Sonntag, Oktober 13, 2024

Randnotizen: Wähler unser

Die Presse über Herbert Kickl, den angeblichen Katholiken, der das Vater-Unser verarscht; den angeblichen Ausländerfeind, der Migranten seine hochgerüstete Werbemaschinerie betreiben lässt; den angeblich Freiheitsliebenden, der seine Partei autoritär führt; den „Volkskanzler“, bei dessen Wahlparty das Volk draußen bleiben muss.

Herbert Kickl, unter dessen Obmannschaft die FPÖ nun geschafft hat, was Jörg Haider und H. C. Strache nicht geschafft haben – mandatsstärkste Fraktion im Nationalrat zu werden – ist ein völlig anderer Charakter als seine Vorgänger. Kickl versucht potenzielle Wählerinnen und Wähler inklusiv zu behandeln. Er hat aufgehört Identitäre, Burschenschafter und Neo-Nazis wenigstens zum Schein auszugrenzen und Historikerkommissionen anzukündigen, die es ohnehin nie geben wird. Kickls unmittelbare Berater sind Rechtsextreme, oft gewiefte Juristen, im Fall von Norbert Nemeth sogar Romanautoren.

Im Gegensatz zu Kickl hat er sein Studium beendet und gehört einer Verbindung mit langer Tradition an. Das ist wichtig, um den von Minderwertigkeitskomplexen zerfressenen Herbert Kickl zu verstehen. Die Klasse seiner Herkunft hat Kickl politisch verraten, einer Verbindung hat er nie angehört und er hat mit Haider und Strache zwei Herren gedient, die ihn nicht ernst genommen haben und über die er öffentlich sagte, es täte ihm leid, so viel Zeit für die Arbeit mit ihnen verschwendet zu haben.

Instrumentalisierung von Zuwanderern

Daher schupft er den Laden FPÖ nun auf ganz neue Weise. Was heißt das? Ein Beispiel: Kickl, von dem viele Menschen fälschlicherweise glauben, dass es unter ihm weniger Zuzug nach Österreich geben wird, braucht Zuwanderer und instrumentalisiert gerade Zuwanderer. Nina Horaczek und Barbara Tóth im FALTER:

Autoritärer Führungsstil in der Partei

Parteiintern aber agiert Kickl exklusiver als seine Vorgänger. Er entfernt Funktionäre, deren Einfluss er fürchtet, von wichtigen Positionen. Norbert Hofer wird ins Burgenland weggelobt. Auf die, die bleiben, wirft Kickl ein strenges Auge. Sein Stil ist autoritär. Er wird nicht dieselben Fehler machen, die die selbstherrlichen und schlampigen Parteiführer Haider und Strache gemacht haben. Horaczek und Tóth im FALTER weiter:

Viele Kommentatoren wollen nicht wahrhaben, dass die FPÖ Europas unerbittlichste und konsequenteste neo-faschistische Bewegung ist. Sie verkennen die Lage und exkulpieren sie durch die Betonung der Unterschiede zwischen AfD und FPÖ. Erst diese Woche tut Sebastian Enskat das wieder in der FURCHE:

Eine „normale“ Partei?

Nur ist die FPÖ kein normaler Akteur. Und sie ist auch keine Partei, denn sie hat kein Programm. Sie braucht es angesichts der österreichischen Wählerschaft auch nicht. Was sie aber betreibt ist konsequenter Revisionismus. Das ist in einem Land wie Österreich nicht schwer, denn Anti-Faschismus ist in Österreich – selbst wenn Staatsmänner wie Vranitzky ihn an wichtiger Stelle transportiert haben – nie gelebt worden, nie common sense geworden. Auf Veranstaltungen, in Bierzelten und in den österreichischen Medien aber ist immer noch der ein „richtiger Österreicher“, der die Gräuel des Holocaust und beiden Weltkriege und ihre Folgen leugnet und relativiert. Da redet man dann von Agram, Ödenburg und Preßburg, singt öffentlich auf Wirtshaustischen „Südtirol bleibt frei, bleibt deutsch“ und wenn man dann noch SS-Lieder singt, gibt’s bei den Wahlen ein paar Prozentpunkte mehr. Passieren kann einem nichts. Und die, die durch tausende Kickl-Artikel und Kickl auf jedem Cover ihre eigene Werbung für den Neo-Faschisten machen, reden sich selbst immer noch ein, das Böse aufzuhalten.

