Putins Freunde in St. Pölten und Wien
Wirecard, BVT, Ibiza: In den großen Affären gibt es starken Russland-Bezug. Die ÖVP muss sich die Frage stellen, wie sehr sie eine fremde Macht im eigenen Land gewähren lässt – und ob das mit Blick auf die Rückkehr der NÖ-Garden anders werden soll. Analyse:
Benjamin Weiser
28. Dezember 2021 | Mit Gerhard Karner ist der einstige Sprecher von Ernst Strasser in die Herrengasse 7 zurückgekehrt. Der aktuelle Innenminister und dessen Ziehvater gelten als Gründungsarchitekten des Inlandsgeheimdienstes BVT. Das ist zwanzig Jahre her. Jetzt heißt der Dienst DSN und wird von einem ÖVP-nahen Niederösterreicher geführt. Relevant ist das, weil die Putin-Route offenkundig über St. Pölten nach Wien führt.
Staatsfeind statt politische Verantwortung
Im Zuge der Affären Ibiza, Wirecard und BVT wurden Abgründe deutlich, zahlreiche Kreml-Connections flogen auf. Vor allem die Kanzlerpartei ÖVP muss sich die Frage gefallen lassen, wie sehr sie eine fremde Macht im eigenen Land gewähren lässt. Österreich gilt bei befreundeten Ländern nicht mehr als vertrauensvoller Partner. Unzählige Ermittlungsakten, Mails und Chats, die ZackZack vorliegen, legen sorglosen Umgang mit Kreml-treuen Playern nahe. Mit wenigen Ausnahmen hat die ÖVP jahrelang die Sicherheitspolitik Österreichs bestimmt und nach Ansicht vieler Kritiker einen Scherbenhaufen hinterlassen.
Regierungsnahe Medien und Ermittler des Bundeskriminalamts versuchen jetzt, dieses strukturelle Problem zu personalisieren. Gemeinsam machen sie Ex-BVT-Mann Egisto Ott zum Staatsfeind Nummer 1. Der kernige Ex-Gendarm soll ein wildes Eigenleben geführt haben, am Dienstweg vorbei. Otts intensive Beschäftigung mit Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wird ihm als Spionage im Auftrag desselben ausgelegt. Marsalek und Ott sollten beispielsweise dem in Wien lebenden Sohn des russischen Generalkonsuls von München unter die Arme greifen, wie ZackZack mit der Zeitung „Die Welt“ recherchierte. Diese Kontakte bringen Ott den Vorwurf ein, sensible Informationen an Russland weitergegeben zu haben. Beweise konnten die Ermittler bislang keine vorlegen. Der frühere BVT-Mann selbst sieht sich als Opfer einer Intrige, wie er gegenüber ZackZack in einem Interview betont.
Bemerkenswert ist die Erzählung des schwarzen Schafes Ott auch, weil Moskau in weiten Teilen der Wiener Politik hoch im Kurs steht. Die türkis-blaue Regierung tat sich hier eher unrühmlich hervor – man denke nur an das Tanzpaar Kneissl-Putin oder Kurz‘ Flug im Oligarchenjet. Traditionell haben ÖVP, SPÖ und FPÖ einen guten Draht zu Moskau. An sich ist das nicht verwerflich. Enge österreichisch-russische Beziehungen sind von vitalem Interesse – solange sie dem europäischen Geist verpflichtet sind.
Der lange Schatten des Ernst Strasser
Im Zentrum der Achse steht die niederösterreichische ÖVP. Bis zu seinem politischen Absturz im Jahre 2011 fungierte Ex-Innenminister Strasser als Präsident der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft (ÖRFG), einer Lobbyisten-Drehscheibe beider Länder. DIE ÖRFG ist es auch, die den Wirecard-Manager Jan Marsalek Ende Mai 2017 in die österreichische Botschaft nach Moskau einlädt. Dort trifft der später meistgesuchte Österreicher der Welt auf einen anderen Ex-Innenminister: Wolfgang Sobotka.
