Merkels Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) steht im Zuge der Betrugsaffäre um Corona-Testzentren unter Druck. SPD und Linke sehen die Verantwortung beim Minister, der sich selbst hinter die Ermittler stellt. Es gab erste Razzien.
Berlin, 29. Mai 2021 | Der Verdacht auf Abrechnungsbetrug bei Corona-Schnelltests in Deutschland schlägt immer höhere Wellen. Auch für den anstehenden Schicksals-Wahlkampf nach 16 Jahren Angela Merkel (CDU) birgt die Affäre gewisse Brisanz.
Erste Razzien
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Bochum nahm jetzt Ermittlungen auf. Das bestätigte am Samstag ein Sprecher der Behörde der Deutschen Presse Agentur (dpa) in Düsseldorf. Ermittelt werde gegen zwei Verantwortliche eines Bochumer Unternehmens, das an mehreren Standorten Teststellen betreibe. Anlass der Ermittlungen waren demnach Recherchen von WDR, NDR und “Süddeutscher Zeitung” (SZ).
Wie die Staatsanwaltschaft in Bochum bestätigte, wurden im Ruhrgebiet bereits Geschäftsräume und Privatwohnungen durchsucht. Dabei seien auch Unterlagen beschlagnahmt worden. Den Namen des verdächtigen Unternehmens wollte die Behörde nicht nennen.
“Managementversagen im Gesundheitsministerium”
Angesichts der möglichen Betrugsfälle nahm auch die politische Debatte an Fahrt auf. Die SPD attackierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, sagte der dpa am Samstag: “Nach den Masken jetzt die Schnelltests. Das Managementversagen im Gesundheitsministerium hat inakzeptable Ausmaße angenommen.” Spahn habe Warnungen und Hinweise von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen für die Testbedingungen ignoriert. “Er trägt die Verantwortung für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler und muss die Selbstbedienung unverzüglich beenden.”
Auch Linken-Politiker Fabio De Masi, der unter anderem im Wirecard-U-Ausschuss sitzt, äußerte sich scharf in Richtung Spahn. Auch der Minister solle sich schämen, ließ De Masi per Twitter wissen. Spahn hatte auf Twitter betont, dass “jeder, der die Pandemie nutzt, um sich kriminell zu bereichern”, sich schämen solle.
Auch @jensspahn sollte sich schämen! https://t.co/7ZDK3bPGm6
— Fabio De Masi 🦩 (@FabioDeMasi) May 29, 2021
Seit März sieht die Corona-Testverordnung der deutschen Bundesregierung Bürgertests vor. Im April hatten die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) erstmals die Kosten beim Bundesamt für Soziale Sicherung abgerechnet. Die Teststellen erhalten 18 Euro pro Test. In den Monaten April und Mai wurden insgesamt 660 Millionen Euro überwiesen.
System lädt zum Betrug ein
Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR lädt das System zum Abrechnungsbetrug ein, da eine Kontrolle fehle. Stichproben hätten etwa an einer Teststelle in Köln ergeben, dass statt 70 wirklich genommener Proben fast 1.000 abgerechnet worden seien. Ähnliches hätten Stichproben unter anderem in Essen und in Münster (beides NRW) zutage gefördert. Der Bericht verweist auf mangelnde Kontrollmöglichkeiten seitens der Behörden.
Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei erklärte am Samstag: “Es ist ein gutes Signal, dass die Staatsanwaltschaft Bochum wegen des Betrugsverdachts an Corona-Teststellen Ermittlungen aufgenommen hat. Denn wenn solcher Abrechnungsbetrug tatsächlich vorläge, wären es am Ende die Steuerzahler, die geprellt würden. Es ist deshalb richtig, dass die Strafverfolgung hier genau hinsieht und konsequent verfolgt.” Ein Sprecher des rot geführten Bundesjustizministeriums sagte am Samstag auf Anfrage: “Es bedarf genauer Kontrollen der Abrechnungen durch Corona-Teststellen, wenn es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gibt. Bei Betrugsverdacht bedarf es konsequenter strafrechtlicher Ermittlungen.” Gewerbsmäßiger Betrug könne nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, sagte der dpa: “Kriminelle Energie kann man wohl nirgends ausschließen. Allerdings sind bei mir bislang noch keine belastbaren Zahlen aufgetaucht.” Da die Zentren die Unterlagen aufbewahren müssten, gehe sie davon aus, dass die Länder zumindest stichprobenartig die Anzahl der abgerechneten Fälle und die bei den Kassenärztlichen Vereinigungen eingegangenen Abrechnungsunterlagen überprüfen. “Sollten sich daraus Unregelmäßigkeiten ergeben, muss natürlich konkreten Fällen nachgegangen werden.”
(red/apa)
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