Brisante Chats zeigen, wie Marsalek Einfluss auf einen möglichen Deal der Kurz-Regierung nahm. So koordinierten er und Ex-Spionagechef W. ein Cyberkrisentreffen der Republik mit einer Firma aus dem Wirecard-Umfeld. Recherche mit „Der Spiegel“ und „Der Standard“:
Wien, 19. November 2021 | ZackZack, „Der Spiegel“ und „Der Standard“ liegen heikle Marsalek-Chats vor. Demnach versuchte der flüchtige Wirecard-Manager einen Coup einzufädeln: das Unternehmen eines Bekannten sollte im Außenministerium (BMEIA) die Cybersicherheit übernehmen. Dabei halfen ihm Ex-Spionagechef Martin W. und der ÖVP-nahe Ex-Diplomat Johannes Peterlik.
Bisher bekannt war, dass das Ministerium auf den Cyberkonzern von ÖVP-Großspender Alexander Schütz setzt. Wem wollte die Kurz-Regierung noch die Sicherung sensibler Strukturen anvertrauen?
Das Ersuchen des Generalsekretärs
Es ist Ende 2019, das BMEIA und Österreichs Botschaften werden von einer Cyberattacke heimgesucht. Die Tochterfirma von Schütz‘ Konzern Cyan kann die Attacke aber nicht verhindern. Hilfe sucht sich das Schallenberg-Ministerium bei einer anderen Münchner Firma: Virtual Solution.
BMEIA-Generalsekretär Johannes Peterlik versucht zunächst über Ex-BVT-Spionagechef Martin W. eine Verbindung zu den Münchnern herzustellen. Das funktioniert: W. schaltet Marsalek als Zwischenhändler ein und schreibt ihm: „Information – (noch Generalsekretär) Dr. Peterlik an Nico’s Team.“ Nico, das ist Nicolaus von Rintelen, der Hauptgesellschafter von Virtual Solution. Martin W. fährt fort: „Dr. Peterlik hat mich, eigentlich uns, gerade informiert und ersucht uns diese Information an den Nico und sein Team weiterzugeben.“ Marsalek leitet die Nachrichten von W. schließlich über einen Umweg an von Rintelen weiter. „Unaufgefordert“, wie letzterer auf Nachfrage beteuert. Im BMEIA wird er trotzdem aufschlagen.
Launsky-Tieffenthal bestreitet, an einem solchen Termin dabei gewesen zu sein. Grafik: ZackZack/GP, Fotos APA/Wiki Commons/Pixabay.
Es geht um eine explosive Angelegenheit, von der die Öffentlichkeit erst später in Kenntnis gesetzt wird: „Seit einigen Tagen laufen massive ‚Cyberangriffe‘ auf die Republik AT und ihre Ministerienserver. Dr. Peterlik hat als noch Generalsekretär in einem Krisentelefonat (aus Bangkok) das Team von Nicao (sic!) als ‚Experten und Spezialisten‘ vorgeschlagen zur Mitaufklärung und Verhinderung weiter (sic!) Angriffe empfohlen“, schreibt Österreichs ehemaliger Chefspion W. Die Attacke ist umfassend, Dienstcomputer sind zunächst offline. Nicht einmal Botschafter wissen, was hinter den Kulissen passiert, schildert uns einer, der dabei war.
