BMI-Chats 1:
Organisierte Justiz: Chats zeigen, wie ÖVP-Leute die Kontrolle über die WKStA an sich rissen – die Staatsanwaltschaft als Spielball der Macht.
Wien, 19. Jänner 2022 | Justizminister Wolfgang Brandstetter muss eine wichtige Personalentscheidung treffen: Die Leitung der Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA) wird 2014 neu besetzt. Sie kontrolliert alle politisch heiklen Korruptionsverfahren der WKStA und weiß im Vorhinein, wenn Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen geplant sind. In der OStA wird vorentschieden, wer vor den Richter muss und wer nicht. Alles, was die Ermittler der WKStA tun, müssen sie an die OStA berichten.
Es ist Gefahr im Verzug: Denn mit Maria-Luise Nittel (der Leiterin der Staatsanwaltschaft Wien) und Ilse Vrabl-Sanda (der Leiterin der WKStA) haben sich zwei Top-Juristinnen beworben, die für die ÖVP nicht steuerbar sind: Eine ausweglose Situation, heißt es in einem Chat mit ÖVP-Justizminister Brandstetter.
Wie Nittel und Vrabl-Sanda ausgebootet wurden
Brandstetter und das schwarze Netzwerk im BMI greifen ein. Sie schließen einen politischen Deal mit der ÖVP-nahen OGH-Richterin Eva Marek. Sie übernimmt die Leitung der OStA, weil Nittel und Vrabl verhindert werden mussten, wie Marek an Brandstetter schreibt. Für Marek ist das ein beruflicher und finanzieller Abstieg. Sie tut es dennoch, weil Brandstetter ihr für die Zukunft eine Spitzenposition in der Justiz verspricht.
Die Besetzungskommission kommt zu dem Schluss, dass nicht Marek, sondern WKStA-Chefin Vrabl-Sanda am besten für den Job in der OStA geeignet ist. Trotzdem bekommt Marek, die Wunschkandidatin Brandstetters, die wichtige Stelle. Als Grund gibt Brandstetter öffentlich vor, dass die Erstgereihte Vrabl-Sanda in der WKStA „unverzichtbar“ sei. Die Übernahme der OStA-Leitung durch Marek bezeichnete Brandstetter als „Qualitätsoffensive“.
Zwei Jahre später: Marek hat ihre Schuldigkeit getan. Als die Leitung der Generalprokuratur ausgeschrieben wird, erwartet sie ihre Belohnung. Noch im Juni 2016 glaubt Marek, alles sei in Ordnung. Brandstetter ist heute beim Abendessen bei uns, schreibt ihr Mann Günther an Michael Kloibmüller, den Kabinettschef im Innenministerium. Doch Justizminister Brandstetter braucht Marek jetzt nicht mehr. Er lässt sie fallen.
Im Besetzungsvorschlag der Personalkommission für die Generalprokuratur ist Marek plötzlich nur Drittgereihte – hinter Generalanwalt Franz Plöchl und Sektionschef Christian Pilnacek.
„Deine Leute sind alle versorgt“
Marek ist außer sich: Lieber Wolfgang! Danke Dir für die peinliche Vorführung in der Perskomm. DANKE für das Einhalten unserer Gespräche und dass ich Dir aus einer ausweglosen Situation helfen dürfte. SPRICH Nittel und Vrabl verhindert werden mussten. Deine Leute sind alle versorgt. Neben der unfassbaren Demütigung und dem Verlust meiner höchstgerichtlichen Laufbahn habe ich schwere Gehaltseinbußen hinzunehmen. Du hast mich am Tulbingerkogel noch zur Bewerbung aufgefordert. Hast nicht einmal den Weg zum Telefon gefunden, mich vor der Schmach zu bewahren. Herzlichen Dank, Eva.
Brandstetter antwortet: Für mich auch überraschend. Ich denke, wir sollten reden. Aber nicht am Telefon. Marek weiß nicht, dass die Spitzen des schwarzen Netzwerks ihre Demontage längst beschlossen haben.
Marek versucht es mit einer Intervention im BMI. Ihr Mann, Günther Marek, leitet dort die Gruppe I/C. Er schreibt am 11. Juni an Kloibmüller: Hallo Michael, Brandstetter hat Eva jetzt gesagt, dass Plöchl Prokurator werden soll. Der Kabinettschef gibt sich überrascht: Ich bin sprachlos. Kann nur mit hbm (Herrn Bundesminister, also Sobotka, Anm.) reden.
