Appeasement klappt nie: Es braucht jetzt kämpferische Demokraten, die gegenüber der Niedertracht nicht wackeln.
Herbert Kickl gibt sich jetzt staatstragend. Das heißt, er brüllt nicht, schreit nicht, wirft nicht mit obszönen Beleidigungen um sich, versagt sich kurzfristig der Drohungen, irgendjemandem „einen Schlag aufs Hosentürl“ zu versetzen. Er rät auch niemandem, an Pferdemedizin oder Rattengift zu schlecken. Sogar mit „senilen Mumien“ trifft er sich und bettelt um ihr Wohlwollen. Zuletzt hat er eine Pressekonferenz gegeben, die eigentlich eine Lesestunde mit Zuhörern war. Erst schwafelte er Unsinn über Demokratie, dann beschimpfte er die anderen Parteien als „Verlierer“, und den Rest der Zeit heulte er wie üblich rum, dass man ihn nicht regieren lassen würde. Was ja voll gemein ist. Kurzum: das übliche Herumgeopfere.
Es ist sicherlich eine ganz raffinierte Taktik, alle zu beschimpfen, um sie hinterher dafür zu gewinnen, mit ihm zu koalieren.
Suche nach dem Wählerwillen
Das freiheitliche Gerede, dass dem Ersten doch der Kanzler zustehen würde, dass dies der „Wählerwille“ sei, wäre eine Spur weniger lachhaft, wäre es nicht die FPÖ gewesen, die etwa im Jahr 2000 den Wahlsieger – die SPÖ hatte damals noch stolze 33 Prozent – aus dem Amt gekegelt hat. Die schwarz-blauen Koalitionäre hatten es dagegen jeweils nur auf 26 Prozent gebracht. Und damals hat die ÖVP auch noch ihre Wahlversprechen bezüglich Koalitionsbildung gebrochen, also die Wähler schamlos betrogen.
Man dreht es sich wie man es grad braucht, Kongruenz und Logik sind ja bekanntlich überschätzt und etwas für Systemlinge. Vor der Wahl hat die FPÖ noch dauernd über die böse „Einheitspartei“ gekeppelt, der sie sich gegenübersähe. Nun, wenn wir sie einen Augenblick beim Wort nehmen – so hat die „Einheitspartei“ ja 71,2 Prozent der Stimmen, sie dagegen nur 28,8 Prozent. So gesehen wäre der Wählerwille verdammt eindeutig. Wenn es den Willen des Wählers gibt, dann lautet der, dass die verrückten Spinner, Aufhusser und Kreml-Bücklinge niemals regieren sollen.
Der Kreml konnte sich ja gar nicht halten vor lauter Begeisterung über den „Triumph der Freiheitlichen Partei Österreichs“. Das gefällt mir, das macht die Dinge wenigstens transparent.
Nicht auf das FPÖ-Framing reinfallen
Mit dem „Wählerwillen“ ist das aber so eine Sache. Man kann den lange suchen, „ja, wo isser denn, der Wählerwille?“ – Man wird ihn nicht finden, sondern nur Parteien, die ins Parlament gewählt wurden, und deren Mandate sich entweder auf eine Mehrheit addieren oder eben nicht. Addieren sie sich auf 50 Prozent der Mandate Plus eines, dann ist das der „Wille“, soweit er sich im Wunder des demokratischen Verfahrens entschlüsselt.
Um potentiellen demokratischen Mehrheiten ein wenig die Legitimation abzusprechen, wird jetzt in jedem Satz mindestens zweimal die Wendung von der „Koalition der Verlierer“ eingebaut. Im Grunde ist das aber auch nur Parolenschabernack. Hätte denn eigentlich, nur als Gedankenexperiment, eine Partei, die 51 Prozent der Wähler auf sich vereinigt, weniger Regierungslegitimation, wenn sie vorher 53 Prozent gehabt hätte, als wenn sie vorher 47 Prozent gehabt hätte? Werden die 51 Prozent auf wundersame Weise mehr, wenn ein Zugewinn zu diesen geführt hätte, als wenn sie Ergebnis eines Verlustes wären? Natürlich nicht, die 51 Prozent sind 51 Prozent und das ist das einzige relevante Kriterium.
