Samstag, Juli 27, 2024

Experte: Pandemie ist nicht vorbei

Experte:

Die Deltavariante des Coronavirus lässt sich durch die Impfung nicht aufhalten, doch es besteht Hoffnung auf milde Verläufe. Eines ist für Experten aber klar: Die Pandemie ist nicht überstanden.

 

Wien, 08. Juli 2021 | „Die Pandemie ist für alle vorbei, die geimpft sind.“ Das sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz vergangenen Mittwoch im Pressefoyer nach dem Ministerrat. Experten, darunter Umweltmediziner Hans-Peter Hutter von der Universität Wien, widersprechen. Hutter hält es für gefährlich, den Menschen zu vermitteln, dass alles wieder normal sei. Wir hätten die Pandemie noch „nicht überstanden.“

In Israel und dem Vereinigten Königreich, wo die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist, schneidet die sogenannte Delta-Variante durch den Impfschutz. Im UK stieg die Inzidenz, also die Zahl der wöchentlich Erkrankten pro hunderttausend Einwohner, wieder auf 220. In Österreich liegt sie noch unter acht. Doch dort werde sie nicht bleiben, sagt Hutter: „Wenn Sie mich fragen, ob die Zahlen wieder steigen werden, ist das, als würden Sie mich im Frühling bei 15 Grad fragen: Wird es im Sommer noch heißer?“ Die Frage sei nur, wann und wie steil die Kurve steigen würde.

Delta: Impfung schützt, aber nicht vor Ausbreitung

Zumindest bleibt die Hoffnung auf vergleichsweise milde Verläufe. Im UK steigen trotz rasender Ausbreitung der Delta-Variante weder Sterblichkeit noch Spitalseinweisungen stark an. Die vollständige Impfung sei derzeit ein Garant dafür, dass die Corona-Erkrankung „in einem gewissen Rahmen“ bleibe, sagt Hutter. Sie sei aber kein vollständiger Schutz gegen Ansteckungen. Die Delta-Variante sei schlicht „fitter“, setze sich auch gegen die Impfung durch.

Im UK sind schon über 95 Prozent der Fälle auf die neue Deltavariante zurückzuführen. In Österreich sind es um zwei Drittel. Genaue Daten gibt es allerding nur aus Wien – es ist das einzige Bundesland, das flächendeckende PCR-Tests durchführt. Nur diese lassen eine Bestimmung der Virusvariante zu. Das sei ein Grund, warum die Stadt auf PCR-Tests setze, erklärt ein Sprecher von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. Man wolle wissen, welche Mutationen das Geschehen bestimmten. 88 Prozent aller PCR-Tests in Österreich werden derzeit in der Bundeshauptstadt durchgeführt.

Parlaments-Cluster erwischt Geimpfte

Im Parlament bildete sich vergangene Woche im Rahmen des Ibiza-Untersuchungsausschusses ein Corona-Cluster mit bisher neun Infizierten. Medienberichte von einem Cluster mit über 300 Personen sind stark übertrieben – hier liegt eine Verwechslung mit der Gesamtzahl der Kontaktpersonen vor. Auffällig: Fast alle Infizierten waren geimpft. Für Hutter bestätigt dieser Vorfall: Lokale Cluster werde es trotz Impfung weiter geben. Es gehe nun darum, dafür zu sorgen, dass sie auch lokal begrenzt blieben. Dazu müsse jetzt, wo es noch niedrige Zahlen gibt, die Kontaktnachverfolgung fit gemacht werden. Wenn die Zahlen wieder stiegen, sei es dafür zu spät.

Einige der Infizierten hatten negative Antigentests, aber positive PCR-Tests. Sind Antigentests, wie es sie in Teststraßen und Apotheken gibt, durch die Delta-Variante nutzlos geworden? Nein, sagt Mediziner Hutter. PCR sei der „Goldstandard“, aber die Antigentests hätten auch Vorteile, etwa die schnelle Auswertung. Für bestimmte Settings stellten sie „eine sinnvolle Ergänzung“ dar.

Zwischen Wien und dem Bund entbrannte in den vergangenen Wochen ein heftiger Streit um die Corona-Maßnahmen. Die Bundesregierung möchte weitgehende Lockerungen, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig mahnt zur Vorsicht. Wien versucht, auch in der Ferienzeit so viele Kinder wie möglich zu testen. Long Covid sei auch für Kinder ein Problem, und: Ließe man eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus unter den Jüngsten zu, gäbe zu viele Kontaktpunkte in die restliche Bevölkerung, heißt es aus dem Büro des Gesundheitsstadtrats.

Lockdowns: ein „Auslaufmodell“

Hans-Peter Hutter begrüßt Tests für Kinder. Er befürchtet, dass man ohne diese Tests „Warnsignale übersehen“ könne. Hutter wünscht sich auch, dass die Menschen vorsichtig bleiben, in geschlossenen Räumen Maske tragen. Es ginge darum, die Welle, die sicher käme, so flach wie möglich zu halten und nicht Geimpfte zu schützen. Das sind in Österreich immerhin rund 40 Prozent. Darunter gibt es solche, die sich nicht impfen lassen wollen, und solche, die noch keine Gelegenheit hatten. Gäbe es mehr Geimpfte, müsste man nicht ganz so vorsichtig sein, sagt Hutter.

So aber gelte es, achtsam zu sein, auch, um einen erneuten Lockdown zu vermeiden. Das hält Hutter für möglich. Lockdowns seien als Waffe gegen die Pandemie „ein Auslaufmodell“. Man könne flächendeckende Ansteckungen auch vermeiden, ohne alles zuzusperren. Dazu müsse man „klug vorgehen.“

Anstatt der Bevölkerung wie im letzten Sommer vorzugaukeln, dass alles überstanden sei, solle man sich auf die nächste Welle vorbereiten, sagt Hutter: „Wir dürfen nicht denselben Fehler machen wie letztes Jahr.“

(tw)

Titelbild: APA Picturedesk

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