Das ist ein Unterüberschrift
Im Auftrag der Stadt Wien verschickte die Anwaltskanzlei des früheren SPÖ-Abgeordneten Jarolim Klagsdrohungen an Unterstützer von Baustellenbesetzungen. Woher hat die Kanzlei deren Adressen?
Wien, 15. Dezember 2021 | In den vergangenen Tagen flatterte bei rund 50 Gegnern der geplanten Stadtstraße in Wien Donaustadt Post von der Anwaltskanzlei des ehemaligen SPÖ-Justizsprechers Hannes Jarolim ins Haus. Die Stadt Wien fordert darin Unterstützer der aktuellen Baustellenbesetzung auf, das Gelände zu räumen bzw. die öffentliche Unterstützung einzustellen.
Gegenüber einer möglichen Räumung sei der Brief das „gelindeste Mittel“, findet die Stadt. In dem Brief werden den Aktivisten allerdings rechtliche Folgen angedroht, nämlich die solidarische Haftung für allenfalls entstandene „immens hohe Schäden“. Eine konkrete Summe wird nicht genannt, bei Verzögerungen eines Großbauvorhabens geht es aber schnell einmal um Millionen.
Netzfunde
Für Verwunderung sorgte die offenbar willkürliche Auswahl von Empfängern der Briefe. Wer hat warum Post erhalten? Auf ZackZack-Nachfrage heißt es aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Ulli Sima, man habe sich angeschaut, wer im Netz als Unterstützer der Besetzung auftrete. Mitarbeiter der Stadt haben also soziale Netzwerke nach Namen und bekannten Gesichtern durchsucht. So kam es, dass neben eigentlichen Teilnehmern der Besetzung auch Personen Klagsdrohungen erhielten, die sich lediglich für die Besetzung stark machten. Betroffen ist auch eine minderjährige Aktivistin. „Das tut uns leid“, sagt eine Sprecherin Simas.
Neben einem Mitarbeiter des Magazins „Südwind“ (adressiert an den Verlag) erhielten auch zwei Forscher der Wiener TU den Brief der Stadt. Beide, Barbara Laa und Ulrich Leth, sind Universitätsassistenten am Institut für Verkehrswissenschaften. Ein Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft?
Das sieht man im Büro von Ulli Sima anders. Laa und Leth habe man in ihrer Funktion als offizielle Sprecher des Vereins „Fairkehrswende Wien“ bzw seiner Inititative „Platz für Wien“ angeschrieben. Dass die beiden Forscher auch als politische Aktivisten auftreten, ist unbestritten. Dennoch glaubt Barbara Laa nicht, dass man die Klagsdrohung der Stadt auf diese Tätigkeit beschränken könne. Denn die Initiative habe auch an deren offizielle Adresse Post von Jarolim bekommen.
Den an Laa persönlich adressierten Brief erhielt die Mutter der Forscherin. „Offenbar arbeitet die Kanzlei mit einer veralteten Adressdatenbank“, vermutet Laa. An der Adresse sei sie schon seit einigen Jahren nicht mehr gemeldet. Adressen kann man legal von spezialisierten Händlern kaufen und auch verwenden, sofern man sich dabei an das Telekommunikationsgesetz und die DSGVO hält. Auch die österreichische Post verkauft Adressen an interessierte Kunden.
Ist Laa wegen der Klagsdrohung besorgt? „Persönlich hege ich keine Befürchtungen,“ sagt sie. Dass der Anwaltsbrief aber an ihre Mutter gegangen sei, habe allerdings dafür gesorgt, dass sie diese erst einmal beruhigen musste.
„Wollen, dass sie gehen“
Hat nun die Stadt tatsächlich vor, die Empfänger ihres Briefs zu klagen? Nicht unmittelbar, heißt es aus dem Büro der Stadträtin. „Wir wollen, dass sie gehen!“, und zwar, ohne Maßnahmen wie eine Räumung oder Klagen treffen zu müssen. Die Stadt habe ihr Gesprächsangebot an die Aktivisten erneuert. Die lehnen nach mehreren Treffen mit Planungsdirektor Thomas Madreiter bisher weitere Gespräche ab – wohl, weil sich die Stadt von ihrem Bauvorhaben nicht abbringen lässt.
Druck auf einen baldigen Baubeginn machen dem Vernehmen nach unter anderem die beteiligten Bauunternehmen. „Natürlich, die beauftragten Firmen wollen arbeiten“, heißt es dazu aus dem Büro von Ulli Sima. Die Stadt habe sich nun über drei Monate geduldet. Letzte Woche wurde die Versammlung auf der Baustelle von der Polizei offiziell aufgelöst.
Mit der geplanten 3,2 Kilometer langen Straße, die teils unterirdisch verläfut, will die Stadt Neubaugebiete links der Donau erschließen. Sie soll die Südosttangente im Norden mit der Seestadt Aspern an der U”-Endstation im Süden verbinden. Laut Stadt sei das nötig, um die stark befahrenen Straßen in den Ortskernen der Donaustadt zu entlasten. Die Besetzer sind überzeugt, dass der Bau der Straße zusätzlichen Verkehr erzeugen werde.
(tw)
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