Sobotka und Marsalek in Moskau, Foto ZackZack.
Strassers Russland-Connections sind nicht zu übersehen. Zusammen mit Svetlana Derbicheva (Professorin an der Uni des Moskauer Innenministeriums) und dem langjährigen ÖRFG-Funktionär Florian Stermann war der Ex-ÖVP-Politiker eine Zeit lang an der EXPERT Managementberatung Russia GmbH beteiligt. Das Beraterbüro am Schwarzenbergplatz, dem Ort des Ehrendenkmals gefallener Soldaten der Roten Armee, liegt strategisch günstig. Russische Konzerne haben hier Europafilialen, die Handelsvertretung der Russischen Föderation ist nur ein paar Gehminuten entfernt.
Das Russische Kulturinstitut ist gleich ums Eck, Strassers Kabinettsmitarbeiter Christoph Ulmer und Thomas Zach haben eine Firma in der Nähe. Ulmer, Zach und Stermann teilen nicht nur ihre Bekanntschaft zu Strasser: im Zuge der Wirecard-Affäre rückten die Unternehmer in den Fokus parlamentarischer Aufklärung im Nationalrat und im Deutschen Bundestag. Ulmer und Zach wehren sich gegen Kritik, die seit der Wirecard-Affäre aufpoppt. Grund dafür ist deren Social Media-Feindbeobachtung für Wirecard. Die beiden kannten Marsalek, luden ihn zu Mittagessen nach Wien ein. Damals hätten sich alle um Aufträge für den Zahlungskonzern gerissen, so die Verteidigung von Ulmer und Zach. Mit Wolfgang Gattringer taucht in der Affäre ein weiterer „Strasser-Alumni“ als Wirecard-Berater auf.
Praktischerweise teilen sich Ulmer, Zach und Gattringer denselben Anwalt: Gerald Ganzger. Dessen Kanzleipartner Gabriel Lansky machte sich für Mykola Azarov, Putin-naher Ex-Premier der Ukraine, stark, um diesen von EU-Sanktionen zu befreien. Mit Erfolg. Das freute wiederum einen Ex-Strasser-Sobotka-Mitarbeiter: Bernhard Krumpel.
Screenshot Twitter.
Bis zu den Ermittlungen in der Casinos-Affäre war er Sprecher des niederösterreichischen Glücksspielriesen Novomatic. Krumpel, ein betont freundlicher Zeitgenosse, gilt vielen als „Mastermind“. Mittlerweile ist der umtriebige Kommunikator zurück am polit-medialen Parkett – und zwar als Kolumnist einer ÖVP-nahen Onlineplattform. Für Russlands Botschafter in Wien, Dmitrij Ljubinskij, ist das offenbar so interessant, dass er Krumpel kürzlich ein Interview gab.
Eine weitere Strasser-Gefährtin, Klaudia Wallner, hat inzwischen geheiratet und heißt jetzt Klaudia Tanner. Sie ist seit 2019 Verteidigungsministerin und verantwortlich für die beiden militärischen Nachrichtendiensten HNA und HAA. Und Karner, einst wie Ulmer, Zach, Gattringer, Tanner und Krumpel im Dienste Strassers unterwegs, soll jetzt also wieder für die Sicherheit der Republik sorgen.
Moskauer Opernball-Liebhaber
Fest steht: Schwarz-Blau I wirkt nach. Strassers Kanzler Wolfgang Schüssel darf sich zweifellos einen Putin-Vertrauten nennen, Aufsichtsratsposten in russischen Konzernen runden dieses Bild ab. Schüssels Liebe zu Moskau ist unverkennbar: Schon in den ersten Jahren seiner in der EU isolierten Regierung initiierte er einen Ableger des Wiener Opernballs in Moskau. Einer russischen Journalistin zufolge soll an jenem Abend auch der Zaren-Nachfahre Nicolaus von Rintelen zugegen gewesen sein. Der deutsche Investor, einst für den russischen Gaskonzern Nowatek tätig, ist derzeit Hauptgesellschafter der Münchner IT-Sicherheitsfirma Virtual Solution. Wie ZackZack, „Spiegel“ und „Standard“ aufdeckten, hätte von Rintelens Firma einen Cyberangriff aufs Wiener Außenministerium (BMEIA) aufklären sollen, dessen Ursprung ausgerechnet in Moskau vermutet wird – was der Kreml bestreitet.
