Samstag, Juli 27, 2024

Nehammers Paradox

Kickl und die FPÖ seien arg und extremistisch, sagt jetzt auch die ÖVP. Warum löst sie dann nicht die Koalitionen in Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg auf?

Eine Gefahr für das Land sei dieser Herbert Kickl, ein „Sicherheitsrisiko“, Putins Vasall in Österreich, ein Hasschürer und Aufgansler, der nur das Schlechteste aus den Menschen herausholt. Er und seine Parteioberen, alles Fake-News-Schleuderer, die mit ihren Lügen das Gegeneinander schüren, weil sie von der Polarisierung leben. All das hörte man am Freitag vom ÖVP-Chef, und schon bei der langatmigen Phrasendrescher-Show vor Karl Nehammers Rede in der Welser Messehalle überboten sich seine Helferleins in ihren Warnungen vor dem Hassprediger Kickl und seiner Bande.

Ist ja schön, dass ihnen das jetzt auch aufgeht, wie entzückend, dass sie plötzlich ihr Antifaschisten-Herz entdecken. Demnächst wird Herr Wöginger noch einen Aufnäher von der „Antifaschistischen Aktion“ tragen, wenn das so weiter geht.

Koalition mit den Hassschürern

Fragt sich bloß, warum die ÖVP mit einer solchen Partei des Grauens koaliert. In Niederösterreich, wo die ärgsten Extremisten den Ton angeben, die Waldhäusls und Landbauers. In Salzburg, wo die Spitzenleute schon mal gerne mit den Identitären demonstrieren. In Oberösterreich, wo man immer noch den Naziverbrecher und SS-Brigadeführer Anton Reinthaller verehrt, den ersten Parteichef der FPÖ, der vordem sogar Unterstaatssekretär in Hitlers Berliner Nazi-Regierung (!) war.

Warum koaliert die ÖVP mit einer Partei, in der sich Hassprediger, Rechtsextremisten, Identitäre, Faschisten, Narren und Nazis tummeln, und zwar von ganz oben bis ins letzte Parteiglied?  

Irgendwo gibt es da einen Knick in der Logik.

Weshalb auch der ehemalige ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nüchtern kommentierte: Am Ende werden sie nach den Wahlen dennoch mit der FPÖ koalieren, wenn sie sich etwas davon versprechen. Also: Wenn sie an den Futtertrögen bleiben dürfen.

Widersprüche bei FPÖ

Apropos Bruch in der Logik. Die FPÖ ist ja auch gerne dafür, dass „Recht Recht bleiben muss“ und die Justiz gegen Kriminelle vorgeht. Sie ist auch sehr dafür, dass wir unsere Gesetze hochhalten, wie etwa den Staatsvertrag und das mit diesem verbundene Neutralitätsgesetz.

Allerdings proklamiert der Staatsvertrag auch, dass in Österreich alle „Organisationen faschistischen Charakters aufzulösen“ seien, und ich glaube, da ist die FPÖ eher nicht so dafür, dass wir uns da an die Gesetze halten. Gänzlich unabhängig davon, ob man das für ein gutes oder ein schlechtes Gesetz hält, ist es doch ziemlich erstaunlich, dass wir rechtliche Normen haben, an die sich seit Jahren niemand hält. Zumindest die Jugendorganisation der FPÖ wäre da ja ein Fixstarter für rechtsfreundliche Beamtshandlung durch die zuständigen Behörden.

Aber man soll ja, weil die Wirklichkeit ambivalent ist, immer auch das Positive sehen. Das Gute ist jetzt: So langsam sind die Normalisierung, Verniedlichung und Relativierung der FPÖ nicht mehr zu halten. Die Verharmlosungsvokabel vom „Rechtspopulismus“ und „Protestpartei“ und wie die Schwadroniererphrasen alle heißen, verkleistern nicht mehr alle Hirne. Die atemberaubende Selbstradikalisierung der FPÖ in den letzten Jahren ist offensichtlich und für jeden klar. Während die AfD-Chefin Alice Weidel ihren Mitarbeiter, der beim großen „Vertreibungs“-Planen mit dabei war, rausgeschmissen hat, wird der Potsdamer Arschgeigen-Gipfel von der FPÖ noch als Zusammenkunft von „Patrioten“ gefeiert.

Wer auch nur erwägt, mit einer solchen Partei zu koalieren, dem ist nicht mehr zu helfen. Und der wird sich vor der Geschichte verantworten müssen.

Klares Bekenntnis

Und wer sie wählt, der kann sich auch nicht mehr herausreden, dass er einfach „unzufrieden“ oder zu Protest aufgelegt, oder nicht ausreichend über den wahren Charakter dieser Partei informiert ist.

Wer wissentlich eine rechtsextreme Partei wählt, ist ein Rechtsextremist. Punkt. Aus. Keine Ausreden mehr. Wähler und Wählerinnen sind volljährig, und keine Opfer oder entmündigte Depperln, die nicht wissen können, was sie tun.   

Die Fakten sind klar, es liegt alles zweifelsfrei auf dem Tisch, schrieb der „Süddeutsche“-Autor Nils Minkmar dieser Tage auf die AfD gemünzt, aber es gilt auch für die FPÖ: „Das Bild ist eindeutig und stellt alle Wählerinnen und Wähler vor eine klare moralische Entscheidung. Niemand kann sich mehr herausreden und sagen, man habe nur gegen die da oben protestieren wollen, als man die extreme Rechte gewählt hat.“

Die harten Extremisten sollen sie also gerne wählen. Aber die Mitläufer und Protestwähler müssen sich die Frage stellen, ob sie sich als Mittäter wirklich Verantwortung aufladen wollen.

