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Wien-Wahl: Die Grünen haben sich entschieden – Kommentar

Kommentar

Die groteske Posse um die Öffnung der Bundesgärten zeigt, dass der Wahlkampf um die Hauptstadt längst eröffnet ist. Es geht dabei um mehr als die Verteilung der Corona-Lorbeeren, nämlich um eine echte Richtungsentscheidung. Die Grünen haben diese bereits getroffen – und könnten sie noch bitter bereuen.

Wien, 09. April 2020 | Nachdem die Bundesregierung rund um die „Causa Bundesgärten“ wohl aufgrund von Meinungsumfragen erneut ihren Kurs geändert hat, beginnt nun der muntere Kampf um Deutungshoheit.

Wer ist der beste Bundesgärtner im ganzen Land?

Die Türkisen inszenieren ihre Niederlage als generöse Geste um, wenngleich auf Zeit: sollte in Wien die Zahl der Infizierten steigen, ist selbstverständlich die SPÖ schuld! Die SPÖ hingegen gibt sich nicht zufrieden und beschwert sich über den späten Zeitpunkt der Maßnahme. Und die Grünen? Die geben sich im türkis-roten Kleinkrieg als Schlichterpartei, deren Dialogorientierung letztlich zu konstruktiven Lösungen geführt hätte. Auf den ersten Blick gar nicht blöd, wäre die Situation nicht so lächerlich eindeutig. Denn die Grünen zögerten bis zum Schluss, sich für die Öffnung der riesigen Grünflächen im Sinne der Wiener Bevölkerung einzusetzen. Das gleichzeitige Festhalten der Umweltpartei an einer bizarren Asphaltlösung zeigt, dass es um mehr als die bessere Maßnahme geht.

Kurz will die SPÖ zerstören

Es geht um eine Richtungsentscheidung. Es geht darum, wie die lebenswerteste Stadt der Welt in Zukunft regiert wird. Sebastian Kurz sitzt trotz Ischgl-Gate so fest im Sattel wie lange kein Kanzler mehr. Der einzig echte Wettbewerb wartet in Wien, wo die von ihm verhasste SPÖ immer noch die stärkste Partei ist.

In der Hauptstadt kann die türkise ÖVP zwar trotz steigender Beliebtheit für Neo-„Staatsmann“ Blümel niemals Platz 1 erreichen. Sie kann die SPÖ aber sehr wohl aus dem Rathaus schmeißen, denn: Türkis und Grün liegen in Vor-Corona-Umfragen je bei ungefähr 20 Prozent. Nimmt man die Neos hinzu, liegt die „Dirndl-Koalition“ bei knapp unter 50 Prozent, also nicht weit von der immer noch beliebtesten Variante Rot-Grün entfernt. Der ÖVP ist es zuzutrauen, selbst bei besserem Abschneiden Blümels der Kontrahentin Hebein den Bürgermeisterposten zu überlassen – nur, damit die SPÖ gestürzt wird. An den Neos wird dieser Türkis-Plan sicher nicht scheitern. Es zeigt sich immer mehr, dass auch die Grünen dazu bereit sind.

Ludwig mit großem Vorteil

Doch die mächtige Rathauspartei scheint den Braten gerochen zu haben. Ludwigs harsche Reaktion auf Hebeins taktisches Foul demonstriert, dass die SPÖ Wien weiß, was die Stunde geschlagen hat. Derweil könnte die neue ideologische Flexibilität der Ökopartei um die Ohren fliegen: die Reaktionen in den Sozialen Medien in der Causa Bundesgärten signalisieren, dass die Wiener genau wissen, wer sich glaubhaft für ihre Grünflächen eingesetzt hat. Und wer nicht. Hackers heiß debattierte Äußerungen kommen in Wien zudem besser an, als viele Hobbyvirologen aus dem türkis-grünen Dunstkreis glauben wollen. Der Wiener Lokalpatriotismus ist stark, er umfasst alle sozialen Schichten und wenn eine Partei weiß, ihn zu bedienen, dann ist es immer noch die SPÖ. Wenn die Roten es schaffen, mit Wien gleichgesetzt zu werden – darauf deutet Stand jetzt vieles hin – sind alle anderen, auch die Grünen, automatisch die bösen Römer im Blutrausch gegen das gallische Dorf. Hat sich diese Erzählung erst einmal durchgesetzt, könnten bald die ersten Bestellungen Ottakringer Dosenbier in der Löwelstraße eintreffen. Oder gleich im Bürgermeisterbüro. Die Grünen geben jedenfalls ihr Möglichstes, um diesen Prozess zu beschleunigen.

Benjamin Weiser

Titelbild: APA Picturedesk

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