziel ist. Ich finde es angesichts der Gefahren unserer Zeit gar nicht so bescheiden. Man könnte sagen: Andreas Babler hat jetzt sein Rendezvous mit der Geschichte.
Wie auch immer, ich wollte Sie jetzt nicht deprimieren, aber ich halte es immer für besser, den Realitäten in die Augen zu sehen, statt sich irgendwelcher Luftschlösser hinzugeben.
Titelbild: Miriam Moné