Not a Bot
Jeden Samstag kommentiert Schriftsteller Daniel Wisser an dieser Stelle das politische Geschehen. Dabei kann es durchaus menscheln – it’s a feature, not a bug!
Wien, 24. Oktober 2020 | Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner ist von Parteifreunden dafür kritisiert worden, dass sie im ZiB2-Interview mit Armin Wolf am 20. Oktober 2020 ihre Bewertung der Corona-Maßnahmen damit begonnen hat, die Maßnahmen der Regierung für richtig zu erklären. Ihre Kritik, die Maßnahmen wären zu spät gekommen und schlecht kommuniziert worden, folgte erst im anschließenden Aber-Satz.
Es ist symptomatisch für den zeitgenössischen Politikbegriff, dass nur Fundamentalopposition als Opposition wahrgenommen wird. Gerade beim Thema Covid-Pandemie, das die Gesundheit der gesamten Bevölkerung betrifft, sind doch eigentlich nur Politiker*innen vertrauenswürdig, die sich nicht von parteipolitischen Überlegungen leiten lassen.
Stellvertreterkriege statt Politik
Die Covid-Maßnahmen sind eine zu wichtige Sache, um zu einer Spielwiese von Stellvertreterkriegen zu werden. Die ÖVP scheint das nicht zu verstehen oder anders zu sehen. Sie ist eine Partei, die zwischen einem von ihr geführten Ministerium und der Parteizentrale nicht unterscheidet und offensichtlich ganz bewusst parteipolitisch agiert und regiert.
Vor Kurzem wurde öffentlich, dass die Regierung ihr E-Mail zur Koordinierung der Corona-Maßnahmen am 19. Oktober 2020 bewusst nur an jene Bundesländer übersandt hatte, in denen die ÖVP den Landeshauptmann stellt. Das zeigt, dass die Kritik Rendi-Wagners an der Kommunikation der Regierung berechtigt ist. Es zeigt aber auch, dass der Regierung die 2,8 Millionen Menschen, diein den Bundesländern Burgenland, Kärnten und Wien leben, völlig gleichgültig sind.
Ohne Partei bist du nichts
Diese Praxis der ÖVP ist aus der innenpolitischen Geschichte seit Jahrzehnten bekannt. Alois Mock hat sie als sogenannte Wende salonfähig gemacht. »Die sozialistische Philosophie ist: Ohne Partei bist du nichts«, sagte Mock einmal höhnisch bei einer Wahlkampfveranstaltung. Offensichtlich hat er sich aber genau diesen Punkt — also das was er vermeinte, über den Sozialismus zu wissen — selbst zur obersten Maxime gemacht. Die ÖVP ist für ihre Parteimitglieder da und nicht für alle Staatsbürger*innen — auch nicht in einem Regierungsamt. Wolfgang Schüssel und später Sebastian Kurz haben diese Maxime von Mock übernommen.
Kurz von eigenen Günstlingen verhöhnt
Die Liste Kurz ist aber nicht die ÖVP. Und wiewohl die scheinbar gönnerhafte ÖVP ihre Parteifreunde und Günstlinge mit allen Mitteln in Aufsichtsräte und Vorstände und hohe Positionen bringen will, haben sich neue Abhängigkeiten von diesen Günstlingen ergeben. Jüngst an die Öffentlichkeit geratene Chatprotokolle zeigen, dass Günstlinge ÖVP-Obmann Kurz sogar verhöhnen. Die Milliardäre und Konzernchefs, ohne deren Spenden Kurz seinen riesigen Beraterapparat, die exorbitanten Werbe- und Wahlkampfkosten und die Unsummen, die er der Presse zukommen lässt, nicht finanzieren könnte, zeigen sich alles andere als untertan, sondern üben Druck auf die Partei aus. Den hohen Druck auf Kurz spürt man, wenn er ihn nach unten weitergibt, die Menschen verhöhnt, da und dort aggressiv feststellt, sie seien selbst an diesem und jenem schuld oder sie könnten ihren Namen nicht richtig schreiben.
