Umstrittenes Flüchtlingsquartier
FPÖ-Landesrat Waldhäusl und eine weitere Beamtin saßen am Mittwoch in St. Pölten auf der Anklagebank. Beide streiten den Vorwurf des Amtsmissbrauchs ab. Weitere Prozesstage folgen.
St. Pölten, 02. Februar 2022 | „Waldhäusl entlassen“, „Waldhäusl muss weg“ – der kalte Nieselregen hält eine Handvoll Demonstrierender von Asylkoordination Österreich und der Initiative ZusammenHaltNÖ nicht davon ab, ihre bunten Plakate vor dem Landesgericht St. Pölten hochzuhalten. Unter den Teilnehmenden ist auch Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der Asylkoordination. Am heutigen Mittwoch gehe es um die strafrechtliche Verantwortung. „Unabhängig davon fordern wir aber, dass er (Waldhäusl) sie endlich auch politisch übernimmt.“
Im großen Schwurgerichtssaal herrscht bereits emsiges Treiben: Kameraleute und Journalisten schwirren um den Angeklagten und seinen Anwalt herum. Die stören sich nicht an den Fotos und Aufnahmen, und besprechen die letzten Details vor dem Prozess. Der niederösterreichische Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) muss sich an diesem Mittwoch erstmals wegen Amtsmissbrauchs in der Causa rund um die Verlegung von Flüchtlingen in ein Quartier in Drasenhofen verantworten.
Oberstaatsanwalt Michael Schön beginnt mit der Anklage: Er wirft Waldhäusl vor, dass dieser im Jahr 2018 zumindest 14 minderjährige Geflüchtete in ihrem Recht auf Grundversorgung geschädigt haben und sie in einer ungeeigneten Unterkunft untergebracht haben soll. Das Quartier, um das es geht, liegt im niederösterreichischen Drasenhofen. Der Landesrat ordnete damals an, es mit Stacheldraht und einem Wachhund auszustatten. Es wurde 2018 wieder geschlossen.
“Habe auf die Fachabteilung vertraut”
FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl wirkt während der Anklage recht ruhig. Spätestens, als er sich vor der vorsitzenden Richterin Silvia Pöchacker erklären muss, wird seine Stimme immer lauter und aufgeregter. Mit der Lesebrille in der Hand, gestikuliert er ausholend, die Brille wandert stets von seiner Hand auf seine Nase und wieder zurück.
Er habe immer nur im Interesse der Sicherheit aller gehandelt und zwar von Betroffenen, Betreuerinnen und der Bevölkerung, so der Tenor seiner Aussage. Und eines wiederholt er dabei immer wieder: Zu Details könne er nichts sagen. Er sei als Landesrat nicht zuständig und nicht eingebunden gewesen. Er verweist immer wieder auf die Betreiber der Unterkunft und seine Fachabteilung.
Die Sicherheitskonzepte habe nicht er ausgearbeitet, er habe auf seine Fachabteilung vertraut, sagt er beispielsweise. Wenn das nicht rechtens gewesen wäre, dann wären die entsprechenden Verträge gar nicht zu ihm gekommen, ist er sich sicher. Er habe nicht nachgefragt und nichts hinterfragt, da keine Kritik von Experten gekommen sei.
Stacheldraht als Schutz vor Eindringlingen
Sein Verteidiger Manfred Ainedter fährt eine forsche Linie. Er zählt Verbrechen diverser Asylwerber auf – das meiste davon habe nichts mit den in diesen Fall involvierten Personen zu tun, merkt einer der Opfervertreter dazu an. Wenn man sich diese Vorfälle ansehe, fährt Ainedter unbeirrt fort, dann sei es doch nur allzu verständlich, dass Waldhäusl in Niederösterreich aktiv werden musste, um dieser Probleme Herr zu werden.
Das streicht auch Waldhäusl selbst heraus. Andere Aussagen klingen in diesem Kontext reichlich widersprüchlich: Der Stacheldraht sei ihm wichtig gewesen, betont er etwa, weil ihm der vorhandene Bauzaun zu wenig gewesen sei. Es sei ihm dabei aber nicht darum gegangen, die Jugendlichen einzusperren, sondern er habe damit für die Sicherheit der Jugendlichen im Gebäude sorgen wollen. Es habe ja auch schon bei anderen Quartieren Brandanschläge gegeben.
Von Einsperren könne keine Rede gewesen sein, denn „der Zaun war ja nur im vorderen Bereich, gar nicht rundherum“, führt er weiter aus und hält ein foliertes Foto im A3-Format hoch, dass seine Aussage unterstützen soll. Es hätte keinen Vertrag gegeben, wenn das rechtlich nicht gepasst hätte, wiederholt Waldhäusl immer wieder. Das Kindeswohl sei nicht gefährdet und das Quartier geeignet gewesen.
Eine gewisse Widersprüchlichkeit fällt nicht nur dem Oberstaatsanwalt auf, als er fragt: “Sie sagen also, sie haben sich nirgendwo eingemischt. Haben aber auch gesagt, dass sie drei Dinge wollten: Stacheldraht, den Wachhund und Securities?” Es sei ja wohl nicht ungewöhnlich, dass es für die Details Juristen und Experten gäbe, aber ein Landesrat sich auch zusätzlich Gedanken um die Sicherheit mache, antwortet Waldhäusl.
Opfervertreter verlangt 10.000 Euro für jeden Betroffenen
Der Wiener Rechtsanwalt Georg Zanger, der Waldhäusl 2018 wegen der Sache anzeigte, vertritt in diesem Prozess elf der damals minderjährigen Flüchtlinge, die unter Bedingungen in die laut ihm menschenunwürdige Unterkunft gebracht wurden. Für jeden verlangt er 10.000 Euro Schmerzengeld, wegen psychischer Traumata, die durch die Verlegung nach Drasenhofen ausgelöst worden seien. Er legt der Richterin dazu einige Gutachten vor. Die anderen beiden Opfervertreter fordern für ihren Mandanten symbolisch jeweils 100 Euro. Die Verteidiger erkennen keine der Summen an.
Fragen der Opfervertreter will Waldhäusl nicht beantworten, er beschäftigt sich stattdessen mit seinen Fingernägeln. Von wem hätte Gefahr ausgehen sollen, wen hätte der Zaun abhalten sollen? Warum die Hast bei der Verlegung?
Immer wieder spricht Waldhäusl auf die Nachfragen der Richterin von medialem Druck und davon, dass Asylwerber ja straffällig werden hätten können und er das mit der Unterkunft verhindern wollte. Es sei jedenfalls geplant gewesen, dass jene Jugendliche nach Drasenhofen kommen sollten, die “auffällig” geworden seien. Details dazu, etwa wer denn nun als auffällig gelte, wisse er aber auch nicht.
Ebenfalls angeklagt wegen Amtsmissbrauchs und weiters wegen Fälschung eines Beweismittels sowie wegen Verleumdung ist eine weitere Landesbeamtin. Ihr Verteidiger spricht von medialer Vorverurteilung, aufgrund derer seine Mandantin ihren Job verloren habe. Sie sei völlig zu Unrecht angeklagt. Die Frau wird am zweiten Prozesstag aussagen. Weitere Prozesstage sind geplant.
(sm)
Titelbild: Stefanie Marek