Internationale Pressestimmen über Österreichs Rolle in der EU-Impfstoffdebatte
Kurz hat „Freunde verloren“, sein „Mangel an Solidarität wird nicht so schnell vergessen“. Ein Überblick über internationale Pressestimmen zur europäischen Impfdiskussion.
Wien/Brüssel, 2. April 2021| Die EU erhält 100 Millionen Impfdosen Biontech/Pfizer, zusätzlich zu den 500 Mio. bereits bestellten. Zehn Millionen davon können noch bis Ende Juni geliefert werden, um ihre Verteilung wurde und wird heftig gerungen. In den Verhandlungen mit EU-Mitgliedsländern schlug vor allem Österreich hohe diplomatische Wellen.
Sebastian Kurz habe laut Eigendarstellung zusätzliche Impfdosen für Österreich „herausverhandelt“. Tatsächlich war es seine Regierung, die Hunderttausende Impfdosen, die für Österreich laut EU-Verteilungsschlüssel reserviert waren, nicht abgerufen hat.
Mit seiner Erpressung von dieser Woche, die gesamte Zusatzlieferung zu blockieren, hat er viel diplomatisches Porzellan zerschlagen. Financial Times, Politico, ZEIT, FAZ und andere internationale Medien haben darüber berichtet – hier ein Überblick.
Financial Times
Mit dieser Entscheidung werden „keine zusätzlichen Impfdosen“ an das von Kurz angeführte Trio – Österreich, Tschechien, Slowenien – gehen, schreibt die Financial Times (1.4.). Zuvor hatte Österreich „Vorschläge für eine Neuverteilung blockiert, um selbst einen höheren Anteil zu erhalten“, so die Zeitung.
Kanzler Kurz sei „unverblümter Kritiker“ der Impfstoffverteilung der EU, die ja einem präzisen Verteilungsschlüssel nach der Einwohnerzahl folgt. Kurz habe ein „gerechteres System“ verlangt und „andere Länder beschuldigt, geheime Deals mit den Pharmagiganten zu machen“, so die FT.
Deutschland habe indes darauf verwiesen, dass Österreich „über dem EU-Schnitt“ liege, was die europäische Impfstoffverteilung betrifft. Wien habe „den Streit, das Wohwollen und Freunde verloren“, zitiert die Zeitung einen EU-Diplomaten und weiter: „Dieser Vorfall und der unverhohlene Mangel an Solidarität wird nicht so schnell vergessen werden.“
Politico
Von einem „Versagen auf mehreren Fronten“ schreibt Politico (1.4.). Kanzler Kurz sei es nicht gelungen, auch nur eine zusätzliche Impfdosis zu erhalten. Vielmehr habe er „bedürftige Länder betrogen“, die sein Anliegen ursprünglich unterstützt hatten. Und er habe „seine Bestrebungen, ein Anführer der Mitte-Rechts-Parteien zu werden, untergraben.“
Mit all dem habe der Kanzler seinen Einfluss und seine Glaubwürdigkeit „schwer beschädigt“, zitiert die Zeitung einen langjährigen Diplomaten. Für viele Länder sei Kurz nun eine „persona non grata“, sagte ein anderer Diplomat zu Politico.
Kurz‘ Idee einer „Solidarität á la carte“ habe sich als unerträglich herausgestellt, wird ein weiterer Diplomat zitiert: „Er hat eine Kampagne für mehr Solidarität gestartet und diese wieder beendet, indem er anderen Ländern die Solidarität verweigerte.“
Die Zeit
Österreich ging „bei der Solidaritätsaktion leer aus und bekam nur seinen normalen Anteil“, schreibt DIE ZEIT (2.4.). Kanzler Kurz habe sich zwar zufrieden gezeigt, im zweiten Quartal 199.000 Dosen aus der zusätzlichen Lieferung zu erhalten. „Allerdings hatte Kurz zu Beginn des Verteilungsstreits auf etwa 400.000 Dosen gehofft“, so die ZEIT.
“Kanzler Kurz hat sich unsolidarisch verhalten und Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland und die Slowakei im Stich gelassen”, zitiert die Zeitung einen EU-Diplomaten: “Für Österreich ist schwerer europäischer Flurschaden entstanden.”
Handelsblatt
„Kurz scheitert mit Blockadepolitik“, überschreibt das „Handelsblatt“ (1.4.) seinen Bericht. Kurz habe „Solidarität gefordert, nun ist es ausgerechnet Österreich, das sich einer solidarischen Verteilung von Impfstoffen verweigert.“
„Unter innenpolitischem Druck hatte Kanzler Kurz nach Schuldigen an der Situation gesucht, dass in Österreich bald weniger Impfstoffe ankommen als in anderen Ländern“, so das Handelsblatt weiter, denn Wien habe „angebotene Impfstoffe abgelehnt.“
Und weiter: „Ein Beamter des Gesundheitsministeriums musste deswegen seinen Posten räumen. Er hatte eine Nachricht aus dem Finanzministerium so verstanden, dass er nicht mehr als 200 Millionen Euro für Impfstoffe ausgeben darf.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Kurz hat sich unter den EU-Partnern unbeliebt gemacht – und seine Drohung ist leer“, sagte ein EU-Vertreter laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (31.3.). Die Nachforderung sei damit begründet gewesen, dass Österreich und andere Länder weniger Impfstoff als andere bekommen hätten.
„Das liegt indes an ihrem eigenen Bestellverhalten“, schreibt die FAZ weiter, da mögliche Bestellmengen nicht ausgeschöpft worden seien. Eine Einigung des Videogipfels am Donnerstag sei letztlich an Österreich, Tschechien und Slowenien gescheitert, so die Zeitung.
(fb)
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