Marsalek und Ex-Spion als Geschäftsvermittler
W. will, dass es möglichst zügig vorangeht. Die Spitze des Schallenberg-Ministeriums ist eingeweiht: „Dr. Peterlik wird diese Information bzgl Nico’s Team als spezielle Experten seiner Gruppe, am Montag, den 6.1.* (Termin mit Außenminister Schallenberg und desig. GS Launsky-Tieffenthal) an seinen Nachgfolger (sic!) Dr. Peter Launsky-Tieffenthal weitergeben.“ Mit Ex-Spion W. solle sich von Rintelen „unbedingt abstimmen“. Ein Geschäft sei nie zustandegekommen, Treffen zwischen Republik-Vertretern und von Rintelens Virtual Solution werden aber bestätigt. Aus den Unterhaltungen ergibt sich ein klares Bild: Peterlik ist Ausgangspunkt der Anbahnung, W. und Marsalek treten als Vermittler auf. Peterliks Anwalt ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Alexander Schallenberg (ÖVP), mittlerweile Bundeskanzler, lässt über eine Sprecherin ausrichten: „Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass ein regelmäßiger Austausch mit Unternehmen im Bereich Datensicherheit üblich ist. Das Bundeskanzleramt kann die von Ihnen in den Raum gestellten Gespräche nicht bestätigen und verweist diesbezüglich auf das Außenministerium.“ Also Schallenbergs damaliges Ressort. Dort ist Peter Launsky-Tieffenthal aktuell die Nummer 2. „Das BMEIA steht und stand nie in einem Geschäftsverhältnis zu der von Ihnen genannten Firma“, so eine Sprecherin. Launsky-Tieffenthal habe entgegen der Chats nicht an den Treffen teilgenommen. Der „Cybervorfall“ könne aufgrund der zeitlichen Abfolge nicht Gegenstand der Gespräche gewesen sein. Folgt man den Chat-Nachrichten, beginnt die erste Anbahnung allerdings schon im November – zwei Monate vor Bekanntmachung des Angriffs.
Immer wieder Moskau
Brisant sind die digitalen Spuren auch aufgrund von Rintelens heißem Draht nach Moskau. Ausgerechnet, denn die Quelle der Cyberattacke wurde – entgegen Kreml-Dementi – genau dort vermutet. So schreibt von Rintelen: „Das klingt geil. Übrigens eine der wichtigsten russischen Firmen: Novatek wird SecurePIM verwenden. Sag das mal dem Stas.“ „Stas“ ist Stanislav, ein Ex-Mitarbeiter aus dem Stab von Wladimir Putin. Er organisierte Marsaleks dubiose Syrienreise. „Stas“ soll einen seiner zwei Pässe von jener Behörde bekommen haben, die auch die Dokumente der mutmaßlichen Skripal-Attentäter ausgestellt hat.
In Marsaleks Investoren-Villa soll „Stas“ auch zugegen gewesen sein. Die Villa liegt gegenüber dem russischen Generalkonsulat in der noblen Münchener Prinzregentenstraße. Rund um die zwei Gebäude ranken sich seit jeher Mythen, die Zeitung “Welt” hat dazu neue Erkenntnisse. „Ich kenne keinen Stas“, sagt von Rintelen. Fabio de Masi, kürzlich noch für die Linken im Wirecard-U-Ausschuss des Deutschen Bundestages, zweifelt an dieser Erzählung. Von Rintelen habe Marsalek „nach meinem Verständnis in genau dieser Münchner Villa getroffen“. Das habe von Rintelen ihm gesagt. De Masi sei jederzeit bereit, „eine eidesstattliche Versicherung darüber abzulegen“. Der Investor, der in einer Stellungnahme Treffen zugibt, beteuert, mit Wirecard nicht ins Geschäft gekommen zu sein.
Der Zufälle nicht genug, erwähnt von Rintelen in der Chat-Nachricht auch Novatek, den zweitgrößten Gaskonzern Russlands. Wie aber kommt der Investor auf Novatek? Von Rintelen hat dafür eine eigenwillige Erklärung: „Ich wollte meine Ruhe haben und habe die Novatek-Aussage getätigt“. Vor seinem Engagement bei Virtual Solution war er bei Novatek angestellt. Der Kreml-freundliche Konzern-Boss Leonid Michelson sei gar sein „Mentor“ gewesen, habe aber bei von Rintelens Virtual Solution-Einstieg „in keinster Weise“ eine Rolle gespielt. Sein Novatek-Aktienpaket habe er zwischen 2011 und 2013 veräußert, das sei aber nicht relevant: „Ich verfüge über keine russischen Aktien mehr“, so von Rintelen. Die Vergangenheit beim Gaskonzern ist nicht der einzige Bezug zu Moskau: Mutter Clotilde von Rintelen ist eigenen Angaben zufolge Nachfahrin von Zar Alexander II. und Dichterlegende Puschkin. Eine Website, die über einen Ableger des Opernballs in Moskau schreibt, bezeichnet Sohn Nicolaus als „Deutschen mit russischer Seele“.