Und wer meint, es werde schon nicht so schlimm kommen, wenn Kickl Kanzler würde: ich bevorzuge, es nicht auszuprobieren. Die Friedhöfe der Erschlagenen sind bekanntlich voller Leute, die wahrscheinlich auch zu ihrer Zeit meinten, es werde schon nicht so schlimm kommen.

Die Gesellschaft wacht auf. Nach den Demonstrationen in Deutschland (vorvergangenes Wochenende waren es 1,5 Millionen Teilnehmer, vergangenes auch mindestens eine Million), kamen in Wien am Freitag 80.000 auf die Straße. Auch in Salzburg und Innsbruck gab es Manifestationen von einigen Tausend Leuten, demnächst folgen Graz und Linz.

Österreichs ÖVP-Journalismus weiß aber natürlich längst, dass das Demonstrieren für Demokratie und Pluralismus nichts bringt. „Mit Lichtermeeren sind die vom Zuspruch Berauschten nicht zu bekämpfen, das weiß man aus der Empirie. Indem man die FPÖ zu Rechtsradikalen erklärt, denunziert man ihre Wähler und festigt ihre Solidarisierung“, wurde uns in der „Kleinen Zeitung“ erklärt.

Den Beleg, welche Empirie das weiß, blieb uns „Kleine Zeitung“-Chefredakteur und Meinungshaber Hubert Patterer schuldig. Aber wahrscheinlich hat er einfach das empirische Bauchgefühl, dass das Verharmlosen und Hochschreiben voll gut gegen den Rechtsextremismus hilft. War ja schon bisher eine glänzende Erfolgsstory.

Demonstrationen wirken

Österreichs ÖVP-Journalismus braucht zwar keine Empirie, aber falls doch jemand ein wenig an Fakten interessiert ist, ein paar gibt es nämlich:

Etwa aus Italien, wo Forscher und Forscherinnen anti-rechte Bewegungen in mehreren Regionen untersucht haben und anhand der Regionalwahlen 2020 die Effekte analysierten. Fazit: In Städten und Gemeinden, in denen es große Mobilisierungen gegeben hat, gab es eine „Reduktion der Stimmen für die radikale Rechte“ von vier bis zu acht Prozent – verglichen mit Städten, in denen es solche Proteste nicht gab. Ähnliche Evidenz brachten Studien über die französische Präsidentschaftswahl 2002 zutage und Forschungen aus Griechenland. Es sind eine Reihe von Faktoren, die dabei zusammenwirken, so die verschiedenen Untersuchungen. Einerseits gibt es eine „Signalwirkung“, dass rechtsextreme Stimmabgabe sozial in der Gemeinde stigmatisiert ist (was schwankende Mitläufer der Ultrarechten verunsichert), andererseits etablieren die Proteste „Informationsnetzwerke“, außerdem heben sie die Wahlbeteiligung bei den Gegnern der Rechtsradikalen. Und langfristig werden neue Generationen an Pro-Demokratie-Aktivisten „politisiert“, was später langjährige Effekte hat.

Persönlich denke ich ja, dass auch diese Empirie nicht völlig tragfähig ist, denn wenn solche Effekte in einzelnen Untersuchungen nachgewiesen werden können, dann heißt das nicht zwangsläufig, dass diese Effekte stets, unter allen Umständen immer auftreten. Mal können Pro-Demokratie-Bewegungen den Zuspruch für Rechtsextremisten vermindern, mal können sie auch einfach die Polarisierung verstärken. Die Verunsicherung und Demobilisierung der Mitläufer der Ultrarechten ist sicherlich ein häufiger Effekt, aber Wirklichkeitssinn und Hausverstand legen nahe, dass das natürlich nicht immer der Fall sein muss.

Mobilisierungen geben den Demokraten Kraft und Energie, sie vertreiben Lethargie und Resignation, sie geben Schwung, aber der Kampf gegen den Rechtsextremismus muss auf den letzten Marktplatz, ins kleinste Dorf, an jeden Familientisch, in Kneipen und Tankstellen getragen werden.

Bevölkerung gegen völkischen Wahn

Wer sein Land liebt, der vergiftet es nicht mit Hass und Demokratiefeindlichkeit. Was immer das bunte Völkchen aus anständigen Konservativen, aus Christdemokraten der Mitte, aus modernen Mittelschichten, liberalen Städterinnen, aus Gewerkschaftern, geerdeten Sozialdemokraten, jungen Studenten und Studentinnen, Autochthonen und Einheimischen und vielen mehr – also diese vielgesichtige, inhomogene Mehrheit, die man gemeinhin „die Bevölkerung“ nennt – voneinander trennen mag, die allermeisten vereint eines: die Ablehnung des völkischen Wahns und der Zerstörungswut von Fanatikern.

Ach, und wenn bisweilen aus FPÖ-Kreisen zu hören ist, Zuwanderer müssen sich „an unsere Werte anpassen“, muss hier auch einmal unmissverständlich gesagt werden:

Es gibt keine „unseren Werte“, die die völkischen Fanatiker und die bunte, breite Mitte unserer Gesellschaft eint.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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