Samstag, Juli 27, 2024

“Wir sind das Volk!” – Unter den Coronademonstranten

Unter den Coronademonstranten

Jeden Samstag legen Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen große Teile Wiens lahm. Wer sind die Leute, die aus ganz Österreich zusammenströmen, um ihrer Wut Ausdruck zu geben? Eine Reportage aus zwei Blickwinkeln.

Florian Bayer und Thomas Walach

Wien, 20. März 2021 | TW: „Dir passiert schon nix, du schaust aus wie ein Zivilcop.“ Tatsächlich werde ich auf Demonstrationen oft für einen gehalten. Mann, Ende 30, auffällig unauffällige Kleidung, schaut viel, stellt Fragen. Ich passe ins Profil. „Fehlt nur noch ein Bauchtascherl.“ Die Leute um mich lachen freundlich.

Ich bin mit einer Gruppe des Presseservice Wien unterwegs. Das Kollektiv linker Pressefotografen dokumentiert unter anderem Aktionen der rechten Szene. Obwohl es personelle Überschneidungen mit der Antifa gibt, sieht sich das Presseservice nicht als Teil der Szene. Die Rechten machen diese Unterscheidung nicht. „Antifa, Hurensöhne!“ schallt es uns aus ihren Reihen bei der Coronademo entgegen.

FB: Ein „gemeinsamer Spaziergang“ hätte es werden sollen, letztlich waren es viele einzelne. Zeit und Ort der Demo blieben bis zuletzt unbekannt, und so versammelten sich laut Polizei 800 bis 1.000 Teilnehmer erst einmal beim Hauptbahnhof. Von dort zogen sie zunächst ziellos durch die Straßen. Ich folge ihnen.

Ab etwa 13 Uhr bewegen sich dann viele Grüppchen Richtung Matzleinsdorfer Platz, knapp zwei Kilometer entfernt. In der Gassergasse, parallel zum Gürtel, kommt es zu einer eher halbherzigen Sperre durch die Polizei, viele gehen völlig unbehelligt durch. „Wir müssen nur an ihnen vorbei, und weiter geht’s“, schreit einer. Nicht alle trauen sich, einige bleiben doch lieber hinter den aufrückenden Polizisten zurück.

Im Kessel beim Matzleinsdorfer Platz.

TW: Die Leute vom Presseservice waren bereit, mich mitzunehmen, aber „für deine Sicherheit können wir nicht garantieren.“ Sie passen dann aber doch auf mich auf. Wir sind fünf: Lisa, Viola, Paul, Bernd und ich. Die anderen heißen nicht wirklich so. Ich hebe den Altersschnitt. Die Mitglieder rechter Gruppen – Identitäre, Hooligans, Neonazis –, die den Demonstrationszug anführen, erkennen immer wieder Mitglieder unserer Gruppe. „He, Lisa! Mach doch mal ein schönes Foto!“ Wir wissen, wer du bist, soll das heißen. Oft genug werden die Sprüche sexistisch: „Fotze!“, „Na, Hübsche!“, oder „Komm her, geile Dreckssau!“

Ab Mittag sammeln sich Demonstranten in der Nähe des Hauptbahnhofs. Sie ziehen auf den Gürtel. Die Polizei will die Demonstranten lenken, die versuchen immer wieder, die Sperrketten zu durchbrechen. Wir versuchen dort zu sein, wo die radikalen Rechten sind. Wir laufen am Rand des Zuges nach vorne. Ein Teilnehmer grätscht Lisa zwischen die Beine. Die stürzt. Ein paar Schrammen, das Handy ist kaputt.