Wer das „Verlierer“-Framing der FPÖ übernimmt, etwa in Kolumnen, Leitartikeln oder TV-Debatten, der betreibt nichts anderes als Kickl-Propaganda.
Kein Mitleid mit den FPÖ-Wählern
Hin und wieder wabert auch das „Argument“ durch die Gegend, dass die 28,8 Prozent FPÖ-Wähler sicher sehr sauer wären und noch einmal grimmiger und rabiater würden, wenn ihre Partei nicht in die Regierung einzöge. Nun ja, sie verdienen bestimmt unser Mitgefühl ob des Grams und der Traurigkeit, die sie befallen würden. Es tut mir sehr Leid für sie, aber ganz offen gesagt: noch deutlich mehr Leid tun mir die vielen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die tollen Kids in den Schulen, die herzigen Volksschüler, die erschrockenen Sechsjährigen, die nach dem Wahlsonntag ihre Eltern, Lehrerinnen und Lehrer fragten: Werden wir jetzt abgeschoben? Wirft man uns jetzt raus? Müssen wir Angst haben? Holen die uns demnächst im Morgengrauen ab? Nimmt man mir meinen Pass weg, nur weil ich Zeynep heiße? Wir gehören doch auch hier her!
Kinder, die aus Angst abends schlecht einschlafen können, über die nur als Problem geredet wird, deren Leben und Aufwachsen eine dauernde Abfolge von Ausgrenzung, Stigmatisierung und Stereotypisierung ist, tun mir dann schon etwas mehr Leid als heulende FPÖ-Wähler im Einfamilienhaus, die bei der Tankfüllung für das Drittauto jetzt plötzlich rechnen müssen und deswegen sauer auf die Welt sind. Kinder sollten keine Angst haben müssen. Schon ihretwegen sind wir verpflichtet, alles zu tun, um eine FPÖ-Regierungsbeteiligung zu vermeiden.
Kein Fußbreit der Gefühlsrohheit
Von besonderer Eleganz ist auch der Hinweis, den man nun gelegentlich von FPÖ-Leuten hört, dass eine „Orbanisierung“, also die schleichende Errichtung eines autokratischen Systems plus Aushöhlung von Liberalität und Rechtsstaat, ja gar nicht ginge, da sie mit 28,8 Prozent ja nicht einmal eine Sperrminorität haben. Das Argument ist von der Art: Wir würden ja gerne, aber wir können ja gar nicht, also braucht ihr Euch keine Sorgen machen. Was wird als nächstes „Argument“ kommen? „Ihr braucht keine Angst haben, dass wir politische Gegner in Lager sperren, denn dafür fehlt uns die verfassungsgebende Mehrheit“? Vielleicht sollten sie sich das mit dem überzeugenden, gewinnenden Argumentieren noch einmal genauer überlegen.
Man hat in der Vergangenheit die „Ängste und Sorgen“ des für Gefühlsrohheit anfälligen Mitbürger-Segmentes nicht zu wenig ernst genommen, sondern sich der Niedertracht gegenüber viel zu nachgiebig gezeigt. Die nunmehrigen Misslichkeiten sind die Folge davon. Appeasement klappt nie. Das Land braucht kämpferische Demokraten, die standhaft sind und sagen: Wir werden Euch Demokratie, Liberalität, Rechtsstaat nicht ausliefern. Ihr wollt den Geist des Republikanismus, von Gleichheit und Vielfalt in den Dreck ziehen und uns eine Zwangshomogenisierung verschreiben, wie ihr das in Eurem Wahlprogramm unverhohlen angedroht habt? Kommt doch.
Ihr werdet auf entschlossenen Widerstand stoßen.
Titelbild: Miriam Moné