Von Rintelen stand mit Ex-BVT-Mann W., dem ÖVP-nahen Ex-Diplomaten Johannes Peterlik und Jan Marsalek in Kontakt. Eine direkte Verbindung des Unternehmers zu Ex-Kanzler Schüssel ist nicht bekannt, letzterer lernte Marsalek aber ganz von selbst kennen. So speiste Schüssel an einem Abend im April 2017 mit Marsalek, Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy (Republikaner) und etwa Bundesheerbrigadier Gustav Gustenau im noblen Münchner Restaurant „Käfer“. Es ging um die Sicherheitspolitik Österreichs und um dubiose Pläne in Libyen, die offiziell unter „Wiederaufbau“ firmierten. Allen Beteiligten hätte laut Insidern klar sein müssen, dass Russland vor Ort Sicherheitsinteressen verfolgt, die den europäischen entgegenstehen könnten.
Putin jedenfalls kann sich auf Schüssel verlassen. Als die EU drei Jahre vor dem illustren Treffen in München erstmals Sanktionen gegen Russland verhängt, bezeichnet Schüssel die Maßnahmen als „Zeichen von Schwäche“. ÖVP-Kollege Michael Spindelegger, damals Finanzminister, reklamiert in Brüssel ein Schlupfloch in das Sanktionsregime gegen Moskau hinein. Seitdem können russische Banken über den Umweg Wien an den Sanktionen vorbeiagieren. Unmittelbar im Anschluss an seine Politkarriere findet sich Spindelegger plötzlich an der Seite des Kreml-nahen Oligarchen Dmytro Firtasch in der „Agentur zur Modernisierung der Ukraine“ wieder. Firtasch wiederum bezahlt Ex-Pröll-Sprecher Daniel Kapp für gute PR. Von der Villa des ÖVP-Finanziers Alexander Schütz aus bekämpft der Oligarch erfolgreich seine Auslieferung in die USA.
Nehammers Brüssel-Schelte
Während die alten ÖVP-Herren Strasser und Schüssel nicht mehr im Amt sind, hat die niederösterreichische Volkspartei einen alten Bekannten im Innenministerium geparkt. Wie Karner sich zu Sicherheitsfragen im geopolitischen Kontext verhalten wird, bleibt abzuwarten. Sein neuer Kanzler ist bereits forsch unterwegs und richtet schrille Töne in Richtung Brüssel. Die Pipeline „Nordstream 2“, die Gas von Russland nach Europa liefern wird, solle laut Karl Nehammer bald in Betrieb genommen werden. Er, Nehammer, halte nichts davon, „die Inbetriebnahme „mit dem russischen Verhalten in der Ukraine zu verknüpfen“.
Die EU sieht das freilich anders (Österreich gehört ihr immer noch an). Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich skeptisch, was eine Genehmigung der Pipeline betrifft. Kommissionschefin Von der Leyen hatte zuvor schon einen Rückschritt in den Beziehungen zu Moskau beklagt. Wien tut so, als könne es mit dem autokratisch geführten Rohstoffexportland wirtschaftliche Beziehungen frei von jeder politischen Erwägung unterhalten. Das ist nicht neu. Nun aber könnte die ÖVP-Regierungsumbildung dem Kreml noch mehr in die Karten spielen als bisher. Für eine nachhaltige und friedliche Lösung der Ukraine-Krise dürfte Wien als Vermittler erst einmal ausfallen.
Update 9 Uhr, 28.12. “Münchner” vor “Restaurant Käfer” eingefügt
Titelbild: APA Picturedesk