Über eine Stunde spielen die Demonstranten mit der Polizei im Fasanviertel Katz und Maus. Der Großteil der Demonstranten sind keine Neonazis. „Wir sind das Volk!“, rufen sie und scheinen es zu glauben. Aber angeführt und geleitet werde sie von rechtsradikalen Gruppen. Wie Hütehunde halten die ihre Herde zusammen. „He! Nicht weggehen! Zusammenbleiben! Sonst fischen sie euch raus.“ Sie, das sind die Polizisten, die den Demonstrationszug am Gürtel Höhe Hollgasse angehalten haben. Ein Anführer der Rechtsradikalen hat eine aggressive Leibgarde aus schwarz maskierten jungen Männern um sich. Die Identitären scharen sich um Martin Sellner. Hooligans in Kapuzenpullovern marschieren vorneweg. Und eine Gruppe Rechtsradikaler trägt Uniform: schwarze Jacken und dunkelgrüne Armbinden. Es liegt 1920er-Stimmung in der Luft, in diesen 2020er-Märztagen.

FB: Wir gehen seitlich weiter. Auch am Gürtel gibt es bald kein Weiterkommen mehr, die Polizei  schließt die Reihen von vorn und hinten. Längst rollt kein Verkehr mehr. Einige Minuten kommt man noch raus, die Menschen werden zum Heimgehen aufgefordert. Ab 15 Uhr werde die Polizei beginnen, Identitäten festzustellen.

Viele ziehen tatsächlich ab, auch die radikalere Vorhut, die anfänglich gepöbelt, sich Schreiduelle mit Polizisten geliefert und nun wohl erkannt hat, das hier nichts mehr zu holen ist. Ich habe es nur aus der Weite gesehen. Einige Dutzend Leute bleiben weiterhin im Kessel, schreien ihre Parolen „Friede, Freiheit, Demokratie“ und „Kurz muss weg“.

„Ja, es sind Identitäre da, aber die meisten sind normale Leute. Es ist das größte Problem, dass wir alle in einen Topf geworfen werden. Schauen Sie sich um, sehen die aus wie Rechtsextreme?“, fragt mich ein selbstständiger Bauunternehmer um die 50. Ich blicke mich um und muss ihm zustimmen.

Egal ob Merkel oder Kurz: “Die Regierung muss weg!”

TW: Die Schwarzjacken sprechen in Funkgeräte, geben Informationen über die Bewegungen unserer Gruppe weiter. Wie vorhergesagt werde ich von ihnen fälschlich für einen Polizisten in Zivil gehalten. Das scheint uns zunächst einen gewissen Schutz zu bieten. Die Rechtsradikalen verspotten unsere Gruppe, weil sie sich vermeintlich um einen Polizisten geschart hat, halten aber noch Abstand. Die Hooligans sind weniger zurückhaltend. Bedrohlich bauen sie sich vor uns auf. Paul verwickelt sie ins Gespräch. „Das ist doch keine Frage von rechts oder links. Hier geht es um unsere Freiheit!“, erklärt einer. „Ich rede mit ihnen, damit sie uns nicht aufs Maul hauen“, sagt Paul später.

An der Polizeisperre herrscht zunächst Ratlosigkeit unter den Demonstranten. Schließlich formieren sich an der Spitze rechte Gruppen. Sie haken sich unter. Dann stürmen sie los, versuchen, die Polizisten zu überwältigen. Die Beamten drängen sie zurück. Dann löst die Polizei die Demonstration auf. Sie stellt ein Ultimatum: Wer den Kessel verlassen will, kann das bis 15:00 ungehindert tun. Martin Sellner und seine Identitären trauen der Sache nicht, sie verschwinden im Hauseingang eines Gemeindebaus. Wir gehen zur Rückseite – dort gibt es in der Gassergasse einen Hinterausgang. Bis die Polizei von der Sache Wind bekommt, sind die Identitären schon lange weg.

FB: Viele sind „angefressen“; manche erzählen von Cafés, die man ihnen zugesperrt hat, überforderten Kindern im Home Office, unnötigen Grenzschließungen nach Deutschland, die dann gar nicht kontrolliert würden.

Am meisten stört sie aber, dass „die Politik“ – gemeint ist die Regierung – den Leuten unnötige und unwirksame Maßnahmen aufzwinge. „Schauen Sie nach Schweden. Die hatten keine Lockdowns, trotzdem kaum mehr Erkrankungen als wir. Dafür ist die Wirtschaft jetzt nicht kaputt und das Leben geht normal weiter“, sagt mir ein Demonstrant.

