Trotz schlechter Ausgangslage startet in knapp drei Wochen der Vollbetrieb in den Schulen. Besorgte Eltern fordern wissenschaftliches Vorgehen sowie bessere Corona-Tests, konsequentere Kontaktregelungen und Luftreinigungsgeräte.
Florian Bayer
Wien, 28. April 2021 | Ab 17. Mai sollen die Schulen nicht länger im Schichtbetrieb, sondern wieder im Vollbetrieb laufen, und zwar ungeachtet der derzeit hohen Corona-Inzidenzen bei den Jungen. Dagegen protestiert die „Initiative sichere Bildung“ in einem offenen Brief an die Bundesregierung, der von 65 Personen, darunter Ärzte, Lehrerinnen und Wissenschaftler, erstunterzeichnet wurde. Die dazugehörige Online-Petition wurde seit gestern von mehr als 1.200 Menschen unterschrieben.
„Trotz aller gewonnenen Erkenntnisse zeigen sich die neun Landesregierungen und die Bundesregierung nach wie vor unfähig, eine Strategie umzusetzen, die die Pandemie wirksam und langfristig eindämmt und den Bedürfnissen von Kindern und Familien gerecht wird“, heißt es im Brief. Und weiter: „Normalbetrieb mit einer Notbremse, die nicht rechtzeitig greift, ist unverantwortlich.“
Die Unterzeichner fordern eine wissenschaftlich basierte Vorgehensweise – die fehlt offenbar bei den für Mai geplanten Öffnungsschritten. Sie verweisen auf ein aktuelles Papier der „COVID-19 Future Operations Plattform“. Wissenschaftler, etwa der Mikrobiologe Andreas Bergthaler und Komplexitätsforscher Niki Popper, plädieren darin auch für einen „PCR-Schirm“, konsequente Quarantänebestimmungen und ein systematisches Schulmonitoring, um sicheren Präsenzunterricht zu ermöglichen.
Kritik an “kontrollierter Durchseuchung”
Zwar hat Bildungsminister Faßmann (ÖVP) zuletzt vage eine „Notbremse“ bei einer Gesamtinzidenz von 400 angekündigt (am 27.4. lag sie österreichweit bei 170,2). Diese „Notbremse“ beruhe aber auf „keinerlei wissenschaftlicher Evidenz“ und sei „vielmehr Garant für die Durchseuchung der Kinder“, heißt es im Brief.
Eine Rückkehr zum Normalbetrieb treibe nicht nur die Infektionsdynamik bei Kindern „noch weiter nach oben“, sondern gefährde auch „das Leben ihrer noch ungeimpften Eltern.“ „Dass die Infektionen steigen, wenn wir öffnen, das wird absolut stattfinden. Aber es wird sich vor allem um Infektionen bei Kindern handeln“, sagte Kanzler Kurz bei der Verkündigung der Öffnung.
Starke Anstiege bei Kindern und Jugendlichen gibt es freilich jetzt schon, wie die Daten der AGES zeigen. Gestern (27. April) lag die Inzidenz bei fünf- bis 14-Jährigen in Wien bei 151, in Oberösterreich bei 288, in Tirol bei 317 Fällen pro 100.000 Einwohner im 7-Tages-Schnitt. Auch bei den 15-24-Jährigen waren die Werte kaum besser, in Vorarlberg liegt die Inzidenz in dieser Gruppe gar bei 402. Tendenz meist steigend. Auch Lehrervertreter kritisieren die geplante Öffnung und die damit einhergehende „kontrollierte Durchseuchung“.
Zu den Forderungen der Initiative zählen überdies dreimalig wöchentliche PCR-Gurgeltests und Lollitests für alle Klassen, für die der Mikrobiologe Michael Wagner schon seit langem plädiert. Derzeit laufen zwar derartige Pilotprojekte in einzelnen Wiener Schulen, bei den meisten kommen aber nach wie vor die vergleichsweise unsensiblen „Nasenbohrertests“ zum Einsatz. Laut Faßmann müsse man vor einem Ausrollen von PCR-Tests erst die „Praktikabilität testen“, da die Logistik im ländlichen Bereich „schwierig“ sei.
Luftreinigung und bessere Kontaktregelungen
Laut den Verfassern des Briefs sollen überdies mobile Luftreinigungsgeräte sowie CO2-Messgeräte, die ans Lüften erinnern, für eine geringere Aerosolbelastung sorgen. Auch eine Maskentragepflicht für alle Schüler – derzeit sind Volksschüler ausgenommen – sowie „konsequentere Kontaktregelungen“ bei positiven Fällen fordert die Initiative. Diesbezüglich gab es immer wieder Probleme, da vielfach trotz positiver Klassenkolleginnen weitere Schritte ausblieben.
Unter den Unterzeichnerinnen des Briefs sind die Mikrobiologin Sigrid Neuhauser (Universität Innsbruck), die ehemalige Ski-Rennläuferin Nicola Werdenigg sowie zahlreiche Ärztinnen und Ärzte. Das Schreiben ging nicht nur an die Bundes- und Landesregierungen, sondern auch an die Bildungsdirektionen, Lehrergewerkschaften und Elternvereine. Eine Antwort seitens der zuständigen Stellen steht noch aus.
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