Leitartikel von Peter Pilz
Der Winter scheint noch fern. Tatsächlich sind es nur noch knapp drei Monate, bis der Ballermann im Schnee wieder losgeht. Wird das Virus mitfeiern? Und sind wir vorbereitet? Leitartikel von
Peter Pilz
Im Sommergespräch entfuhr Werner Kogler zur Corona-Krise ein Satz: „Für den Herbst haben wir noch kein Konzept.“ Am Zettel der ORF-Moderatorin stand keine dazu passende Frage. In ganz Österreich wachte ein Journalist auf: Hans Rauscher ist ein genauer Zuhörer. Ihm war sofort klar, dass hier unabsichtlich etwas Wichtiges herausgerutscht war.
Mallorca im Schnee
Mallorca ist Ballermann. Ballermann ist Coronamann. Das ist die Formel, die die Baleareninsel jetzt gemeinsam mit einigen kroatischen Stränden an die Spitze der Reisewarnungen gebracht hat.
Mallorca ist der Ballermann des Sommers. Österreich ist der Ballermann des Winters. Auch in der Schweiz, in Frankreich und in Italien gibt es Bars, die man auf Skiern erreicht. Aber die Infektionskette „Gondel –Einkehrschwung –Absaufen“ ist nur in Österreich eine Hauptroute aus Schnee und Schnaps. 2017 erklärte der Berliner Tagesspiegel die touristischen Pionierleistung im Paznauntal: „Der Wintertourismus steckt in der Krise. Skiorte werden deshalb zu Vergnügungsparks für Spaßwütige. Ischgl in Tirol macht es vor – das Motto lautet: Party, Party, Party.“ Österreichische Tourismusindustrielle stellen dazu von Aufstiegshilfen bis zu Aufstehhilfen alles zur Verfügung.
Gäbe es eine Corona-Zentrale, dann würde man sich dort auf den österreichischen Winter freuen: virusfreundliche Temperaturen, von Gondeln bis Hütten garantierte Distanzlosigkeit, Schnaps, bis alle Masken und Babyelefanten fallen.
Aber in den Ministerien für Gesundheit und für Tourismus kennt man weitere gefährliche Details:
- Zu Tausenden reist der Großteil des Personals kurz vor den Weihnachtsferien an. Niemand weiß, wie Scharen an Kellnern, Zimmerpersonal und Küchenhilfen rechtzeitig verlässlich eingeschult und getestet werden.
- Das Personal wird in der Regel in kleine, mehrfach belegte Zimmer gepfercht. In den Stellenangeboten für die kommende Saison heißen sie in Ischgl „Top-Mitarbeiterhäuser“. Heuer kommt zum Top-Zimmer noch das Top-Corona-Risiko dazu.
- Wenige Tage nach dem Personal kommt die erste Urlauberwelle. Auch für sie gibt es keine Testpläne.
- Der Schitag beginnt in der Gondel, Bauch an Bauch, Gesicht an Gesicht. Masken bieten einen Restschutz, nicht mehr. 90.733 Personen können die Aufstiegshilfen nur in Ischgl jede Stunde transportieren. Allein die Sivrettabahn kann in Ischgl jede Stunde 3.440 Personen auf den Berg bringen. Für die Beschränkung der Zahl der Schifahrer pro Gondel steht der Streit mit den Aufstiegs-Industriellen und ihren Politikern noch aus.
- Wer sich unten anstellt, wird raufgebracht. Wenn der Berg überfüllt ist, bleibt es auch nach der Gondel eng.
- Dann füllen sich die Hütten und damit die Corona-Hauptstationen.
- Nach der Einkehr geht es ab ins Tal. Am Ende der Corona-Winterkette warten die Kitzlöcher.
Corona-Lawinenschutz
Von St. Anton bis Ischgl sind die Ballerorte der österreichische Schiindustrie die kommenden Corona-Brutstätten. Von Innsbruck bis Wien kann die Politik Schi-Corona nicht verhindern. Aber sie entscheidet darüber,
- wieviel Schutz es gibt
- ob der Lockdown vermieden werden kann
- ob die Corona-Lawine auf ganze Regionen abgeht
- und wie viele Menschen und Betriebe die Corona-Lawine überleben.