Ein anderer, der erwähnte Bauunternehmer aus „tiefschwarzer Familie“, habe immer ÖVP gewählt. Seit der grünen Regierungsbeteiligung will er aber nichts mehr von Kurz wissen. Anschober würde immer restriktiver vorgehen. Vor drei Jahren habe man noch Herbert Kickls Äußerung kritisiert, das Recht müsse der Politik folgen. Heute passiere das andauernd. Überhaupt gehe es nur noch um Inszenierung des Kanzlers und des Innenministers, nicht aber um Politik. Der Demonstrant fühlt sich „von keiner Partei vertreten“.

„Ob ich da steh oder daheim stehe, es ist scho wurscht. Kruzifix, der Kurz muss weg“, sagt ein junger Mann, eingewickelt in eine Österreichfahne. Auch er wolle seine Freiheit wieder zurück. Ich höre es öfter. Eine Niederösterreicherin sagt mir, die Menschen würden nicht gehört. Es brauche Eigenverantwortung statt Zwang. Man dürfe sich nicht alles gefallen lassen.

Hier geht es nicht weiter. Die Doppelreihe Polizei und eine Sperre aus Einsatzfahrzeugen dahinter hält den Angriffen der rechtsradikalen Kader stand.

TW: Während der große Kessel am Gürtel langsam kleiner wird, formieren sich weitere kleine Demonstrationen in der Stadt. Wir beobachten eine Gruppe Hooligans auf der Mariahilfer Straße und werden erkannt. „Jetzt wird’s gefährlich. Gehen wir lieber dort rüber“. Wir wechseln die Straßenseite. Doch ein großer junger Mann in weißer Kaputzenjacke kommt zu uns herüber. Paul versucht seine bewährte Taktik. „He, wir kennen uns doch, oder?“ Zur Antwort holt der Hooligan aus und schlägt Paul mit voller Wucht ins Gesicht. Andere aus unserer Gruppe gehen dazwischen, drängen den Angreifer ab. Paul zieht sich die Maske vom Gesicht, spuckt Blut. Ihm ist schwindlig. „Das ist normal“, erklärt Lisa. Niemand kommt auf die Idee, Anzeige zu erstatten. Die Angreifer würden dann erfahren, wo man wohnt. Wir gehen weiter; immer den rechtsradikalen Schlägertrupps nach.

FB: Die Stimmung im Kessel ist entspannt, es läuft Musik; von der „Blume aus dem Gemeindebau“ über „Hell’s Bells“ bis „Macarena“. Rot-weiß-rote Fahnen allerorten, „Kurz muss weg“-Anstecker, viele haben Dosenbier in der Hand.

Einige Jugendliche sitzen vor dem Polzeikordon, jemand anderer ist mit dem Lastenrad da, ein Mann grölt betrunken „Kurz muss weg“, einige filmen, die meisten stehen und schauen. Das Klischee von bunt gemischt, jung und alt – hier stimmt es.

Drei Frauen aus Kärnten sind in weißen Quarantäne-Anzügen gekommen. „Ich bin vor allem wegen meiner Kinder hier. Ich will, dass sie in Freiheit aufwachsen. Sie sollen nicht zum Testen und Impfen gezwungen werden“, sagt eine von ihnen. Sie sei bis jetzt zu allen Demos gegangen und ärgert sich über die „Systempresse“: „Wenn man die Berichte sieht, fragt man sich, ob die auf derselben Demo waren wie man selbst“, sagt sie. Es sei bei den Demos friedlich zugegangen.

Link zum Presseservice Wien

Update: Ob Martin Rutter auf Fotos, die ich machte, zu sehen ist, bleibt nach merhmaliger Durchsicht der Bilder unklar. 21. März um 11:12. (tw)

Bilder: ZackZack

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