Nehammer:
“Dort, wo die Europäische Menschenrechtskonvention Grenzen setzt, muss es Alternativen geben.” Innenminister Karl Nehammer rüttelt an der Menschenrechtskonvention. Als der Kanzler im Untersuchungsausschuss saß, waren der ÖVP die Menschenrechte noch heilig.
Wien, 19. August 2021 | „Das Recht muss Politik folgen, nicht Politik dem Recht.“ Für das Infragestellen der Menschenrechte stand der ehemalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) im Jahr 2019 gehörig in der Kritik. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte damals an die Einhaltung der Menschenrechtskonvention: „An ihr zu rütteln, wäre eine Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik.“ Auch ÖVP-Minister gingen damals auf Distanz zu Kickl. Justizminister Josef Moser und Bildungsminister Heinz Faßmann kritisierten Kickl für seine Aussage.
Nehammer stellt Menschenrechte in Frage
Zwei Jahre später wandelt allerdings nun Karl Nehammer (ÖVP) auf den Spuren seines FPÖ-Vorgängers. Die Formulierung ist zwar eine andere, die Bedeutung dahinter jedoch verblüffend ähnlich. Rund um die trotz Taliban-Herrschaft vom Innenminister geplanten Abschiebungen nach Afghanistan, stellte Nehammer die Menschenrechtskonvention in Frage. „Wenn Abschiebungen aufgrund der Grenzen, die uns die Europäische Menschenrechtskonvention setzt, nicht mehr möglich sind, müssen Alternativen angedacht werden“: sagte Nehammer in seiner Pressekonferenz am Mittwoch. Dass Nehammer die Menschenrechte als Hürde für sein Handeln sieht, sorgte für Entrüstung. Schließlich ist die europäische Menschenrechtskonvention in Österreich mit Verfassungsrang ausgestattet. Nehammer ist auf die österreichische Verfassung angelobt.
BMI @karlnehammer sagt: „Dort, wo die Europäische Menschenrechtskonvention Grenzen setzt, muss es Alternativen geben“
Wer so was sagt, stellt die Menschenrechte in Frage und zeigt dass er weder Rechtsstaatlichkeit noch Verfassung respektiert. pic.twitter.com/BfR3VQYmlm
— Andreas Schieder (@SCHIEDER) August 19, 2021
Kritik kam sogar vom grünen Koalitionspartner: Innen- und Asylsprecher Georg Bürstmayr schrieb dem Innenminister auf Twitter: „Und was ich bei allem Respekt auch öffentlich ablehne: auch nur den *Eindruck* zuzulassen, Österreich setzte sich über Art3 EMRK hinweg, indem weiter Abschiebungen nach Afghanistan in den Raum gestellt werden, noch am Sonntag(!). Art3 EMRK schützt die Würde des Menschen, den Grundbaustein u das Fundament unserer Rechtsordnung. Ohne ihn ist alles, was wir haben, nichts. Und er gilt ausnahmslos und absolut – das sehen wir doch beide so?“
Menschenrechte wichtig, wenn Kanzler im U-Ausschuss sitzt
Weitaus ernster nahm die ÖVP die Menschenrechte, als der Bundeskanzler im Untersuchungsausschuss saß. Damals sprangen die ÖVP-Abgeordneten Sebastian Kurz zur Seite als sich dieser aufgrund einer kurz zuvor bekanntgewordenen anonymen Anzeige entschlug. ÖVP-Mandatar Klaus Führlinger, der den Bundeskanzler bei seiner Verzögerungstaktik im Ausschuss damals unterstützte, meinte damals zu den Menschenrechten:
„Die Debatten um Entschlagungsrechte sind die intensivsten in diesem Untersuchungsausschuss gewesen, meine Damen und Herren, aber das ändert nichts daran, dass die Menschenrechtskonvention über all unseren Regeln, auch über unserer Verfahrensordnung steht.“
In der EU dürfte Nehammer damit das Ansehen Österreichs nicht verbessert haben. Scharfe Kritik am Festhalten der Abschiebungen kommt etwa von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Der richtete Nehammer nach der EU-Ministerkonferenz aus: „Das ist schrecklich. Es ist zum Verzweifeln. Solche populistischen Sätze schüren nur Angst.” Das sei keine gemeinsame europäische Politik, sondern “nur innenpolitisch motiviert”.
(bf)
Titelbild: APA Picturedesk