Solange Sebastian Kurz Bundeskanzler ist, gibt es für große Probleme eine Patentlösung: die Schließung der Balkanroute. Aber heuer im Winter wird das weniger wirken, aus einem Grund: Ischgl liegt nicht an der Balkanroute. Es gibt keine Staatgrenze, die gesperrt und teuer bewacht werden kann. Im Winter gibt es nur Inland – und Gäste, die auf anderen Routen kommen.
Im Winter 2020 kann die Politik Corona nur Grenzen mitten in Österreich setzen. Dabei wissen nicht nur Experten: Es wird nicht einfach, aber es geht. Voraussetzungen dafür sind Entscheidungen:
Entscheidung 1: klare Regeln für alle. Wenn Minister Anschober Gegenspieler wie Nationalrats-Aufstiegshelfer Hörl und seine Freunde nicht unter Bundeskontrolle bringt, ist nichts zu machen.
Entscheidung 2: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen rechtzeitig getestet und geschult werden. Aber wo und von wem, wenn sie erst kurz vor Saisonstart anreisen?
Entscheidung 3: zusätzliche Personalquartiere. Ohne sie bleibt das Personal hoch gefährdet.
Entscheidung 4: Höchstzahlen pro Berg. Sie sind die ersten Voraussetzungen für eine Eingrenzung des Risikos am Berg selbst. Aber niemand weiß, ob sie festgesetzt werden – und wer sie bestimmt.
Entscheidung 5: Gondeln dürfen nicht dichter besetzt werden als Autobusse. Aber wer setzt verbindliche Zahlen für alle Typen durch? Und wer kontrolliert sie?
Entscheidung 6: Indoor-Schihütten im Corona-Winter sind wie Sex ohne Gummi in einer Aids-Welle. Es gibt nur einen Weg zu einem Mindestmaß an Schutz: einen Winter mit Hütteneinkehr nur im Freien.
Entscheidung 7: Die Kitzlöcher bleiben zu. Die gefährlichsten Nachtfallen müssen diesen Winter geschlossen bleiben. Aber was passiert mit den Hotelbars?
„Apres-Ski in der gewohnten Form wird es nicht mehr geben. In den Hütten wird man sich davon verabschieden müssen, das ist die gemeinsame Meinung der Betreiber.“ Das stellt Wolfgang Löscher, der Geschäftsführer der Kärntner Skipass Vertriebs und Marketing GmbH, fest. Tirols Landeshauptmann Günter Platter ist noch nicht so weit. Er ruft nach Regeln aus Wien und setzt in Innsbruck einen mutigen Schritt: Das Management Center Innsbruck (MCI) soll im Auftrag des Bundeslandes ein Modell zum Covid-19-Risikomanagement im Wintertourismus entwickeln.
Österreich hat mit Frühjahr und Sommer das Corona-Vorspiel mit einem tiefblauen Auge überstanden. Aber bei Lawinen geht es nicht mehr um blaue Augen. Da geht es ums Überleben. Im Februar 2021 werden Zehntausende Betriebe wissen, ob sie es schaffen – mit einem Corona-Lawinenschutzplan der Bundesregierung, der jetzt fertig sein muss, damit er ab Dezember in verbindliche Maßnahmen umgesetzt werden kann.
Mit Günter Platter an der Spitze fordern die Länder jetzt einen Bundesplan. Bundesminister Anschober fordert einen zentraleuropäischen Plan. Allen ist eines gemeinsam: Sie fordern einen Plan, weil sie keinen haben.
Nur Werner Kogler sagt offen: Es gibt keinen Plan. Die Gastwirte und Hoteliers, um deren Überleben es geht, warten. Nach oben haben sie den direkten Blick auf die Corona-Lawine, von der sie noch kein Schutz trennt.
Titelbild: APA Picturedesk