Kloibmüller hält Wort: Am 18. Juni 2016 erinnert er Innenminister Wolfgang Sobotka an das wichtigste Thema für ein Gespräch mit Brandstetter: 1) Eva marek 2) Aktionsplan sicheres ö 3) AG strafrechtsänderung Illegalität lg m. Doch Sobotka und Brandstetter entscheiden gegen Marek. Die fühlt sich gedemütigt.
Eva an Hanni: „Lachnummer der Justiz“
Marek sucht deshalb am 06. Oktober Hilfe bei Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner: Liebe Hanni! Bin von einer erfolgreichen Höchstrichterin in zwei Jahren zu einer weitaus schlechter verdienenden Lachnummer der Justiz avanciert. Fühle mich nicht gut. Vielleicht können wir einmal ein Gespräch ausmachen. GlG Eva
Es dauert ein paar Tage, dann wendet sich „Hanni“ an Michael Kloibmüller: Ruf mich an in Sachen Marek! Es bleibt dabei: Das schwarze Netzwerk will seinen Teil des Deals nicht einhalten.
Einmal ersucht Marek den Kabinettschef am 30. November noch um Hilfe: Hi Michi, heute Morgen vergessen: Eva lässt dich bitten, wie besprochen den t (Termin, Anm.) mit pi (Pilnacek, Anm.) im Schwarzen Kameel zu koordinieren ??. Aber nicht einmal eine Audienz beim Stammtisch von Justiz-Sektionschef Pilnacek im Wiener Innenstadt-Restaurant „Schwarzes Kameel“ nützt mehr. Eva Marek hat ihre Pflicht für die Partei getan. Jetzt sitzt sie zwischen allen Sesseln.
Bis zum Schluss ist Marek überzeugt, in Kabinettschef Kloibmüller einen Verbündeten zu haben: Lieber Michael! Vielen Dank, dass Du Dich trotz dieser Ungeheuerlichkeiten und Deinem ganz sicher wahnsinnigen Stress noch einmal für mich engagierst. Ich werde Dir das – wie es auch ausgeht – auch ganz sicher nie vergessen. LG Eva.
Was wurde aus…?
Chef der Generalprokuratur wird Plöchl. Marek bleibt auf der Stelle, die eigentlich an WKStA-Chefin Vrabl-Sanda hätte gehen sollen. Einige Jahre später kehrt die betrogene Eva Marek an den Obersten Gerichtshof zurück. Sie ist dort mittlerweile Vizepräsidentin. Ihren Platz als OStA-Chef nimmt Pilnacek-Vertrauter Hans Fuchs ein. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck ermittelt gegen ihn derzeit wegen des Verdachts auf Verrat von Amtsgeheimnissen. Für Fuchs gilt die Unschuldsvermutung.
Auf ZackZack-Anfrage sagt Eva Marek, sie wäre „über Aufforderung“ Brandstetters „auch für die Leitung der Generalprokuratur zur Verfügung gestanden.“ Luise Nittel und Ilse Vrabl-Sanda möchten zu der Causa nicht Stellung nehmen.
Die bemerkenswerteste Antwort kommt aus Niederösterreich: Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner lässt über einen Sprecher mitteilen, sie könne Anfragen zu den Chats nur beantworten, wenn wir ihr zuvor nicht nur ihre eigenen Chats, sondern „die gesamte Konversation“ übermitteln.
Ex-Kabinettschef Michael Kloibmüller gibt zu, dass sich auf dem Mobiltelefon neben Privatnachrichten auch Chats zu “dienstlichen, amtlichen Vorgängen” befinden würden. Die “Originalität und Authentizität könne er aber “nicht nachvollziehen”, sodass ihm “eine Äußerung dazu nicht möglich ist”. Für Kloibmüller lägen die – wie er sagt “angeblichen” – Vorfälle so lange zurück, sodass er dazu über keine Erinnerungen mehr verfüge.
Keine Antwort erhielten wir von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter und Sektionschef Christian Pilnacek.
(pp/tw/wb)
Update 19.01. um 09:19 Uhr: Statement Michael Kloibmüller.
Titelbild: APA Picturedesk