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Historischer KPÖ-Erdrutschsieg in Graz – »Kernöl-Marxismus«

»Kernöl-Marxismus«

Historischer Wahltag in Graz: In der zweitgrößten Stadt Österreichs überholt die KPÖ die ÖVP und wird stimmenstärkste Partei. Elke Kahr dürfte Bürgermeisterin werden. Nagl gab bereits seinen Rücktritt bekannt.

Graz, 27. September 2021 | Fulminanter Erdrutschsieg für die KPÖ in Graz. Mit 29 Prozent holte Spitzenkandidatin Elke Kahr das mit Abstand beste Ergebnis der Kommunisten in der Geschichte, und steht damit am vorläufigen politischen Höhepunkt.

Politik für Menschen

Seit 1998, damals als Klubobfrau, erlebt und prägt Kahr den Aufstieg der KPÖ in Graz in der ersten Reihe. 1998 kam man in die Stadtregierung, man übernahm das Wohnungsressort. „Die Gegner hofften, dass wir uns da totlaufen und die Zähne ausbeißen. Aber wir haben aus dem Wohnungsamt etwas Herzeigbares gemacht. Es hilft den Mietern und den Stadtbewohnern“, so Kahr im Interview zu ZackZack nach dem letzten steirischen KPÖ Wahlerfolg im Jahr 2019.

Der Mieternotruf, der schon seit 30 Jahre betreut wird, wurde in Graz zu einer Institution und ist eng mit dem Namen Kahr vebunden. Sie gilt als vertrauenswürdige, integre Politikerin: „Glaubwürdigkeit kann man wählen“, war ihr Wahlkampfslogan. Das bisher beste KP Graz-Wahlergebnis von Ernest Kaltenegger 2003 mit 20,8 Prozent wurde nun massiv überflügelt. Nach der Wahlkartenauszählung könnte die KP sogar bei über 29 Prozent landen.

Steirischer Weg

Elke Kahr zeigte sich im „ORF“ beinahe überwältigt. Das Ergebnis sei „mehr als überraschend“. Es sei aber nicht das Ergebnis der letzten Wochen und Monate, sondern der ganzen letzten Jahrzehnte, denn man „muss für die Menschen da sein“. Wird sie jetzt Bürgermeisterin? „Wenn es so ist, dann muss niemand Sorge haben. Wir werden mit genauso Verantwortungsbewusstsein und Umsichtigkeit Gespräche mit allen Parteien führen.“

Elke Kahr scheint eine Ausnahme im politischen Zirkus von Österreich. Ins mediale Rampenlicht drängt sie sich nicht. So soll sie heute ein Radio Interview bei der „Antenne Steiermark“ um 8 Uh morgens abgelehnt haben. Begründung: Sie habe ab 8 Uhr Parteienverkehr. Ihr Job sei „Politik für die Menschen“. Es dürfte Experten zufolge genau jene sozial greifbare Politik sein, mit der die KPÖ zur stärksten Kraft in Graz werden konnte.

Aber ist das kommunistisch, was die Grazer KP macht? Kahr ZackZack-Interview: Der Marxismus sei die „Weltanschauung“ ihrer Partei. „Aber es hilft nichts, wenn wir die Menschen auf eine bessere Welt vertrösten. Wir müssen tagtäglich zeigen, dass wir eine nützliche Partei sind.“ Der steirische „Kernöl-Marxismus“ dürfte die Nützlichkeit der Partei beweisen.

Schock bei ÖVP

Das hat die SPÖ in Graz immer weiter marginalisiert, sie kann mit der bürgernahen KP nicht mehr mithalten. Erreichte man 2008 noch immerhin 19 Prozent, ist man mittlerweile einstellig – bei 9,6 Prozent. Historisch ist es das schlechteste Ergebnis.

Die Grünen, als zweiter Wahlsieger, die sich vor allem von der ÖVP stimmen holen konnten, nähern sich bereits bei der KPÖ an. Während man sich in Oberösterreich wohl eher der Stelzer-ÖVP anbiedern wird, wirbt Werner Kogler (Grüne) in Graz um die KPÖ. Im TV inszenierte er seine Partei als großen Wahlsieger und formulierte ein laut „Kurier“ ein „attraktives Angebot“ an die Kommunisten. Nun tagen erst einmal die Gremien, am Montagabend liegt das endgültige Wahlergebnisse vor.

Vor allem das rechte Lager lässt mit dem KP-Wahlsieg die Masken fallen. Kanzler Sebastian Kurz übte sich in antikommunistischer Propaganda. Ein Wahlsieg von Kommunisten „sollte bedenklich“ stimmen. Mario Eustacchio (FPÖ) drohte den Grazer Bürgern beinahe. Sie würden das Wahlergebnis „noch bereuen“. Den demokratischen Wahlprozess verschmähte der FPÖ-Chef nach seiner Niederlage: „Der Wähler hat immer recht, aber ich bin mir da nicht mehr ganz sicher.” Mit minus fünf Prozentpunkten verlor Eustacchio fast ein Drittel seiner Wähler.

Der langjährige Grazer ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl verlor 12 Prozentpunkte, liegt jetzt bei 25 Prozent. Er hat seinen Rücktritt bereits bekanntgegeben. Zuvor hatte die ÖVP noch fleißig Steuergeld verballert. Die ÖVP hatte sich vehement gegen eine Wahlkampfkostenobergrenze von 400.000 Euro gewehrt. Einem Fairnessabkommen war Nagl nicht beigetreten. Der Nagl-Wahlkampf soll der ÖVP rund eine Million Euro gekostet haben, die Niederlage war dennoch verheerend.

(ot)

Titelbild: APA Picturedesk

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