Samstag, November 2, 2024

Experimente im “Drogenstaat”: Barbara Kolms fragwürdige Honduras-Connection

Barbara Kolm ist federführend für den Wirtschaftskurs der FPÖ zuständig. Jahrelang arbeitete die Ökonomin an einem umstrittenen Experiment im Auftrag der Regierung von Honduras. Ihr damaliger Auftraggeber muss wegen Drogenhandels für Jahrzehnte ins Gefängnis.

In Próspera – was zu deutsch soviel wie ‘die Florierende’ bedeutet – kann der Mensch seine Grenzen ausloten, vorausgesetzt die Kasse stimmt. In Kliniken der Karibikstadt ist es etwa möglich, sich abseits gängiger medizinischer Vorschriften Mikrochips des Autoherstellers Tesla unter die Haut pflanzen zu lassen. Angeboten werden dort auch neuartige “Protein-Booster”, die einen nach einer Injektion angeblich “schneller und stärker” machen sollen. Einem Bericht der New York Times zufolge liegen auch genveränderte Mundspülungen im Trend, die angeblich Karies vorbeugen sollen.

Was es in Próspera allerdings nicht gibt, ist ein demokratisches System, wie wir es in Europa kennen. Verwaltet wird die erst vor wenigen Jahren gegründete Stadt nicht vom Staat Honduras, zu dem das Territorium offiziell gehört, sondern durch eine in den USA ansässige Firma namens Honduras Próspera Inc. Ein Aufenthaltsrecht in Próspera muss man sich erkaufen, um die Rechtssprechung kümmern sich ausländische Schiedsgerichte, der Polizeiapparat wurde privatisiert, bei Wahlen haben Grundbesitzer ein bevorzugtes Stimmgewicht gegenüber Mittellosen. Für manche eine wirtschaftsliberale Utopie, für die anderen eine antidemokratische Dystopie.

Das Gesellschaftsexperiment vor der Küste Mittelamerikas geht auf Betreiben konservativer Präsidenten von Honduras zurück. Diese haben ab 2013 Teile des Landes für sogenannte “ZEDEs” vorgesehen – “Zonen für Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung”. Dort werden fremde Investoren durch niedrige Steuern und großzügige Mitbestimmungsrechte gelockt. Zur Überwachung und Förderung dieser Zonen wurde vom Präsidenten ein Gremium ausländischer Ökonomen geschaffen. Eine wichtige Rolle nahm darin jahrelang eine Österreicherin ein – die FPÖ-Politikerin Barbara Kolm.

Die “Aufsichtsrätin” über Landesteile von Honduras

Die gebürtige Tirolerin ist bei den Freiheitlichen derzeit hoch im Kurs: Sie wurde auf Platz Sechs der Bundesliste gereiht, ein Sitz im neuen Nationalrat ist ihr fix. Sollte es die FPÖ in eine Regierung schaffen, wird sie sogar als Ministerin gehandelt. Nicht zuletzt war Kolm auch für die Erstellung des neuen Wirtschaftsprogramms mitverantwortlich – dieses rückte inhaltlich nach einer Phase verstärkter Sozialpolitik heuer deutlich nach rechts.

Das passt zu Kolm, die seit 2000 das wirtschaftsliberale Hayek-Institut leitet und sich stets für marktradikale Positionen stark machte. Sie plädiert etwa für Privatisierungen in der Gesundheits- und Pensionsvorsorge sowie in der heimischen Wasserversorgung. Auch beim Kampf gegen Klimawandel – den sie als “Panikmache” bezeichnete – will sie weniger Regeln.

Weitestgehend unbekannt ist hierzulande dagegen ihr Engagement in Mittelamerika. Bereits 2011 verfolgte der konservative Präsident von Honduras, Porfirio Lobo Sosa, den Plan, Teile seines Landes zu wirtschaftlichen Zwecken zu privatisieren. Die Idee geht auf sogenannte “Charter Cities” des US-Wirtschaftswissenschafters Paul Romer zurück. Romer nahm von den konkreten Plänen in Honduras aber bereits 2012 Abstand und gilt heute als Kritiker des Projekts. Nach Konflikten mit dem Verfassungsgericht von Honduras konnte das Projekt “ZEDE” 2013 doch noch umgesetzt werden. Ab 2014 trieb Lobo Sosas konservativer Nachfolger, Juan Orlando Hernandez, die Pläne entschlossen weiter: Neben der eingangs erwähnten Stadt Próspera waren mit Stand 2021 noch zwei weitere ZEDES in Entwicklung, sowie insgesamt sieben betroffene Provinzen dafür in Aussicht.

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Karte von Honduras mit potentiellen und in Entwicklung befindlichen ZEDE-Projekten. Stand 2021. Quelle: AFP

Hernandez ernannte ab 2014 außerdem eine Art “Aufsichtsrat” – den sogenannten CAMP (“Ausschuss für die Anwendung bewährter Praktiken”) – dem 21 Personen angehörten, die zwar nicht demokratisch gewählt wurden, aber die volle Aufsichtskontrolle über die ZEDE-Zonen bekamen. Nur vier Mitglieder von CAMP stammten aus Honduras, bei den restlichen Personen handelte es sich um vorrangig ultraliberale Ökonomen oder Lobbyisten. Darunter etwa der Republikaner Grover Norquist, der einmal sagte: „Ich will die Regierung nicht abschaffen. Ich will sie nur auf eine Größe reduzieren, in der ich sie ins Bad zerren und in der Wanne ertränken könnte.“ Wie die ZackZack vorliegende Gründungsliste zeigt, war auch Barbara Kolm von Anfang an dabei – und wurde schließlich sogar Vorsitzende des Gremiums.