Und natürlich verlangen die Großspender*innen Gesetze, politische Maßnahmen und Schritte, die ihnen wirtschaftlich entgegenkommen. In Tirol etwa wollen die wahren Machthaber, die großen Hoteliers und Seilbahnbetreiber, einfach von der Politik nicht vorgeschrieben bekommen, wann der Skibetrieb wegen der Pandemie unterbrochen oder eingeschränkt werden muss. Sie wollen in Ruhe ihr Geschäft machen, koste es, was es wolle. Und das ist im Fall Covid die Gesundheit der Gäste und manchmal auch ihr Leben.
Die Aufgabe der früheren Klientel
Während also die Opposition (mit Ausnahme des früheren ÖVP-Koalitionspartners FPÖ) bei Covid-19 keine Fundamentalopposition betreibt, ignoriert die ÖVP als Fundamentalregierung SPÖ-regierte Bundesländer. Die Grünen, die keinerlei demokratische Kontrolle in diese Regierung bringen, sind auch hier stumme und duldende Zuschauer.
Natürlich, Fundamentalisten und Fanatiker reden nicht mit allen Menschen. Wer sein zweijähriges Kind zum Mitglied der Jugendorganisation seiner Partei macht, die oder der vertraut wohl kaum auf die freie Entwicklung und Entscheidungsmöglichkeit eines Menschen. Und offensichtlich vertraut die oder der schon gar nicht darauf, dass ein Kind, das sich frei entwickeln kann, freiwillig der JVP beitreten würde. Die ÖVP nimmt nichts wahr, was sich außerhalb ihrer Kader tut. Sie bricht aber nicht nur jahrzehntelangen politischen Usus, sondern stößt auch traditionelle Kernwählerschichten vor den Kopf. Das wurde im Wienwahlkampf deutlich, wo der ÖVP nichts anderes eingefallen ist, als nach den Stimmen rechter Protestwähler zu trachten, die davor FPÖ gewählt hatten.
Rettet die Reichen
Viele Klein- und Mittelbetriebe, vor allem im Bereich des Tourismus und der Gastronomie sind fassungslos, wie sie von der Partei, die sie und ihre Vorfahren seit Generationen wählen und gewählt haben, alleine gelassen werden. Während kleine Unternehmen hie und da ein paar Tausender an Covid-Hilfe zugesprochen bekamen (vieles davon wurde noch gar nicht ausbezahlt), bedienen sich die großen Spender und Betriebe sogar mehrfach. KTM, Andritz Gruppe und Swarovski sind solche Fälle. Manche werden drei Mal vom Steuerzahler gerettet: Zuerst wird die Kurzarbeit vom Staat bezahlt, dann eine Stützung, damit sie Dividenden auszahlen können und schließlich kommt es, wie bei Swarovski, zu Massenkündigungen, womit die Steuerzahler auch die Arbeitslosenunterstützung und Umschulungsmaßnahmen der Betroffenen finanzieren müssen.
Das Covid-Desaster
Diese Umverteilung bleibt niemand verborgen. Und über die lange Strecke, die das finanzielle Desaster der Covid-Pandemie noch zu bewältigen sein wird, werden sich auch härteste Kernwählerschichten von einer Partei abwenden müssen, die die Demokratie und den Gleichheitsgrundsatz mit Füßen tritt.
Hätte man SPÖ und NEOS in die Covid-Krisenstäbe eingebunden und die Parteipolitik damit herausgenommen, hätte Österreich in dieser schweren Krise an einem Strang gezogen. Die ÖVP aber will die Krise zu ihren Zwecken instrumentalisieren.
Seriöse Gesundheits- und Sozialpolitik muss über die Grenzen politischer Zugehörigkeit hinausgehen. Die Regierung hat sich hier in eine unglaubwürdige Position manövriert. Sie handelt chaotisch, mit erheblichen Verzögerungen und bedient nur ihre Klientel. Ob die ÖVP-Politik dabei von der FPÖ oder von den Grünen abgenickt wird, macht keinen Unterschied.
Titelbild: APA Picturedesk