Wo liegt Österreichs Kapazitätsgrenze an Covid-Intensivpatienten? Wie viele Intensivbetten stehen für Covid-19-Patienten aktuell überhaupt zur Verfügung? Die Regierung dürfte darauf nach acht Monaten Pandemie keinen flächendeckenden Überblick haben: Die Zahlen aus den Bundesländern entstammen unterschiedlicher Zählweisen.
Wien, 29. Oktober 2020 | Österreichs Bundesländer melden dem Bund ihre Bettenkapazitäten laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) wöchentlich. Dabei dürfte es in der Zählweise, wie viele Intensivbetten vorhanden und verfügbar sind, erhebliche Unterschiede geben: Westösterreich nimmt ausschließlich Betten in die Zählung auf, die sofort für Covid-19-Patienten verfügbar wären. Ostösterreich hingegen gibt an, wie viele Betten man im Extremfall verfügbar machen könnte – also auch unter Hinzuziehen von Ressourcen und Kapazitäten anderer Stationen. Dies macht einen Vergleich schwer möglich – geschweige denn eine realistische Einschätzung der Covid-Ressourcen des Gesundheitssystems und ihrer Grenzen.
Unterschiedliche Zählweise: “Warum schaffen wir das in Österreich nicht?”
Die Regierung erntet dafür heftige Kritik – andere Länder wie Deutschland würden die Rechnung transparent und leicht verständlich bewältigen:
Warum können wir die Daten zu Intensiv-Betten nicht auch in Österreich so aufbereitet bekommen, wie das die Kollegen vom @DIVI_eV in Deutschland machen?https://t.co/OfbFdefuMV@agesnews @rudi_anschober @bmsgpk pic.twitter.com/KbKQAwMyXx
— Jakob Weichenberger (@jawei) October 28, 2020
Selbst Großbritanniens Gesundheitssystem (NHS) bringt zusammen, was Österreich nicht schafft, twittert ORF-Journalist Jakob Weichenberger:
Und hier noch ein Blick nach England:
Daten zeigen für jedes einzelne Krankenhaus, wie viele Covid-Patienten dort beatmet werden müssen.
Wenn das NHS das zusammenbringt, warum schaffen wir das in Österreich nicht? https://t.co/195Lsxpsxd pic.twitter.com/pWvkIim6y8— Jakob Weichenberger (@jawei) October 28, 2020
Die Zahlen am Dashboard des Gesundheitsministeriums zu verfügbaren Intensivbetten sind auf Grund der unterschiedlichen Zählweisen nur gering aussagekräftig. Unklar bleibt dabei: Wo liegen die Grenzen des Systems? Heute trafen Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober eine Expertenrunde, in der laut Gesundheitsministerium auch Thema sein sollte, „wie wir die Datensituation in Bezug auf die Bettenkapazitäten noch weiter verbessern können“. Die im Anschluss daran abgehaltene Pressekonferenz stellte zumindest hinsichtlich Intensivbettenkapazitäten keine aktuellen Zahlen zur Verfügung.
Pressekonferenz: Ankündigung der Ankündigung
Der Gesundheitsminister rechne mit bis zu 5.800 Neuinfektionen pro Tag in der kommenden Woche: Setze sich dieser Trend so fort, könne “eine Überschreitung der Kapazitätsgrenzen Mitte, Ende November eintreten”, sagte Anschober. Deshalb gebe es nun “akuten Handlungsbedarf“. Aber: wo genau die Grenzen genau liegen, kann der Gesundheitsminister offenbar nicht sagen.
Der Tenor der Pressekonferenz: Alles sei voraussehbar gewesen, niemand sei überrascht, alles ist kalkuliert und vorbereitet. Das heutige Experten-Treffen habe vorwiegend dem Abgleich gedient – es wurde geschaut, stimmt die Einschätzung der Regierung mit jener der Experten aus den Bundesländern überein? Die Wahrnehmungen deckten sich zu 100 Prozent, ließ Anschober wissen. Strengere Maßnahmen seien daher notwendig. Diese würden am kommenden Samstag verkündet werden.
„Potenzial von 700 Betten“
Mitte November würden laut Prognose 400 bis 500 Patienten auf Intensivstationen liegen, sagte Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich (GÖG), im Rahmen der Pressekonferenz am Donnerstag. Diese seien auch “versorgbar”: Denn im Extremfall könne Österreich auf ein Potenzial von 700 Intensivbetten für Covidpatienten zurückgreifen – diese könnten mittels Verschieben von anderen Eingriffen zur Verfügung gestellt werden, rechnete der Gesundheitsökonom theoretisch vor. Wenn seine Berechnungen stimmen, könnten Mitte November noch maximal 200 bis 300 Intensivbetten für die Versorgung von Coronapatienten freigemacht werden.
Ein zuverlässiges Bild der Realität verfügbarer Intensivbetten kann das Dashboard des Gesundheitsministeriums aufgrund der unterschiedlichen Zählweisen weiterhin nicht bieten – auch bei der Pressekonferenz wurden keine konkreten Zahlen genannt.
(lb)
Titelbild: APA Picturedesk