“Wünsche den Projekten viel Erfolg”

Eine Nachfrage von ZackZack, wie und warum es zu dem Auftrag kam, wie viel Kolm für ihre Tätigkeit verdiente und wie intensiv sie für CAMP tätig war, blieb bislang unbeantwortet. ZackZack liegt jedenfalls ein Schreiben vom September 2018 vor, indem Kolm – gerichtet an Präsidenten Hernandez persönlich – ihren Rückzug als “Vorsitzende” von CAMP bekannt gab. Als Grund nannte sie “mögliche Interessenskonflikte”, weil Kolm damals gerade von der türkis-blauen Bundesregierung als Vizepräsidentin der Österreichischen Nationalbank eingesetzt worden war. Zum Abschied hieß es: “Ich glaube, dass die ZEDE-Bemühungen ein lohnendes Unterfangen sind und wünsche den Projekten viel Erfolg.”

Eine Antwort erhielt Kolm zwei Tage später seitens eines Sekretärs von CAMP. Dieser bedauerte ihren Rückzug und schrieb in einem ZackZack vorliegenden E-Mail: “Ich hatte gehofft, eine Antwort auf meine früheren E-Mails zu erhalten, damit wir ein Treffen vereinbaren können, auch wenn es nicht von Angesicht zu Angesicht stattfindet, sondern ein vollständiger Bericht erstellt wird (was ich ohnehin tun werde). Einschließlich aller finanziellen Informationen. (…) Ich hoffe, ich kann Sie immer noch ab und zu um Rat fragen. (…) Wenn ich jemals etwas für Sie tun kann, zögern Sie bitte nicht zu fragen.

Ob nach diesem Schriftverkehr weiterhin Kontakt zwischen CAMP und Kolm bestand ist unbekannt. Eine Anfrage dazu, ob sie auch nach dem Ausscheiden aus CAMP noch sporadisch für den Aufsichtsrat beratend tätig war ließ die FPÖ-Politikerin unbeantwortet.

Kolms Auftraggeber muss wegen Drogenhandels 45 Jahre ins Gefängnis

Kolms Glückwünsche für das Projekt sollten am Ende nur bedingt fruchten. In der Bevölkerung von Honduras formierte sich in den vergangenen Jahren erbitterter Widerstand gegen die ZEDE-Projekte. Präsident Hernandez wurde 2021 aus dem Amt gewählt, seine Nachfolgerin – die linksgerichtete Xiomara Castro – macht es sich seither zum Ziel, die Privatisierungen rückgängig zu machen. Kein einfaches Unterfangen: Ausländischen Investoren wurden Ansprüche auf 50 Jahre zugesichert, schwierige internationale Rechtsstreitereien sind nun die Folge. Die Privatstadt Próspera existiert in einem rechtlichen Schwebezustand weiter. Erst vor drei Wochen erklärte aber der Oberste Gerichtshof von Honduras die ZEDE-Zonen für verfassungswidrig. „Gerechtigkeit für das honduranische Volk bedeutet, unser Territorium nicht stückweise zu verkaufen oder unsere Souveränität zu privatisieren”, sagte danach die neue Präsidentin Castro.

Während Barbara Kolm 2018 in die Nationalbank befördert wurde und heute innerhalb der freiheitlichen Karriereleiter nach oben klettert, ging es für Ex-Präsident Hernandez – der sie einst in den CAMP bestellte – mittlerweile steil bergab. Am 15. Februar 2022 wurde der Ex-Präsident in seinem Haus in Tegucigalpa festgenommen- auf Geheiß der US-Drogenbehörde DEA. Der Politiker soll im großen Stil am Drogenschmuggel durch sein Land beteiligt gewesen sein, seit 2004 sollen durch sein Zutun rund 400.000 Kilogramm Kokain über Honduras in Richtung USA geschleust worden sein. Hernandez wurde in die USA ausgeliefert und heuer im Juli zu 45 Jahren Haft verurteilt. Laut dem US-Staatsanwalt habe Hernandez einen “Drogenstaat” mit “Kokain-Highway” geschaffen.

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Juan Orlando Hernandez bei seiner Auslieferung in die USA. Credit: Orlando SIERRA / AFP /picturedesk

Die FPÖ-Politikerin schweigt

ZackZack wollte von Barbara Kolm – die immerhin über vier Jahre lang im wichtigen, von Hernandez bestellten Gremium CAMP teils als Vorsitzende saß – wissen, wie eng sich ihre Beziehung zum Ex-Präsidenten gestaltete; wie oft sie Hernandez persönlich getroffen hat, wann ihr letzter Kontakt zu ihm bestand und ihr zum ersten Mal Drogenvorwürfe des Staatsoberhauptes zu Ohren gekommen sind. Eine Antwort darauf steht jedoch aus. Ebenso auf die Frage, ob die von ihr als “Aufsichtsratvorsitzende” kontrollierten ZEDE-Zonen in Honduras auch ein Vorbild für die “Festung Österreich” sein könnten.


Update: 12.10.: In der Erstversion des Artikels war von zwei Honduranern als Mitglieder von CAMP die Rede, tatsächlich waren es zu Beginn vier.

Titelbild: GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com

Autoren

  • Thomas Hoisl

    Ist seit April 2024 bei ZackZack. Arbeitete zuvor u.a. für "profil". Widmet sich oft Sicherheitsthemen oder Korruptionsfällen.

  • Steve Courtie
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