„Liest Marsalek beim nächsten U-Ausschuss mit?“
Wussten Peterlik & Co. über diese Russland-Bezüge Bescheid? Der Ex-Generalsekretär muss zumindest über die einschlägigen Umtriebe von Marsalek im Bilde gewesen sein, ist er doch selbst in eine wilde Causa verwickelt. So steht der Diplomat im Verdacht, die Formel des Nervengifts Nowitschok über W. an Marsalek verraten zu haben. Die mutmaßlichen Skripal-Attentäter sollen mit Ex-Putin-Mitarbeiter „Stas“ in Verbindung stehen.
Dass von Rintelens Firma Virtual Solution die Kommunikation deutscher Regierungsmitglieder absichert, wundert Fabio de Masi: „Ich finde es bedenklich, dass die Bundesregierung eine Firma mit der Sicherheit ihrer Kommunikation beauftragt, deren Eigentümer das Geld für die Firma von einem russischen Oligarchen hat, und offenbar Geschäfte mit Marsalek und dessen mutmaßlichen Fluchthelfer in Österreich einfädelte. Herr von R. sagte mir auch, man führe ein Pilotprojekt mit Bundestagsabgeordneten durch. Liest dann Marsalek beim nächsten U-Ausschuss mit? Ich habe Bundeskanzlerin Merkel und den zukünftigen Bundeskanzler Olaf Scholz darauf im U-Ausschuss angesprochen. Daraufhin meldete sich Scholz‘ Staatssekretär Wolfgang Schmidt bei mir. Ich hatte aber das Gefühl er wollte nur wissen, was ich weiß.“
Zufällig zur gleichen Zeit am gleichen Ort
Bis heute ist unklar, wer hinter der monatelangen Cyberattacke steckt. Für die vermeintlichen Dealmaker aus den Chats ist zwei Jahre danach jedenfalls alles anders: Marsalek wird per internationalem Haftbefehl gesucht, während sein Fluchthelfer W. nach Dubai ausgewandert ist – wie so viele aus dem Umfeld der Finanzluftblase Wirecard.
In seiner Einvernahme sprach W. noch von einem „freundschaftlichen Verhältnis“ zu Marsalek. Von einer Rolle des gesuchten Managers im Zuge der Geschäftsanbahnung will er trotz der Chats nichts wissen. Mit Russland oder Wirecard habe seine „Vermittlertätigkeit in dieser Sache nichts zu tun“, sagt W. Er habe auch von niemandem Geld erhalten. Peterliks Diplomaten-Karriere wiederum ist nach der Nowitschok-Affäre vorbei, gegen alle drei wird aus unterschiedlichen Gründen ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Von Rintelen wehrt sich und sagt, es habe nie eine geschäftliche oder freundschaftliche Beziehung zu Marsalek bestanden. Auffällig ist freilich, dass Marsalek und von Rintelen zwei Wochen vor der Flucht des Wirecard-Managers zur gleichen Zeit in Zürich sind. Auf die Nachricht eines Marsalek-Assistenten antwortet von Rintelen mit „Ok. Sehe euch am Montag“. Vor Ort möchte er außerdem „am Nachmittag mit Sabine ins Dolder Spa“. Sabine ist Marsaleks Assistentin. Zufall? Nur „ein Witz, den ich außerordentlich bedaure“, wie von Rintelen meint. „Ich war natürlich nicht im Dolder Spa und ärgere mich über den lockeren Umgangston“. Zu einem möglichen Zürich-Termin mit Marsalek sagt er: „Falls es nach 2019 noch Treffen gegeben haben soll, dann weil die Herren versuchten, mich als Investor zu gewinnen – vergeblich“.
(wb)
Titelbild: ZackZack/OW; APA Picturedesk/Wiki Commons.