So ist auch die Analyse, es habe sich bei der Nationalratswahl am 29. September um eine Protestwahl gehandelt, völlig falsch. Protest wäre gewesen, gegen die zu stimmen, die Inflation, Rezession und hohe Arbeitslosigkeit verantworten, die den Klimawandel leugnen, gegen soziale Gerechtigkeit sind und sich parteiisch und bis hin zur Spionage international auf die Seite einer kriegstreibenden Diktatur stellen.

Zu wenig Liebe

Die FPÖ wird diese Politik fortführen. Sie kennt nichts anderes und hat sich, wo sie noch im Wahlkampf davor anderes verlauten ließ, gerade in den Koalitionen mit der ÖVP als völliger Umfaller entpuppt. Das wird auch diesmal so sein. Daher ist es völlig unverständlich, was im profil-Artikel „Vier gegen Kickl“ über eine mögliche ÖVP-SPÖ- oder ÖVP-SPÖ-NEOS-Koalition steht:

Denn gerade die Wirtschaftspolitik, der Milliardärs- und Großkonzernförderung und des Sozialabbaus wurde 2018 von ÖVP und FPÖ begonnen und ab 2019 von der ÖVP mit den brav mitmachenden Grünen fortgeführt.

Die Volkspartei, die in den letzten sieben Jahren zwei Regierungen angeführt hat, ist dafür verantwortlich, dass Österreich ein wirtschaftliches Desaster darstellt, auch im Euro-Raum, wo seine Inflation über der der anderen Staaten liegt.

Gerade Inflation, Rezession und Arbeitslosigkeit in den Griff zu kriegen, ist das, was die FPÖ in der Regierung nicht schaffen wird. Es ist also der beste Antrieb für eine Koalition ohne FPÖ. Voraussetzung aber dafür ist, dass die ÖVP von ihrer Politik der letzten sieben Jahre abkehrt. Nur dann ist auch eine Koalition mit SPÖ und NEOS möglich. Völlig daneben ist der Satz:

Gab es keine Animositäten zwischen Alois Mock Franz Vranitzky? Oder zwischen Josef Pröll und Werner Faymann? Und wie es die gab! In beiden Fällen hat die ÖVP mit der SPÖ koaliert, weil sie in die Regierung wollte. Programmatische Differenzen werden in Koalitionsverhandlungen besprochen. Was dabei herauskommt heißt Kompromiss. Ich weiß schon, dass die ÖVP seit Sebastian Kurz keine Kompromisse eingehen will. Aber wenn sie bei der nächsten Wahl nicht noch einmal zehn Prozentpunkte verlieren will, sollte sie sich das überlegen. Liebe ist kein Kriterium für eine Koalition.

Oder verspürt die Volkspartei letztlich nur Liebe für Herbert Kickl? Er kann sie brauchen. Die Ablehnung Kickls durch die Volkspartei ist jedenfalls eine rein taktische Finte. Dass eine christliche Partei nichts gegen Wahlplakate sagt, auf denen die FPÖ das Vater-Unser verarscht, spricht Bände – Wähler unser, der du bist im Himmel. Und ob Karl Nehammer nicht der schlechtere Innenminister war als Kickl, ist nicht geklärt. In jedem Fall war Nehammer der Generalsekretär der ÖVP, unter dem sieben Misstrauensanträge gegen Herbert Kickl im Nationalrat niedergestimmt wurden – mit den Stimmen der Volkspartei. Aber so ist es in Österreich: Glücklich ist, wer vergisst.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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